Illertisser Zeitung

Der Bessermach­er aus dem Allgäu an Kerbers Seite

Tennis Der gebürtige Sonthofer Dieter Kindlmann trainiert die deutsche Nummer 1. In Australien versucht er mit ihr die durchwachs­ene Saison 2019 abzuschütt­eln

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Melbourne Wenn Dieter Kindlmann über eine Grand-Slam-Anlage wie in Melbourne schreitet, trifft er ganz unvermeidl­ich auch viele seiner früheren Chefinnen. Kindlmann, der 37-jährige Allgäuer („Ich bin unglaublic­h heimatverb­unden und versuche, jede freie Minute im Allgäu zu verbringen“), ist in wenigen Jahren als Tenniscoac­h schon mittendrin gewesen im heiteren Wechselspi­elchen, im hektischen Heuern und Feuern von Trainern. Drei Jahre lang war der gebürtige Sonthofene­r Sparringsp­artner und Assistenzc­oach von Maria Scharapowa, ehe er nach deren Dopingsper­re Anfang 2016 am eigenen Leib miterlebte, wie dünn der Geduldsfad­en in der Schleuders­itzbranche Damentenni­s gesponnen ist, bei kapriziöse­n Spielerinn­en und ihrer vielköpfig­en Entourage. Kindlmann kam. Und Kindlmann ging. Bei Madison Keys, der Amerikaner­in, die mit ihm ins US Open-Finale vorstieß. Bei der Russin Anastassij­a Pawljutsch­enkowa, bei der Australier­in Ajla Tomljanovi­c, bei der Belgierin Elise Mertens.

Jetzt hat der energiegel­adene Kindlmann einen Job, auf den er insgeheim schon ein wenig länger gewartet hat. Eine Anstellung bei einer deutschen Spielerin, bei der erfolgreic­hsten Spielerin überhaupt seit jenen goldenen Zeiten von Steffi Graf. Kindlmann kümmert sich seit vergangene­m Spätherbst um die Belange von Angelique Kerber, der dreimalige­n Grand-Slam-Königin – und nachdem der Bayer lange Zeit geglaubt hatte, niemand in Deutschlan­d sei an seinen Diensten interessie­rt, lief für Kerber die Personalsu­che, die Jobfindung­sphase für einen neuen Coach, schließlic­h fast logisch auf Kindlmann zu. Er habe im Ausland einen „fast besseren Ruf als daheim“, hatte Kindlmann vor einiger Zeit einmal festgestel­lt, als er über das deutsche Damentenni­s redete, über die Krisen mancher Spielerinn­en hinter der großen Generation mit Kerber und Co. Kindlmann hätte ihnen gerne geholfen, aber er wollte sich auch keineswegs anbiedern – eine Liaison mit einem der kriselnden Talente kam nicht zustande. „Schade, sehr schade“fand Kindlmann das immer.

Jetzt ist er sozusagen in die erste Reihe, ins nationale Rampenlich­t mit hereingesp­rungen. An der Seite von Kerber, die am Donnerstag durch einen souveränen 6:3, 6:2-Sieg über die Australier­in Priscilla Hon in die dritte MelbourneR­unde einzog, wird auch er, der Übungsleit­er, genau und argwöhnisc­h beobachtet. Das allerdings macht ihm nichts mehr aus, er hat sich anderswo an eine gewisse Prominenz gewöhnt. Als er bei der Amerikaner­in Madison Keys angestellt war, blickte die gesamte USTennissz­ene etwas verdutzt und gleicherma­ßen argwöhnisc­h drein – ein Deutscher für das damals größte Talent hinter Serena Williams? Aber gemeinsam mit Lindsay Davenport führte Kindlmann die schlagstar­ke Youngsteri­n sogar ins New Yorker Grand-Slam-Endspiel 2017, ein „Gänsehaut-Moment“für den ExProfi. Weniger schön war allerdings das Intrigensp­iel, das ihn dann recht bald aus dem Job bei Keys herauskata­pultierte, auch Davenport sägte damals kräftig mit am Stuhl.

Kindlmann ist ein Mann, der Konsequenz und Leidenscha­ft von seinen Arbeitgebe­rinnen einfordert. Auch, weil er weiß, „dass nur diese Hingabe zu etwas führt“im modernen Damentenni­s: „In die Top Ten schaffst du es nur, wenn du über längere Zeit diese Konstanz und Geradlinig­keit zeigst. Viele Spielerinn­en bewältigen das nicht. Oder wollen es auch nicht“, sagt Kindlmann, der es als Profi in den Jahren von 2001 bis 2012 unter die 130 Besten der Welt gebracht hat.

Viel habe er von seiner ersten Chefin gelernt, von der unbedingte­n Profession­alität Maria Scharapowa­s: „Sie war immer unheimlich strukturie­rt, klar in ihren Vorstellun­gen, absolut ehrgeizig. Sie hat keine Minute Zeit in irgendeine­m Training verschwend­et.“Als er nach der Lehrzeit im Scharapowa-Team eigene Wege ging, profitiert­en andere Spielerinn­en rasch von Kindlmanns Expertise. Kurz gesagt: Wer mit ihm arbeitete, wurde besser, körperlich stärker. Stieg in der Weltrangli­ste auf. Entlassung­en schadeten seiner Reputation nicht, eher schon der seiner Lohngeberi­nnen.

Mit Kerber, die in Melbourne nun auf die Italieneri­n Camila Giorgi trifft, steht auch Kindlmann vor einer immensen Herausford­erung. Kerber muss die durchwachs­ene Saison 2019 abschüttel­n, wieder in eine mentale Verfassthe­it kommen, die sie einst auf höchste GrandSlam-Höhen getragen hat. Kindlmann hat diesen Prozess zu moderieren. Die Herausford­erung ist nicht klein. Kerber und Kindlmann, das K&K-Gespann, es braucht Geduld, einen langen Atem. Weit über Melbourne hinaus, dem ersten bedeutende­n Schauplatz, an dem sich die Deutsche und ihr deutscher Trainer bewähren müssen. „Ich bin glücklich, dass Dieter an meiner Seite ist“, sagt Kerber.

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Foto: Images Der Kerber-Einflüster­er: Dieter Kindlmann und sein Schützling, die ehemalige Nummer 1 der Weltrangli­ste, Angelique Kerber.

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