Angela Merkel: „Bewegen uns auf dünnem Eis“
Pandemie Kanzlerin warnt Bundesländer vor zu weitreichenden Lockerungen
Berlin Mit ihrer Kritik an „Öffnungsdiskussionsorgien“schuf Angela Merkel schon am Montag das Aufreger-Wort der Woche. Nun legte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung noch einmal nach. Sie kritisierte die aus ihrer Sicht voreiligen Lockerungen einzelner Bundesländer in der CoronaKrise scharf. Die Umsetzung der Öffnungsbeschlüsse der vergangenen Woche wirke auf sie „in Teilen sehr forsch, um nicht zu sagen zu forsch“, sagte Merkel im Bundestag. Welche Länder sie meinte, sagte die Kanzlerin nicht.
Merkel erklärte, sie trage die Lockerungsbeschlüsse von Bund und Ländern aus voller Überzeugung mit. „Doch ihre Umsetzung seither bereitet mir Sorgen.“Sie achte die Hoheit der Länder. „Gleichwohl sehe ich es als meine Pflicht an, zu mahnen, eben nicht auf das Prinzip Hoffnung zu vertrauen, wenn ich davon nicht überzeugt bin.“
Die Bundeskanzlerin mahnte noch einmal eindringlich: „Wenn wir gerade am Anfang dieser Pandemie die größtmögliche Ausdauer und Disziplin aufbringen, dann werden wir in der Lage sein, schneller wieder wirtschaftliches, soziales und öffentliches Leben zu entfalten, und zwar nachhaltig.“Die Zahlen der Neuerkrankungen seien ein Zwischenerfolg. „Aber gerade weil die Zahlen Hoffnungen auslösen, sehe ich mich verpflichtet zu sagen: Dieses Zwischenergebnis ist zerbrechlich. Wir bewegen uns auf dünnem Eis, man kann auch sagen: auf dünnstem Eis.“
Während Merkels Mahnungen vor allem in Nordrhein-Westfalen für Grummeln sorgen dürften, fühlen sich Bayern und Baden-Württemberg nicht angesprochen von Merkels Kritik. Sie seien die Vorsichtigen in Deutschland, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor einem Treffen mit seinem Amtskollegen in Ulm. Winfried Kretschmann (Grüne) betonte: „Wenn wir jetzt zu sorglos handeln, wird sich das bitter rächen.“Man stehe nicht am Ende der Pandemie, sondern mittendrin.
Immer deutlicher wird hingegen die Kritik der FDP an Merkel. „Unklar bleibt nach der Regierungserklärung weiterhin das epidemiologische Ziel der Bundesregierung“, sagt der stellvertretende Parteivorsitzende, Wolfgang Kubicki. Ihm fehlen Antworten, wie es weitergehen soll. „Die Bundeskanzlerin hat noch immer keine Perspektive aufgezeigt, welcher konkrete Punkt erreicht werden muss, damit aus ihrer Sicht die Einschränkungen unserer verfassungsmäßigen Grundrechte wieder aufgehoben werden können“, sagt Kubicki. So bleibe für viele Menschen, die um ihre berufliche und persönliche Zukunft bangen, die Frage weiter offen, wie ihr Leben weitergeht. Kubicki: „Diese Antwort hat die Kanzlerin jedenfalls nicht gegeben.“
Auch bei den Grünen wächst die Ungeduld – sie drängen auf zusätzliche Hilfen. Das von der Koalition in der Nacht auf Donnerstag beschlossene Hilfspaket sei zwar richtig, doch nicht ausreichend. „Statt die Kurzarbeitersätze erst nach ein paar Monaten anzuheben, hätte es mehr gebracht, sie sozial zu staffeln und vom ersten Monat an gezielt für die Menschen anzuheben, die von den Lohnkürzungen am härtesten getroffen werden“, sagt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Enttäuschend bleibe zudem, dass es keine Fortschritte bei der Absicherung von Kulturschaffenden oder besonders bedürftigen Menschen gebe. „Viele Familien, die von Hartz IV leben müssen, trifft diese Krise noch härter, wenn beispielsweise wochenlang das kostenlose Schulessen wegfällt“, sagt die Grünen-Politikerin. „Deswegen darf die Koalition eine temporäre Anhebung der Hartz IV Regelsätze nicht länger vor sich herschieben.“»Politik