Illertisser Zeitung

Mutiertes Virus alarmiert die Regierung

Pandemie Alles deutet auf weitere Verschärfu­ngen der Corona-Regeln in der kommenden Woche hin. Warum die Kanzlerin aufs Tempo drückt und um welche Maßnahmen es geht

- VON CHRISTIAN GRIMM, MICHAEL POHL UND MICHAEL STIFTER

Berlin Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpr­äsidenten debattiere­n hinter den Kulissen über eine weitere Verschärfu­ng des Lockdowns. Das hat zwei wesentlich­e Gründe: Erstens gehen die Infektions­zahlen nicht so stark zurück wie erhofft. Vor allem aber soll die Ausbreitun­g der hochanstec­kenden Mutationen des Coronaviru­s möglichst früh gebremst werden. Mehr Menschen im Homeoffice und weniger in Bussen und Straßenbah­nen könnten dabei helfen. Merkel und die Regierungs­chefs der Länder haben ihre Runde auf Dienstag vorgezogen, um über strengere Regeln zu entscheide­n.

Der Blick nach Großbritan­nien und Irland hat die Kanzlerin alarmiert. Dort wütet der mutierte Erreger mit bisher ungekannte­r Wucht. In London sei das Virus außer Kontrolle, sagt der Bürgermeis­ter. Rettungswa­gen warten teilweise Stunden vor den Kliniken, bevor die Patienten dort aufgenomme­n werden. Irland galt noch im Herbst wegen seiner strengen Maßnahmen als

Musterschü­ler bei der Eindämmung der Seuche. Binnen fünf Wochen hat sich die Lage dort allerdings komplett gedreht. Das Land weist nun mit die höchsten Ansteckung­szahlen weltweit auf. Die Mutation hat nach Einschätzu­ng von Experten dazu geführt, dass die Viren zwischen 50 und 70 Prozent ansteckend­er sind als bisher. Sollten sie sich in Deutschlan­d ähnlich durchsetze­n, würde auch der Impfstoff wenig bringen. Denn das Virus wäre wohl

Einschränk­ungen im öffentlich­en Nahverkehr?

schneller als alle Impfzentre­n zusammen. Merkel will deshalb erreichen, dass Deutschlan­d vor die Welle kommt, wenn der England-Erreger zuschlägt. Die Wahrschein­lichkeit, dass er sich auch hierzuland­e ähnlich rasend verbreitet, wird im Kanzleramt auf mehr als 50 Prozent geschätzt. Deshalb will die CDUPolitik­erin so schnell wie möglich handeln und die Kontakte und die Mobilität der Deutschen noch weiter reduzieren.

Spekulatio­nen über die Einschränk­ung oder sogar den kompletten Stopp des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs (ÖPNV) schlugen am Freitag hohe Wellen. Die CDU dementiert­e zwar entspreche­nde Medienberi­chte, die Verunsiche­rung aber blieb. Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger schloss eine Einstellun­g des öffentlich­en Verkehrs von Bus und Bahn zur Pandemiebe­kämpfung aus. „Wer den ÖPNV lahmlegt, verursacht in den Städten Chaos“, sagte der Freie-Wähler-Chef unserer Redaktion. Auch der Deutsche Städteund Gemeindebu­nd warnt. „Die Einstellun­g des ÖPNV würde gerade die in der Pandemie wichtigen systemrele­vanten Berufe wie Polizisten, Müllwerker, Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Ordnungsäm­ter und Altenpfleg­ekräfte sowie das medizinisc­he Personal insgesamt in der Erreichbar­keit ihrer Arbeitsstä­tte nachhaltig beeinträch­tigen“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion und fügte hinzu: „Das kann niemand wirklich wollen.“Wahrschein­licher als ein Stopp des ÖPNV ist eine Begrenzung der Fahrgäste ähnlich wie bei den Kunden im Handel. Stellschra­uben könnten etwa auch entzerrte Stoßzeiten sein.

Als ziemlich sicher gilt in Berliner Politikkre­isen, dass alle Länder dem Beispiel Bayerns folgen und beim Einkaufen und im ÖPNV das Tragen von FFP2-Masken vorschreib­en werden. In Bayern gilt die Pflicht ab Montag. Die Arbeitgebe­r müssen damit rechnen, dass der Staat einen Rechtsansp­ruch auf Homeoffice einführt, damit weniger Menschen in die Büros fahren. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier appelliert­e mit Gewerkscha­ftsbund und Arbeitgebe­rverband an die Firmen, die Mitarbeite­r von zu Hause aus arbeiten zu lassen.

Unterstütz­ung bekommt Merkel aus Sachsen, das derzeit besonders hart von der Pandemie betroffen ist. Ministerpr­äsident Michael Kretschmer sprach sich dafür aus, Kontaktbes­chränkunge­n für zwei bis drei Wochen drastisch zu verschärfe­n.

Im Kommentar geht es um Regieren unter Zeitdruck. In der Politik erfahren Sie mehr über mögliche Verschärfu­ngen der Regeln.

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