Corona-Gipfel abgesagt: Das ist eine Bankrotterklärung Leitartikel
Es stimmt ja: Wir alle müssen uns noch einmal zusammenreißen, um die Pandemie zu überstehen. Nur wann reißen sich die Krisenmanager endlich zusammen?
Nie klafften wissenschaftliche Expertise und politisches Nichtstun in der CoronaKrise weiter auseinander als in diesen Tagen. Am Montag sollte endlich die wochenlange Taktiererei samt weitgehender Tatenlosigkeit enden. Der Termin der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten hätte einen Wendepunkt inmitten der dritten Welle markieren können. Die Regierenden hätten endlich beweisen können, dass sie handlungsfähig und handlungswillig sind. Doch sie haben sich entschieden, lieber noch ein bisschen abzuwarten. Aus Angst, das Treffen könnte wieder in Streit und Chaos enden, haben sie es einfach abgesagt. Das ist eine politische Bankrotterklärung.
Um die Pandemie wieder in den Griff zu bekommen, müsste man das Land eigentlich noch einmal für ein paar Wochen radikal herunterfahren. Das sagen nicht nur Wissenschaftler oder die Ärzte auf den Intensivstationen, die seit Wochen zunehmend verzweifelt vor dem drohenden Kollaps warnen. Das sagen auch verantwortliche Politiker wie Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn (der erst am Freitagvormittag wieder dringend appellierte, keine Zeit mehr zu verlieren) oder die Ministerpräsidenten und potenziellen Kanzlerkandidaten Markus Söder und Armin Laschet. Sie sagen es, als seien ihnen die Hände gebunden. Als müsste irgendeine andere höhere Macht diese unangenehme Entscheidung treffen, von der doch alle zumindest ahnen, dass sie unausweichlich sein wird.
Natürlich ist es kompliziert und anstrengend, einen solchen Gipfel vorzubereiten. Natürlich stoßen die Interessen von Ländern, die an der Belastungsgrenze sind, und anderen, in denen die Ansteckungszahlen noch einigermaßen beherrschbar erscheinen, hart aufeinander. Aber wofür haben Politiker die Macht vom Volk bekommen, wenn nicht dafür, eine Katastrophe wie diese Pandemie gemeinsam und entschlossen abzuwenden?
Seit dem Desaster um die wieder einkassierte, weil nicht zu Ende gedachte „Osterruhe“war doch klar, dass die Sache damit nicht erledigt ist. Dass der nächste Gipfel umso entscheidender wird. Doch zu viele haben offenbar nur auf bessere Zeiten oder besseres Wetter gehofft, anstatt mehrheitsfähige Konzepte zu entwickeln. Jetzt soll es schon ein Fortschritt sein, wenn alle Länder sich wenigstens verbindlich an die gemeinsam vereinbarte (!) „Notbremse“in Regionen mit stark ansteigenden Infektionszahlen halten? Ernsthaft?
Die Angst vor einem neuen Debakel führt zu einem neuen Debakel. Die Bevölkerung schaut ohnmächtig zu. Das Wort „mütend“wird zum Trend in sozialen Netzwerken – eine Kombination aus müde und wütend, die den Gemütszustand eines ganzen Landes ziemlich gut beschreibt. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, sie müssten sich jetzt selbst schützen, weil von dieser Regierung nichts mehr zu erwarten ist.
In einem letzten Kraftakt versucht Angela Merkel, die Macht an sich zu reißen, das zermürbende und frustrierende Hickhack der vergangenen Wochen zu beenden und den Kampf gegen die dritte Welle zur Chefsache zu machen. Doch eine Fraktion der Landesfürsten – sogar aus der eigenen Partei – lässt die Kanzlerin kühl auflaufen. Macht scheint manchem wichtiger als Machen.
Wie oft haben wir in den vergangenen Monaten von führenden Politikern gehört, dass wir noch einmal eine Kraftanstrengung brauchen, dass wir uns noch ein letztes Mal zusammenreißen müssten. Doch wann reißen sich die Entscheider endlich zusammen? Wann wird der Kampf gegen die Pandemie endlich wichtiger als Ego-Trips und persönliche Eitelkeiten?
Macht scheint manchem wichtiger als Machen