Sally Rooney bekommt Gesellschaft
Edith hier, Julian da – die 22-jährige Ava versucht in Naoise Dolans Debütroman „Aufregende Zeiten“vergeblich, ihren Gefühlen Fesseln anzulegen. Die junge Irin unterrichtet an einem Institut in Hongkong Englisch und hat sich eigentlich bei dem gefühlskalten Banker Julian einquartiert. Der sitzt im Turm seiner erreichten Ziele und kann keine Emotionen an sich ranlassen, da er die grenzenlose Langeweile in seinem Leben dann nicht länger ignorieren könnte. Ava ringt indes um die nonchalante Frau, die sie zu sein beschlossen hat. Doch dann tritt Edith auf den Plan. Fröhlich, lebendig und mit dem Mut zu einer tiefen Verbindung zieht sie Ava unwiderstehlich an. Sie lässt sich auf Edith ein, kann gleichzeitig aber nicht auf ihre Rettungsanker Julian verzichten. Bald ahnt Ava, dass sie ihre Gefühle trotz aller Bemühungen nicht einpferchen kann. Doch sie merkt auch, dass es sich ohne sicheren Boden unter den Füßen zwar wackliger steht, aber tiefer lebt.
Die Irin Naoise Dolan, selbst noch keine 30, schreibt scharfzüngig, ironisch und unerbittlich ehrlich über die Unsicherheiten des Erwachsenwerdens und die Suche nach Identität. Sie erforscht Klassenfragen und den Widerspruch zwischen feministischen Idealen und gesellschaftlicher Wirklichkeit – und wird bereits als neue Sally Rooney gehandelt. Zudem hat Dolan das Talent, sehr menschliche Charaktere zu zeichnen, ohne sie an Kitsch zu verfüttern oder die Seele des Buchs beim Namen zu nennen. Naomi Rieger
Naoise Dolan: Aufregende Zeiten
A.d.Engl. von An ne Kristin Mittag, Rowohlt,
320 Seiten, 20 Euro
Carole Fives: Kleine Fluchten A.d. Franz. von Anne Braun, Zsolnay,
144 Seiten, 19 Euro