Der ver(un)sicherte Gastronom
Coronavirus Ein Wirt aus Lindau dachte, er hätte gut vorgesorgt. Für den Fall, dass er seinen Betrieb vorübergehend dichtmachen muss, schloss er eine Versicherung ab. Dann kamen die Pandemie und der Lockdown. Und das Versicherungsunternehmen verwies aufs
Lindau Klaus Winter sagt, er kann die Vögel wieder hören. „Und ich sehe Tiere, die ich hier noch nie gesehen habe.“Ein bisschen resigniert klingt diese eigentlich gute Nachricht trotzdem. Denn die ganz neuen Naturerlebnisse auf der Terrasse seines Restaurants „Strandhaus“nahe dem Bodensee-Ufer in Lindau haben für Winter und seine Frau Jasmin Schwabe-Winter einen sehr hohen Preis: Die Geräusche seiner Gäste und der Leute, die auf dem angrenzenden Campingplatz sonst für Umsatz sorgen, sind verschwunden. Wegen der Corona-Pandemie. „Aber nicht ganz so schlimm, haben wir uns gedacht. Wir sind ja gut versichert“, sagt Winter und lacht ein kurzes und spöttisches Lachen.
Klaus Winter ist Gastronom und Inhaber einer Grill-Akademie. Er dachte, er hätte vorgesorgt. „Betriebsschließungsversicherung“steht über den Policen, die er bei der Württembergischen Versicherung abgeschlossen hat für den Fall, dass ihm eine Behörde einmal den Laden zumacht. Knapp 2000 Euro zahlt er brav Jahr für Jahr ein. Er hat sich sofort an die Versicherung gewandt, als er sein Restaurant, den angrenzenden Kiosk sowie seine GrillAkademie
– insgesamt ein Betrieb mit 20 Mitarbeitern – wegen behördlicher Anordnung am 16. März komplett schließen musste. Bis heute. Und bis irgendwann, denn wann er wieder voll durchstarten darf, steht längst noch nicht fest.
Nur: Die Württembergische – sie wirbt mit dem Slogan „Ihr Fels in der Brandung“– gibt sich überzeugt davon, nicht zahlen zu müssen. In ihrer Ablehnung, die unserer Redaktion vorliegt, stellt sie sich verkürzt gesagt auf den Standpunkt, dass der Versicherungsschutz nicht greife, da im Betrieb ja keine Seuche ausgebrochen sei, schon gar keine, die im Kleingedruckten steht. Die präventive Schließung durch die Gesundheitsbehörde, so die Folgerung, stelle keinen Leistungsfall dar. Man bedaure. Das Schreiben schließt mit dem Satz: „Wir hoffen, dass Sie diese wirtschaftlich schwere Zeit trotz aller Unwägbarkeiten und Herausforderungen meistern können und werden.“
In diesem Satz steckt aus Sicht von Klaus Winter ein gewisser Zynismus. Es ist ein Satz auch, der in der sogenannten bayerischen Lösung gipfelt. Dieser Weg sieht vor, dass Betriebe mit entsprechender Versicherung zehn bis 15 Prozent ihrer eigentlichen Versicherungssumme akzeptieren und darüber hinaus nie wieder wegen Corona irgendwelche Ansprüche stellen. Auch Klaus Winter hat dieses Angebot bekommen. Die Württembergische will ihm 15000 Euro zahlen, etwa 15 Prozent der Versicherungssumme, um dann für alle Zeit aus dem Schneider zu sein.
Für Winter ist das nicht annehmbar, er will klagen. „Was ist jetzt mit Betrieben, denen das Wasser mehr als nur bis zum Hals steht? Viele werden das Angebot der Versicherer annehmen, um überhaupt irgendwie liquide zu bleiben“, sagt er.
