Illertisser Zeitung

„Amerikaner leben in einer Fantasiewe­lt“

Interview Regie-Legende Oliver Stone zieht Bilanz. Er spricht über die Hölle auf Erden in den USA und das Versagen der Politik. Er erklärt, warum Hollywood für ihn tot ist, und erzählt, wie er schon früh zum Außenseite­r wurde

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Ihre Autobiogra­fie heißt „Chasing the Light“. Aber haben Sie auf dieser Jagd denn das Licht gefunden?

Oliver Stone: Das war mit 40 der Fall. Jedenfalls das Licht des Erfolgs. Und zwar als „Platoon“zu einem absolut unglaublic­hen Erfolg wurde. Das war eine „Aschenputt­el“-Geschichte von „Rocky“-Dimensione­n. Hier hatten wir einen unbekannte­n B-Film, der mit wenig Geld auf den Philippine­n gedreht wurde und sich dann zu einem Monsterhit entwickelt­e – auf der ganzen Welt. Vorher hatte mich die gesamte Hollywood-Gemeinde abgelehnt und auf einmal haben mich die Studios wieder mit offenen Armen aufgenomme­n.

Aber die Zeiten, in denen Sie mit Ihren Filmen die Welt bewegten, liegen lange zurück. Bedauern Sie das?

Stone: Nein, denn ich bin glücklich und zufrieden. Ich habe genügend Filme gedreht, und das hat viel Energie gekostet. Es gibt aktuell kein Thema, das mir unter den Nägeln brennt. „Snowden“habe ich vor vier Jahren auch nur gemacht, weil ich die Öffentlich­keit für das Thema des Überwachun­gsstaats sensibilis­ieren wollte. Ich dachte, das wäre meine Verantwort­ung. Aber der Film hat mich auch nicht so begeistert wie ein „Platoon“. Einen Film auf die Beine zu stellen, kostet ein, zwei Jahre deines Lebens. Ich habe keine Motivation, mit 74 irgendetwa­s ohne große Ambition zu drehen, nur um des Filmemache­ns willen. Abgesehen davon ist Hollywood sowieso nicht mehr an mir interessie­rt. Wobei ich mir die Frage stelle: Gibt es Hollywood überhaupt noch?

Stone: Ich hätte gerne die juristisch­e Aufarbeitu­ng des My-Lai-Massakers in Vietnam verfilmt, das war eine großartige Geschichte. Aber das kam nicht zustande, weil die Verhandlun­gen in den Jahren nach dem 11. September liefen. Da kam eine Story über amerikanis­che Soldaten, die ein Blutbad unter Zivilisten anrichten, nicht so gut an. Und mein Martin-Luther-King-Projekt klappte nicht, weil ich auch seine Seitensprü­nge thematisie­ren wollte, und dagegen hatten seine Nachlassve­rwalter etwas einzuwende­n.

Stone:

Stone: wollte, hat man ihn aus dem Weg geräumt. Wir sind eine militarist­ische Gesellscha­ft, die einen Kult der Waffen und Armee betreibt. Die Trillionen, die wir für unseren Verteidigu­ngshaushal­t ausgeben, haben unser Land verdorben. Wir halten uns für die Stärksten auf der Welt, was meines Erachtens ein Trugschlus­s ist. Ich selbst habe die Machenscha­ften des Militärs immer wieder angeprange­rt, nicht zuletzt in meiner Autobiogra­fie, in der ich auf die ganzen Lügen des Vietnamkri­egs eingehe. Wir haben uns nie eingestand­en, wie viele unserer Soldaten von unseren eigenen Truppen versehentl­ich getötet wurden. Wir erzählten die Lüge, dass wir keine Zivilisten umgebracht hätten, und wir logen uns in die Tasche, dass wir diesen Krieg gewinnen konnten. Das ganze Konzept des Siegens war abgefuckt – schon von Beginn des Krieges an. Leider gibt es in den USA viel zu wenige Leute, die es wagen, das Militär herauszufo­rdern. Dafür braucht man eben Mumm. schen keine historisch­e Perspektiv­e. Sie leben in Disneyland oder auf einem Golfplatz. Sie kämpfen nur darum, wirtschaft­lich voranzukom­men. Das ist ihr einziger Gedanke. Doch wir brauchen eine Art Weltbewuss­tsein. Die Menschen in Europa und Asien sind viel gebildeter und lebensklüg­er. Denen geht es nicht nur ums Geldverdie­nen.

Und wie war es bei Ihnen? Sie sind ja auch Amerikaner. Und mit Filmen lässt sich gutes Geld machen.

Stone: Aus diesem Grund ging ich nie in die Filmbranch­e. Ich habe diesen Weg gewählt, weil ich Geschichte­n erzählen wollte. Ich hatte keine Ahnung, dass da so ein Milliarden-Dollar-Blockbuste­r-Business daraus entsteht. Das hat dem Kino sowieso nicht gutgetan, weil Filme, die etwas über unsere Gesellscha­ft aussagen, ins Hintertref­fen gerieten. und auch nicht besonders gebildet. Und er wurde vom Rest der Klasse gemobbt. Er war ganz allein, und er tat mir leid. Also habe ich mich für ihn eingesetzt, was nicht gut ankam. Als Resultat wurde ich ebenfalls zum Außenseite­r. Das hat mir einen ersten guten Einblick vermittelt, wie die menschlich­e Gesellscha­ft funktionie­rt.

Aber in der Filmbranch­e haben Sie dann schon die Ellenbogen ausgefahre­n?

Stone: Im Gegenteil. Als VietnamVet­eran konnte ich mit der Gesellscha­ft lange Zeit nichts anfangen, ich fühlte mich wie ein Wilder. Deshalb habe ich bewusst versucht, besonders behutsam und zivilisier­t mit Leuten umzugehen. Dabei hätte ich mit einigen lieber Tacheles reden sollen. In dieser Branche benimmt man sich ganz schön daneben. Und so wurde ich als Neueinstei­ger von den Leuten, die keine solchen Hemmungen hatten, so richtig ausgenutzt.

 ?? Foto: Imago Images ?? Hat in Filmen wie „Geboren am 4. Juli“und „Platoon“, „JFK“und „Nixon“, aber auch „Snowden“immer auch schon amerikanis­che Geschichte verhandelt: der 74‰jährige New Yorker Oliver Stone.
Foto: Imago Images Hat in Filmen wie „Geboren am 4. Juli“und „Platoon“, „JFK“und „Nixon“, aber auch „Snowden“immer auch schon amerikanis­che Geschichte verhandelt: der 74‰jährige New Yorker Oliver Stone.

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