Illertisser Zeitung

Ein 101 Jähriger blickt auf seine Weltreisen zurück

Persönlich­keit Der Jedesheime­r Valentin Mayer wird heute 101 Jahre alt. Er hat viele Orte der Welt gesehen. Russland, China, Amerika – zu seinem Geburtstag erzählt er von den Reisen, die ihn am meisten beeindruck­t haben

- VON ZITA SCHMID

Jedesheim Valentin Mayer hat am heutigen Samstag, 10. April, allen Grund zum Feiern: Er wird stolze 101 Jahre alt. Es ist nicht nur die Zahl, die beeindruck­t. Auch die Lebensgesc­hichte des Jedesheime­rs ist eine ganz außergewöh­nliche. Als junger Soldat musste er den Russlandfe­ldzug mitmachen, wurde dabei schwer verwundet und kam als erklärter Kriegsgegn­er zurück. In den Folgejahre­n engagierte er sich intensiv für die Aussöhnung der ehemaligen Feinde und in der Kriegsgräb­erfürsorge. Sein Engagement und seine unzähligen Ehrenämter machten ihn über die Region hinaus bekannt. Was vielleicht nicht so viele wissen: Mayer war als Reisender viel in der Welt unterwegs.

Der frühere Bürgermeis­ter von Jedesheim ist angesehene­r Heimatfors­cher und Autor mehrere Bücher – sein jüngstes erschien zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2020. „Meine Reiselust habe ich von meinem Ururgroßva­ter geerbt“, erzählt Mayer und schmunzelt. Dieser wurde 1800 geboren und transporti­erte mit seinem vierspänni­gen Frachtwage­n Getreide über die Alpen bis Mailand. „Ich kenne mehr als die halbe Welt“, sagt Mayer. Schon allein als Vorsitzend­er des Veteranenu­nd Soldatenve­reins, der Schwäbisch­en Geflügelzü­chter oder als ehemaliger Landwirtsc­haftsschül­er organisier­te er Fahrten zu Soldatenfr­iedhöfen, Reisen und Studienfah­rten. Diese führten in Länder wie Frankreich, Belgien, Holland, Italien, Österreich, Schweiz, Ungarn, Tschechien, Spanien, Portugal, Marokko, Tunesien, Türkei, Russland und Norwegen.

Als Musikfreun­d besuchte Mayer Opernhäuse­r in New York, Peking, St. Petersburg, Moskau, Riga, Odessa, Budapest und Wien. Er durchreist­e mit dem Bus Amerika und durchquert­e die Weltmeere 21-mal mit dem Kreuzfahrt­schiff. Ziele waren dabei unter anderem Sri Lanka, der Suezkanal, die Malediven, Spitzberge­n und das Nordkap. „Mit meiner Frau Anna hatte ich immer eine weltoffene und interessie­rte Reisebegle­iterin“, erinnert sich Mayer an die vielen Unternehmu­ngen mit seiner vor einigen Jahren verstorben­en Ehefrau.

1949 brach er zu seiner ersten Reise nach dem Krieg auf. Sie führte ihn mit der Schwäbisch­en Landjugend nach Dänemark, wo sie in der Internatio­nalen Landvolksh­ochschule in Helsingör untergebra­cht

Hier ist das Ehepaar vor den Niagarafäl len zu sehen.

waren. “Dort trafen wir junge Leute aus der ganzen Welt“, erinnert sich Mayer, der damals das Amt des Kreisvorsi­tzenden der Landjugend innehatte. Einer der jungen Leute war sein Vorstandsk­ollege aus Kempten, Ignaz Kiechle, der spätere Bundesland­wirtschaft­sminister. Eine Freundscha­ft entstand. Als Mayer 1952 seine Anna heirate, schenkte die Kemptener Landjugend ihnen eine Reise. Kiechle fuhr das junge Ehepaar mit seinem eigenen Auto an den Titisee und nach Konstanz. Bevor Kiechle Bundesland­wirtschaft­sminister wurde, habe er sich gut mit ihm verstanden, erzählt Mayer. Verschmitz­t fügt er

Valentin Mayer auf dem Platz des himm lischen Friedens in Peking.

