Wohin mit all den Kälbern?
Landwirtschaft Im Allgäu gibt es etwa 200 000 Milchkühe – jede von ihnen bekommt jährlich Nachwuchs. Die jungen Tiere bleiben meist nicht in der Region. Initiativen wollen das ändern
Kempten Wer ans Allgäu denkt, der denkt nicht selten an Berge, grüne Wiesen, frische Milch und Käse. Was der ein oder andere dabei vergisst: Wo es Milchkühe gibt, da gibt es auch Kälber. Ohne sie funktioniert der Kreislauf nicht. In der Folge werden jedes Jahr tausende junge Tiere nach Norddeutschland oder ins Ausland verkauft. Eine neue Plattform will das ändern und setzt sich unter anderem dafür ein, dass möglichst viele Kälber in der Region bleiben können. Das Motto: Milch und Fleisch gehören zusammen.
Etwa 200 000 Milchkühe gibt es im Allgäu, sagt Franz Birkenmaier vom Fachzentrum Rinderzucht am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Kempten. Im Schnitt bekomme jede von ihnen ein Kalb pro Jahr, etwa die Hälfte seien männliche Tiere. „Das Kälberaufkommen in Süddeutschland ist enorm“, bilanziert Christoph Busch, Bereichsleiter Exportvermarktung der Allgäuer Herdebuchgesellschaft. Jeder sei zwar daran interessiert, die Tiere regional zu vermarkten, das sei bei der schieren Menge aber kaum möglich. Weder gebe es genug Mastplätze noch eine ausreichende Futtergrundlage.
Etwa 30 Prozent der Kälber, alles weibliche Tiere, behalten die Landwirte laut Busch im Betrieb. Sie werden später gedeckt und sollen selbst einmal Milch geben. Die übrigen 70 Prozent würden verkauft, wenn sie etwa dreieinhalb bis fünfeinhalb Wochen alt sind. Weniger als ein Drittel von ihnen bleibe in der Region. Ein Großteil der Kälber komme zu Mastbetrieben nach Norddeutschland, auch in Italien und Spanien gebe es Abnehmer. Die Preise variierten aktuell je nach Rasse zwischen 2,70 und 5,70 Euro pro Kilo. Weniger gut entwickelte Tiere würden teils für etwa 70 Euro verkauft. Busch glaubt: „Einigen Verbrauchern ist gar nicht bewusst, dass Kühe regelmäßig kalben müssen, um Milch zu geben.“
Eben dieses Bewusstsein schaffen, die Kälber in der Region halten und regionales Fleisch vermarkten wollen mehrere Initiativen. Das
Projekt Günztal Weiderind steht beispielsweise für Fleisch vom Original Braunvieh aus naturnaher Weidehaltung. Und die Öko-Modellregion Oberallgäu Kempten hat jüngst die Plattform www.milchund-fleisch.de ins Leben gerufen. „Es braucht regionale Vermarktungsmöglichkeiten für die Milchviehkälber unserer Betriebe und ein Bewusstsein beim Konsumenten, dass die Nachfrage nach heimischem Weiderindfleisch die Landwirtschaft vor Ort unterstützt und der Nachfrage nach Milch folgen muss“, sagt Beate Reisacher, die das Projekt mitbetreut.
Das glaubt auch der Oberallgäuer Sebastian Uhlemair. Der Familienvater ist hauptberuflich Ingenieur für Gebäudetechnik und führt in Rettenberg einen Mastbetrieb. Aktuell hat er 15 Rinder, im Sommer kommen noch Pensionstiere dazu. Er kauft beinahe ausschließlich männliche Kälber aus dem Allgäu, die drei Monate lang mit Vollmilch aufgezogen wurden. „Ich stelle vermehrt fest, dass es den Verkäufern wichtig ist zu wissen, wo ihre Tiere unterkommen“, sagt er. Im Alter von etwa 27 bis 30 Monaten würden die Rinder geschlachtet, beim Verkauf setzt Uhlemair auf Direktvermarktung. „Reich werde ich damit aber nicht. Mir geht es um Wertschätzung und ein zweites wirtschaftliches Standbein.“
Erich Krug, Leiter der Geschäftsstelle Oberallgäu-Lindau des Bayerischen Bauernverbandes, hält es für sinnvoll, sich für die regionale Vermarktung von Kälbern einzusetzen. Doch er sagt auch: „Jeder will Fleisch aus der Region, aber die Kosten müssen gedeckt sein. Eine Landwirtschaft ist kein Hobbybetrieb.“Die Nachfrage bestimme, wie überall, das Angebot. Und viele Verbraucher seien nicht bereit, einen höheren Preis für heimisches Fleisch zu zahlen – manche, weil sie nicht können, andere, weil sie nicht wollen oder sich nicht mit dem Thema Lebensmittel auseinandersetzen. „Ließe sich im Allgäu mit der Mast ein Einkommen erzielen, von dem man leben kann, wären einige Landwirte sicherlich bereit umzustellen“, sagt Krug.