Die Schule bleibt Isolierstation
Bildung Seit Montag lernen die ersten Schüler wieder im Klassenzimmer. Jetzt entstehen Pläne für die übrigen Jahrgänge. Klar ist: Normal wird bis zum Sommer gar nichts mehr
Augsburg Die Sicherheitsvorkehrungen glichen denen auf einer Isolierstation: strikt getrennte Räume, nur eine Minimalzahl an Menschen darin, Desinfektionsspender. Dazu an vielen Schulen ein strenges Schleusen-Konzept, damit Ankömmlinge nicht denen begegnen, die die Schule gerade verlassen. Für die Abschlussklassen, die am Montag in die Klassenzimmer zurückkehrten, war es der vielleicht bizarrste Tag ihrer ganzen Schulzeit.
Vom Trubel, der sonst die Schulhäuser erfüllt, war nicht viel zu spüren. Denn nur 14 Prozent der bayerischen Schüler lernen seit Montag wieder dort. Die überwältigende Mehrheit hält mit dem Lehrer weiter übers Internet Kontakt. Frühestens am 11. Mai soll für die übrigen Jahrgänge der Unterricht anfangen. Wie läuft das ab – und wie lässt sich ein Infektionschaos vermeiden?
„Eigentlich sollte das Ziel sein, dass vor Pfingsten jeder Schüler zumindest einmal wieder in der Schule war“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag in München. Er will bis zur kommenden Woche ein Konzept präsentieren – übrigens auch für die Kitas.
diese wieder öffnen, sagte Söder nicht. Er könne sich aber vorstellen, dass künftig zwei Familien gegenseitig ihre Kinder betreuen.
Doch bevor irgendein Politiker einen Plan präsentiert, ist an den Schulen eines schon klar. „Es gibt auf absehbare Zeit keine Normalität.“Das sagte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) schonungslos im Bildungsausschuss des Landtags. Am meisten Hoffnung auf eine baldige Rückkehr ins Klassenzimmer dürfen sich die Schüler machen, die nächstes Jahr Abschlussprüfungen schreiben – und die jetzigen Viertklässler in der Grundschule. Sie bekommen am 11. Mai ihr Übertrittszeugnis. Es zeigt, auf welche Schulart sie wechseln können und basiert auf den Leistungen, die sie vor der Schulschließung erbracht haben.
In der gewohnten Klasse und mit all seinen Freunden wird bis Juli wohl kein Schüler mehr lernen. Fest steht, dass alle Klassen geteilt werden, pro Raum höchstens 15 Schüler. Am wahrscheinlichsten ist ein Schicht-Modell für die einzelnen Klassen – dafür spricht sich auch Söder aus: Er könne sich „jeden zweiten Tag Schule“vorstellen, „damit wieder ein gewisser Rhythmus kommt.“Man könne „eine solche Entzerrung“auch über den Tag hinweg erreichen – „mit Präsenzunterricht für die eine Hälfte früh und die andere am Nachmittag.“Mancher Rektor, so ergab eine stichpunktartige Umfrage unserer Redaktion, bevorzugt einen wöchentlichen Wechsel zwischen den Schülergruppen.
Eine Schule, die Söders Vorschlag schon vom ersten Tag an umsetzt, ist die Fach- und Berufsoberschule in Neusäß, Kreis Augsburg. Etwas anderes bleibt Schulleiter Rainer Bartl auch kaum übrig. Denn in Neusäß steht – wie an vielen dieser Schularten – mehr als die Hälfte der Schüler kurz vor dem Abschluss. Ohne Staffelung wären über 400 Prüflinge von heute auf morgen wieder in der Schule.
„Sehr ruhig und gesittet“sei der Montag abgelaufen, sagt Schulleiter Bartl. „Eine Hälfte der Absolventen war heute da, die andere kommt morgen.“Wer nicht im Schulhaus sitzt, bekommt Unterrichtsmaterial übers Internet. Bartl will das Konzept auch dann fortführen, wenn der große Ansturm der Schüler kommt. Erstens habe der Online-Unterricht zuletzt sehr gut funktioniert, zweitens halte man so die HygienemaßWann nahmen ein. „Und wir können auch ältere, schwangere oder chronisch kranke Lehrkräfte ungefährlich mitnehmen.“Für diese Gruppen wäre der direkte Kontakt mit Schülern riskant, online könnten sie gut helfen. Klar ist, dass alle Schüler im Freistaat deutlich weniger Stoff werden lernen können als in einem normalen Schuljahr. „Lernfortschritt ist nicht alles“, betonte Piazolo im Bildungsausschuss. Er überlässt es den Lehrern zu entscheiden, was pädagogisch am wichtigsten ist. Für die vierten Klassen sind die Proben gestrichen. Abiturienten und Prüflinge an Fach- und Berufsoberschulen müssen keine Klausuren mehr schreiben, an Mittel-, Real- und Förderschulen liegt das im Ermessen der Lehrer. Wie es mit Leistungsnachweisen in anderen Jahrgangsstufen aussieht, steht bisher nicht konkret fest.
Selbst wenn das Coronavirus bis September besiegt sein sollte: Seine Folgen werden bis ins neue Schuljahr zu spüren sein. Weil Kinder und Jugendliche jetzt weniger lernen, muss auch der Stoff im Herbst den Wissenslücken angepasst werden. Normalität also wird nach den Sommerferien zwar heiß ersehnt, aber immer noch weit entfernt sein.