Klaus Winter glaubt, dass die Versicherungen die Notlage der Gastronomen auf diese Weise schamlos ausnutzen – und sich auch noch als Wohltäter aufspielen, denn gleichzeitig werde ja betont, überhaupt nichts zahlen zu müssen. „Aber wer soll das bitte schön glauben, dass eine Versicherung freiwillig bezahlt, wenn sie nicht muss? Doch nur dann, wenn sie eigentlich genau weiß, dass sie zahlungspflichtig ist!“, schimpft Jasmin SchwabeWinter. Ihr Ärger ist den beiden anzusehen.
Daniel Ohl, Pressesprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in BadenWürttemberg, muss sich ein wenig konzentrieren, um beim Thema Betriebsschließungsversicherungen höflich zu bleiben. Er sagt den diplomatischen Satz: „Die Versicherungswirtschaft verspielt durch ihr Verhalten derzeit jede Menge Vertrauen in unserer Branche.“Darüber hinaus empfehle sein Landesverband seinen Mitgliedern die bayerische Lösung nicht. Jeder einzelne Vertrag müsse zwar geprüft werden, weil die Versicherungsbedingungen variierten. „Aber das Angebot zu akzeptieren kommt nur für Betriebe infrage, die keine Zeit und ein Liquiditätsproblem haben.“Also für solche, die es sich nicht leisten könnten, ihren Anspruch in längeren Prozessen durchzuklagen. Allen anderen empfehle sein Verband den Rechtsweg, sagt Ohl.
Der Dehoga in Bayern vertritt ineine ganz andere Linie, hat er im Freistaat doch maßgeblich am Zustandekommen der bayerischen Lösung mitgewirkt. Geschäftsführer Thomas Geppert gibt vor einer Ablehnung des Angebots der Versicherer zu bedenken, dass es aus seiner Sicht „so schlecht nicht ist“. Seine Argumentation: Etwa 70 Prozent der Ausfälle in der Gastronomie würden durch Kurzarbeitergeld sowie Soforthilfen von Bund und Ländern aufgefangen. „Ungefähr für die restliche Hälfte von 30 Prozent treten die Versicherer mit ihrem Angebot von zehn bis 15 Prozent ein.“
Es müsse jeder selbst für sich entscheiden, ob es klüger sei, vielleicht über Jahre hinweg zu prozessieren – mit ungewissem Ausgang, meint Geppert. Sonnenklar sei die Angelegenheit in den Untiefen der Versicherungsbedingungen nämlich nicht. Außerdem: „Was würde es dem Gastronomen denn bringen, wenn er nach langen Verfahren gegen die Versicherung gewinnt – aber im Gegenzug Kurzarbeitergeld und staatliche Soforthilfen wieder zurückzahlen müsste?“, fragt er.
Klaus Winter kann sich dem nicht anschließen. „Das ist allein schon meinen Mitarbeitern gegenüber nicht fair“, sagt er. Das Kurzarbeitergeld betrage lediglich 60 Prozent des üblichen Lohns. Sei die Versicherung leistungspflichtig, wovon Winter fest überzeugt ist, bekämen Mitarbeiter 100 Prozent Lohnausgleich von der Württembergischen. „Außerdem darf man ja nicht vergessen: Die Versicherung bezahlt höchstens für 30 Tage Betriebsschließung. Bestimmte Fördermittel vom Staat sind aber als Liquiditätshilfen für einen Zeitraum von mehdes reren Monaten gedacht.“Das eine mit dem anderen komplett aufzurechnen, sei allein deshalb nicht stichhaltig und eine Milchmädchenrechnung.
Der Bitte um eine Stellungnahme kommt die Württembergische Versicherung schriftlich nach. Die Betriebsschließungsversicherung beziehe sich auf behördliche Betriebsschließungen vor dem Hintergrund des Infektionsschutzes, erklärt sie. Aber: „Hier gilt: Die Württembergische Versicherung leistet Entschädigung, wenn die zuständige Gesundheitsbehörde aufgrund der in den Bedingungen genannten Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte schließt und wenn die auslösende Krankheit oder der auslösende Krankheitserreger in den Bedingungen namentlich aufgeführt ist. Das Coronavirus 2019-nCov ist dabei, wie Sie den von Ihnen erwähnten ,Zusatzbedingungen‘ entnehmen können, nicht namentlich genannt.“
Dass die Gesundheitsbehörden das Virus im Februar zur meldepflichtigen Krankheit im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes erklärt haben, spielt für die Württembergische dabei keine Rolle. Die von ihr angebotene „unbürokratische Entschädigungsquote von bis zu 15 Prozent“sei ein Zeichen der „Solidarität mit den Kunden in ihrer schwierigen Situation“.
