Illertisser Zeitung

Das müssen Bürgermeis­ter alles aushalten

Gesellscha­ft Der Ton wird rauer. Nicht nur im Netz, auch in den Rathäusern verhalten sich manche Leute zunehmend aggressiv. Lokalpolit­iker in der Region haben ebenfalls schon schlechte Erfahrunge­n gemacht

- VON UNSEREN REDAKTEURE­N

Region Beschimpfu­ngen, Drohungen, verbale Attacken: Politiker werden immer häufiger Opfer von Hetze und Aggression. Das beklagte erst diese Woche die Bundestags­vizepräsid­entin Claudia Roth (Grüne) in Neu-Ulm und forderte uneingesch­ränkte Solidaritä­t mit den Betroffene­n. Auch der Deutsche Städtetag sieht Handlungsb­edarf. Denn die psychische und physische Gewalt richtet sich nicht nur gegen Spitzenpol­itiker. Auch in den Rathäusern wird das Klima rauer. „Aggressivi­tät und äußerst fragliche Umgangsfor­men gegen Politiker breiten sich erschrecke­nd aus“, sagt beispielsw­eise der Illerkirch­berger Bürgermeis­ter Anton Bertele (parteilos) und zieht nach 16 Jahren im Amt Konsequenz­en. Der 59-Jährige tritt bei der nächsten Wahl in der baden-württember­gischen Gemeinde nicht mehr an.

Wie akut dieses Thema ist, weiß auch

Landrat Thorsten Freudenber­ger (CSU).

Er hat sich im Rahmen der Verabschie­dung des Integriert­en Ländlichen Entwicklun­gskonzepts in Illertisse­n diese Woche (wir berichtete­n) direkt an die beteiligte­n sieben Bürgermeis­ter und ihre Kollegen aus den Ratsgremie­n gewandt. „Manches, was wir uns in unseren Ämtern anhören müssen, ist keine Kritik mehr. Es verletzt und es beleidigt“, so Freudenber­ger. Er ermutigte die Kommunalpo­litiker dazu, sich gegen Angriffe dieser Art zu wehren. „Wir müssen denen, die politisch meinen, sie dürften alles sagen, ein klares Stoppschil­d aufstellen.“

Negative Erfahrunge­n ebenfalls

musste

Pfaffenhof­ens Bürgermeis­ter Josef Walz,

der zudem schwäbisch­er Bezirksvor­sitzender des Gemeindeta­gs ist, in der Vergangenh­eit machen: „Vor ein paar Jahren hat einer mein Auto zerkratzt und Nägel in die Reifen gesteckt.“Den Täter habe die Polizei zwar geschnappt, aber: „Das war nicht lustig, in dieser Zeit habe ich mich nicht so wohl gefühlt“, so Walz. Vergleichb­ares sei ihm seitdem nicht mehr passiert – gerade verbale Angriffe seien allerdings nichts Ungewöhnli­ches: „Das hat es zwar schon immer gegeben, aber der Ton ist in den letzten Jahren rauer geworden.“Insgesamt sei der Respekt gegenüber Politikern weniger geworden: „Wir bekommen Mails mit Dingen, die man früher so nicht in Briefe geschriebe­n hätte.“Gerade in den sozialen Medien seien Sitte und Sprache verroht: „Hier hat sich die Gesellscha­ft nicht unbedingt zum Guten gewandelt.“Dennoch dürfe man sich nicht durch ein paar wenige Menschen, die einem nur wohlgesonn­en seien, wenn man die gleiche Meinung habe, beirren lassen, findet Walz: „Man muss seine Richtung bewahren, seinen Weg treu bleiben – und das Schöne an meinem Beruf überwiegt.“In bekleidet

seit 24 Jahren das Amt des Bürgermeis­ters. Mehr als zwei Jahrzehnte lang konnte er beobachten, wie sich die Gesellscha­ft und der Umgang mit Kommunalpo­litikern wandelte. Während eines Publikumsi­nterviews mit dem evangelisc­hen Ortspfarre­r Jochen Teuffel sprach Janson, der im März nicht mehr zur Wahl antritt, über dieses Thema. Auf seinen Arbeitsall­tag bezogen kritisiert­e er den zunehmende­n fehlenden Respekt vor dem anderen Menschen und einen immer rauer werdenden Umgangston. Eine

Vöhringen

Karl Janson

der Sprache sei deutlich spürbar. Janson bedauert, dass der Egoismus in der Gesellscha­ft zunehme, während der Gemeinsinn abnehme.

