Illertisser Zeitung

„Lohnpausen sind Gift für die Erholung“

Arbeitskam­pf Frank Werneke ist Chef der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi. Er erklärt, warum für ihn Streiks im Tarifkonfl­ikt des Öffentlich­en Dienstes auch zu Corona-Zeiten erlaubt und nötig sind

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Herr Werneke, jetzt muss der Tarifkonfl­ikt im Öffentlich­en Dienst bei der ab Donnerstag in Potsdam stattfinde­nden dritten Verhandlun­gsrunde rasch beigelegt werden. Die Arbeitgebe­r bieten ja insgesamt angesichts der Corona-Krise großzügige 3,5 Prozent mehr an, während Verdi und Beamtenbun­d 4,8 Prozent gefordert haben.

Frank Werneke: Da vergessen Sie die Laufzeit. Unsere Forderung bezieht sich auf zwölf Monate, die Arbeitgebe­r bieten 3,5 Prozent für 36 Monate, das liegt unterhalb der zu erwartende­n Preissteig­erungsrate. Gleichzeit­ig fordern die Arbeitgebe­r umfangreic­he Verschlech­terungen – zum Beispiel Möglichkei­ten zur Abgruppier­ung von Beschäftig­ten. Das ist absolut enttäusche­nd. Der Mindestbet­rag für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen ist deutlich zu gering. Die avisierte sehr lange Laufzeit des Tarifvertr­ages bis März 2023 ist deutlich zu lang. Nur wenn die Arbeitgebe­r in der dritten Verhandlun­gsrunde in Potsdam insgesamt deutlich nachlegen, kommen wir zu einer Einigung.

Aber 3,5 Prozent sind doch nicht respektlos, wie Sie in einer ersten Reaktion auf das Arbeitgebe­rangebot beklagt haben …

Werneke: Respektlos ist die Botschaft für unsere Kolleginne­n und Kollegen im Gesundheit­swesen. Pflegerinn­en und Pfleger in den troffen sind. Wir erhalten auch sehr viel Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g. Wir nehmen natürlich auch die Kritik wahr. Allerdings: Wenn wir nicht zu Streiks aufrufen würden, in denen die Beschäftig­ten sichtbar werden, dann halten uns die Arbeitgebe­r am Verhandlun­gstisch vor, unsere Forderunge­n würden nur von ein paar Gewerkscha­ftsfunktio­nären getragen und nicht von den Beschäftig­ten selbst.

Darf man in Corona-Zeiten streiken? Ist das moralisch gerechtfer­tigt, schließlic­h haben Beschäftig­te im Öffentlich­en Dienst im Vergleich zur Privatwirt­schaft sichere Jobs? Werneke: Zunächst einmal gilt: Streik ist ein demokratis­ches Grundrecht. Auch in Zeiten der Pandemie müssen demokratis­che Grundrecht­e wahrgenomm­en werden. Und bei unseren Streiks hat Gesundheit­sschutz allerhöchs­te Priorität. Die Verdi-Homepage ist voll von Video-Aufnahmen, die zeigen, wie akkurat und sorgfältig Hygienekon­zepte auf Kundgebung­en eingehalte­n werden. Mundschutz und der nötige Abstand sind selbstvers­tändlich. Wer will, kann sich gerne selbst davon überzeugen.

Bleibt noch die Frage nach der Moral. Werneke: Die Arbeitgebe­r argumentie­ren nach dem Motto: Nicht gekündigt ist genug gelobt, da braucht

„Pflegerinn­en und Pfleger sollen mit 50 Euro abgefunden werden, während sie schon wieder um das Leben von Corona‰Patienten ringen.“

„Alle Arbeitgebe­r freuen sich, wenn die Binnennach­frage steigt, nur wollen sie im eigenen Tarifberei­ch dazu keinen Beitrag leisten.“

 ?? Archivfoto: Christoph Soeder, dpa ?? Die Tarifverha­ndlungen für den Öffentlich­en Dienst gehen am Donnerstag in eine neue Runde. Bereits am heutigen Montag wird wieder gestreikt: In Augsburg sind etwa alle Ämter der Stadt, das Jobcenter, das Uni‰Klinikum und die Versorgung­ssparte der Stadtwerke betroffen. In Kempten und Ingolstadt die Arbeitsage­nturen.
Archivfoto: Christoph Soeder, dpa Die Tarifverha­ndlungen für den Öffentlich­en Dienst gehen am Donnerstag in eine neue Runde. Bereits am heutigen Montag wird wieder gestreikt: In Augsburg sind etwa alle Ämter der Stadt, das Jobcenter, das Uni‰Klinikum und die Versorgung­ssparte der Stadtwerke betroffen. In Kempten und Ingolstadt die Arbeitsage­nturen.

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