Bullerbü ist weit weg
Kinderreport Kinder und Jugendliche würden gerne mehr draußen spielen. Aber es gibt viele Hindernisse. Und da geht es nicht nur um die Angst vor Corona
Berlin Der Drang ist groß, er wird aber oft durch verschiedene Hürden behindert: Für zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist das Draußenspielen einer Studie zufolge sehr wichtig oder mindestens wichtig. Sie werden allerdings von Fehlplanungen der Kommunen, von Zeitmangel und in den letzten Wochen durch die Corona-Epidemie in ihrer Bewegungslust gebremst. Das Deutsche Kinderhilfswerk als Auftraggeber der Studie und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey sprachen sich dafür aus, dem Nachwuchs gerade in Zeiten der Virus-Krise zügig mehr Raum zur Entfaltung zu geben.
Der Präsident des Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, verwies darauf, dass die Ansteckungsgefahr in Räumen größer sei als draußen, Kinder außerdem von einer Ansteckung weniger betroffen seien. Er verstehe deshalb nicht, dass bei den aktuellen Unterrichtskonzepten der Sport so ins Hintertreffen gerate. Auch Familienministerin Giffey warb dafür, Kindern und Jugendlichen mehr Freiheiten einzuräumen. „Ich kann das nur unterstützen“, sagte die SPD-Politikerin, sie sei
froh, dass die Öffnung von Kinderspielplätzen überall umgesetzt wird“. Einen Regelbetrieb in Kindergärten und Schulen könne es aber wohl erst geben, wenn die 1,5-Meter-Abstandsregel nicht mehr notwendig sei. Sich davon zu verabschieden, sei jedoch eine „sehr, sehr schwere Entscheidung“.
Angesichts der Lockerungen in einigen Bundesländern, vor allem in Thüringen, zeigte sich Giffey offen für eine Aufhebung von Regeln. Wenn einzelne Länderminister zu dieser Entscheidung kämen, dann sei das vor dem lokalen Infektionsgeschehen womöglich vertretbar, sagte die Ministerin. „Ich finde es gut, wenn in den Ländern jetzt auch weitere Schritte unternommen werden, die den Kindern entgegenkommen“, ergänzte sie. Einen Freifahrtschein könne es aber nicht geben. Wenn die Zahl der Infektionen wieder zunehme, müssten Lockerungen zurückgenommen werden.
Krüger plädierte dafür, den Kindern mehr Freiheiten zu geben. „Kinder müssen lernen, sich selbst frei zu bewegen“, sagte er mit Blick auf übervorsichtige Eltern und mahnte: „Wenn das nicht passiert, haben wir es ständig mit diesen ,Helikoptern‘ zu tun.“Das motorische
Bedürfnis von Kindern sei in den eigenen vier Wänden nur bedingt umsetzbar, sagte Krüger mit Blick auf die Studie des Kinderhilfswerks.
Demnach fordert ein Großteil der Kinder, Jugendlichen und Eltern grundlegende Maßnahmen, um das Draußenspielen zu erleichtern. Dabei geht es vor allem um eine bessere Erreichbarkeit von Spielorten, beispielsweise durch kostenfreie Busse oder Bahnen. Auch mehr verkehrsberuhigte Bereiche werden favorisiert. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht auch der Wunsch nach einem autofreien Sonntag pro Jahr. Wenn Kinder nicht draußen spielen, dann liegt das der Umfrage zufolge oft daran, dass ihnen andere Kinder zum Spielen fehlen. Das erklärten 91 Prozent der Befragten. Fast 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen beklagten, dass sie nicht genügend Zeit zum Spielen haben.
Betroffen sind übrigens nicht nur die Kinder in der Stadt. Auch den Kindern auf dem Land fehle es an der entsprechenden Infrastruktur, erklärte die Abteilungsleiterin Kin„sehr der- und Jugendbeteiligung, Claudia Neumann. „Wir sind längst von dem Ideal entfernt, dass alles auf dem Land Bullerbü ist“, sagte sie.
Was die baulichen Maßnahmen angeht, forderte Krüger Bund, Länder und Kommunen zu zielgerichteten Planungsprozessen auf. „Insgesamt ist hier sehr viel Luft nach oben“, kritisierte er. Giffey lenkte den Blick auf Gewalt gegen Kinder, die mutmaßlich zugenommen habe. Kinder dürften nicht nach draußen, auch nicht in die gewohnten Einrichtungen. „Die Ansprechstrukturen fehlen einfach, und die Aufmerksamkeitsstrukturen fehlen auch“, sagte die Ministerin.
Eine Verankerung der Kinderrechte in der deutschen Verfassung lässt derweil weiter auf sich warten. Schwarz-Rot hat sich dafür ausgesprochen, kommt jedoch nicht voran. Ein Vorschlag von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wurde von der Union zurückgewiesen. Das Coronavirus habe die Beratungen im Koalitionsausschuss gestoppt, jetzt müsse der Faden wieder aufgenommen werden, forderte Giffey. Weitere Beratungen müsse es bald geben, denn die erforderliche Grundgesetzänderung brauche Zeit.
Vielen Kindern fehlen die Spielkameraden