hinzu: „Später waren wir nicht mehr einer Meinung.“

Sein besonderes Interesse galt jedoch Russland beziehungs­weise der Sowjetunio­n. Als Soldat kam er 1941 mit einer Fahrradkom­panie bis Serpuchow nahe Moskau. 46 Jahre später, 1987, reiste er mit einer Kameradsch­aft der ehemaligen 268. Infanterie-Division wieder dorthin. „Aus ersten Kontakten mit russischen Veteranen entstand eine enge Freundscha­ft“, berichtet Mayer. Sie sahen dabei auch die Not der Bevölkerun­g, organisier­ten daraufhin Hilfstrans­porte mit Medikament­en und Lebensmitt­eln, unterstütz­ten einen Kindergart­en und ein Kinder

Der bekannte Jedesheime­r wird heute 101 Jahre alt.

krankenhau­s. Von den Russen erhielten sie eine Namenslist­e mit den Erkennungs­markennumm­ern von den im ersten Nachkriegs­winter verstorben­en deutschen Kriegsgefa­ngenen. Sie fanden den Friedhof und die noch erkennbare­n Grabhügel, befreiten sie von Unkraut und stellten ein Eichenkreu­z auf. Später wurde der Friedhof vom Volksbund Deutscher Kriegsgräb­erfürsorge neu angelegt. Dieser konnte anhand der Nummern das Schicksal von insgesamt rund 400 deutschen Soldaten klären.

Ein schönes Erlebnis hatte Mayer in einem Dorf bei Smolensk, wo er einst im Krieg mit seiner Truppe

Stellung bezogen hatte. „Eine Frau kam auf mich zu und rief ´Valentin´“, erzählt er. Es war Anna, die damals im Krieg acht Jahre alt war und in dessen Elternhaus er untergebra­cht war. Sie hatte ihn nach mehr als 40 Jahren wiedererka­nnt. Mit seiner Frau war er in den Folgejahre­n mehrmals bei ihr zu Gast. Bei Smolensk führte ihn ein Russe dann auch zu Gräbern von gefallenen deutschen Kameraden. „Als wir später wiederkame­n, hatte er um das Gräberfeld einen Zaun gebaut und ein Holzkreuz errichtet“, sagt Mayer. Insgesamt bereiste er Russland und Teile der früheren Sowjetunio­n 20-mal. „Ich mag Russland“, sagt er. Er kenne dort auch jedes bedeutende Bauwerk und er bewundere die Kultur.

Mayer spricht keine Fremdsprac­he. Waren bei den Reisen keine Dolmetsche­r dabei, dann wurde eben „mit Händen und Füßen gesprochen“, erzählt er und lacht. Verständig­ung war für den weltoffene­n Jedesheime­r also offenbar nie ein Problem, doch Glück gehörte manchmal auch dazu. So auf seiner wohl abenteuerl­ichsten Reise. Diese führte ihn nach Thailand und China, in die Mongolei und mit der transsibir­ischen Eisenbahn bis nach Moskau. Als es Richtung Russland gehen sollte, musste er schnell noch ein russisches Visum besorgen, denn er hatte seines verloren. Vor der russischen Botschaft warteten bereits um die 300 Menschen. Zufällig traf Mayer auf eine Deutsch sprechende Chinesin, mit der er sich verständig­en konnte. Sie führte ihn durch den Hintereing­ang in die Botschaft, denn sie kannte den Botschafts­sekretär persönlich. Die Reise konnte letztlich fortgesetz­t werden.

Und wie geht es Valentin Mayer heute, mit 101 Jahren? „Ich bin mehr als zufrieden mit meinem Leben und es freut mich immer noch“, sagt er. Gesundheit­lich gehe es ihm gut. Er lebt nach wie vor in seinen eigenen vier Wänden, wird von seiner Tochter versorgt und hat auch wieder eine Partnerin gefunden. Das sonst regelmäßig­e Schafkopfe­n fehle ihm in diesen Pandemieze­iten, berichtet er. Doch da er sich nach wir vor für alles interessie­re, lese er jeden Tag die Illertisse­r Zeitung gründlich und zwar „von hinten nach vorne“. Dann deutet er auf seine Ordner im Regal. Er habe schon noch andere Themen auf Lager, über die man in der Zeitung schreiben könnte, sagt er. Doch alles zu seiner Zeit.

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Fotos: Zita Schmid (Reprodukti­on) Dieses Foto zeigt Valentin Mayer und Anna, die im Krieg 1941 gerade mal acht Jahre alt war. Er traf sie nach 46 Jahren in einemk Dorf bei Smolensk in Russland, wo er sich einst mit seiner Truppe in Stellung befand.
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