Der

Babenhause­r Bürgermeis­ter Otto Göppel,

der auch Vorsitzend­er des Kreisverba­nds Unterallgä­u im Bayerische­n Gemeindeta­g ist, sagt: „Ich persönlich habe – Gott sei dank – noch keine negativen Erfahrunge­n gemacht.“Er schiebt jedoch nach: „Wenn man da jedes Wort auf die Goldwaage legen würde...“Mit Gegenwind müsse ein Kommunalpo­litiker leben, so Göppel: „Man muss Entscheidu­ngen treffen und die gefallen vielleicht nicht jedem.“Mit einer anderen Meinung konfrontie­rt zu werden, sei dabei aber eine ganz andere Nummer, als beleidigt oder gar bedroht zu werden. Ein dickes Fell müssen Kommunalpo­litiker aus Göppels Sicht auf jeden Fall haben – das sei früher nicht anders gewesen.

„Da hat man halt am Stammtisch geschimpft, heute in den sozialen Medien.“Dadurch sei eine neue Art der Öffentlich­keit entstanden.

Roland Biesenberg­er, Bürgermeis­ter von Buch,

sagt: „Der Umgang über Facebook ist ein anderer.“Er selbst nutze die Plattform nicht, was ihn auch ruhiger schlafen lasse. Wenngleich auf anderen Wegen hin und wieder auch scharf formuliert­e Fragen im Bucher Rathaus eingehen – per E-Mail und in der Bürgerspre­chstunde ließen sich die Dinge bei vernünftig­em Umgangston klären. „Da sind meine Bürger wirklich anständig“, sagt Biesenberg­er. Deutlich schwierige­r ist aus seiner Sicht der Gegenwind, den er von einer Fraktion im Marktgemei­nderat, der Unabhängig­em Wählergeme­inschaft (UWG), verspürt. Dort herrsche ein tiefes Misstrauen, demokratis­ch getroffene Entscheidu­ngen würden häufig nicht akzeptiert, sagt der Bürgermeis­ter. BeschwerVe­rrohung den bei übergeordn­eten Behörden oder beim Landtag, die zu langwierig­e Auseinande­rsetzungen führten, kamen recht häufig vor.

Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch

hat sich im Laufe der Jahre ein dickes Fell zugelegt. „Beleidigt zu sein habe ich mit abgewöhnt.“In „ganz vereinzelt­en Fällen“habe er allerdings schon eine Strafanzei­ge bei der Polizei gestellt. „Zum Glück“, so Czisch, finde die Eskalation aber nur schriftlic­h statt – ausgehend von Leuten, denen jede Kinderstub­e fehle. Und zwar über die sozialen Netzwerke. Körperlich sei er noch nie angegangen worden. Czisch hat registrier­t, dass die Übergangsf­ormen in der virtuellen Welt immer schlechter werden. Doch in realen Begegnunge­n sei das nicht feststellb­ar. „Ich erlebe die Menschen auf der Straße ganz anders.“Deswegen hält er den beklagten Sittenverf­all auch nicht für ein Massenphän­omen. (mit ub)

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Es gehört für Politiker zu ihrem Job, dass Bürger bisweilen unzufriede­n sind mit ihrer Arbeit. Doch inzwischen lassen Menschen ihre Wut immer häufiger persönlich an den Amtsträger­n oder Mitarbeite­rn in den Rathäusern aus. Diese Entwicklun­g beklagen viele Bürgermeis­ter in der Region.
Symbolfoto: Alexander Kaya Es gehört für Politiker zu ihrem Job, dass Bürger bisweilen unzufriede­n sind mit ihrer Arbeit. Doch inzwischen lassen Menschen ihre Wut immer häufiger persönlich an den Amtsträger­n oder Mitarbeite­rn in den Rathäusern aus. Diese Entwicklun­g beklagen viele Bürgermeis­ter in der Region.
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FREITAG, 24. JANUAR 2020

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