Der Kasseler Fachanwalt für Versicherungsrecht, Stephan Schmid – von den Winters beauftragt, sich ihres Falles anzunehmen –, muss bei dieser Aussage die Stirn runzeln. Er sagt: „Die Versicherer wissen ganz genau, dass sie sich hier auf dünnem Eis bewegen. Sie sehen ein erhebliches Prozessrisiko – darum versuchen sie, sich aktiv mit 15 Prozent der Versicherungssumme herauszukaufen.“Natürlich gebe es unterschiedliche Versicherungsbedingungen. Jene von Klaus Winter hält er allerdings für eindeutig und verweist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Der entscheide tendenziell verbraucherfreundlich und setze voraus, dass Verträge mit gesundem Menschenverstand erfasst werden könnten. „Ein Vertrag, der eine Betriebsschließung wegen der Gefahr eines Infektionsrisikos versichert, gehört unbedingt dazu – auch wenn der Erreger noch gar nicht bekannt war“, sagt Schmid.
Die Winters, die mehrfach betonen, bislang immer zufrieden mit ihrem Versicherer gewesen zu sein und bei der Württembergischen seit 35 Jahren praktisch sämtliche Verträge privat und geschäftlich abgeschlossen haben, sind enttäuscht. Sie ärgern sich besonders „über das Samariter-Getue“. „Wenn die Versicherung wirklich fair wäre, würde sie die zehn bis 15 Prozent erst mal ohne Bedingungen zahlen und darauf
Knapp 2000 Euro zahlt Klaus Winter jährlich
verweisen, dass endgültig abgerechnet wird, wenn Gerichte im Grundsatz entschieden haben.“Wer das Vergleichsangebot annehme, müsse jedoch auf sämtliche Ansprüche – auch für zukünftige CoronaAusbrüche – verzichten.
Dass die Versicherungsbranche wegen der Policen ernsthaft ins Wanken kommen könnte, wenn sie alle Ansprüche voll bezahlen müsste, glauben weder die Winters noch Fachanwalt Schmid: „Versicherungen kalkulieren ihre Tarife nach dem möglichen Risiko. Wenn der Versicherungsfall eintritt, dann mag das zwar unangenehm sein für die Versicherung, aber es ist ganz sicher nicht das Problem des Kunden.“Der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband schätzt, dass im Freistaat etwa 25 Prozent der Gastronomen eine Versicherung dieser Art haben, deutschlandweit etwa 20 Prozent. Vor dem Hintergrund, dass diese Versicherungen grundsätzlich nur für Schließungen bis maximal 30 Tage zahlen, werden Gesellschaften, die wiederum rückversichert sind, nicht in Schwierigkeiten kommen, glaubt Schmid.
Der Lindauer Gastronom Klaus Winter hat eigentlich gar keine Lust, sich mit seiner Versicherung herumzustreiten. Die hatte sich ihm stets als „Fels in der Brandung“empfohlen, inzwischen nimmt er sie als Kiesel in der Pfütze wahr. So sagt er das nun auf der Terrasse seines „Strandhaus“. Ja, er mag die Vögel, die er zurzeit wieder hören kann. Er freut sich über jedes Wildtier, das sich seinem Restaurant nähert. Doch das Grundrauschen von Menschen, die bei ihm essen und trinken und nebenan auf dem Campingplatz ihren Spaß haben, ist ihm doch noch etwas lieber.
Die beiden sind nicht allein mit ihrem Problem