Mut steht nicht im Protokoll
– Die Frage „Ist das eine alte Hand?“kannte ich vor der Krise nicht. Gemeint: ob eine virtuelle Hand nach dem Redebeitrag noch oder schon wieder erhoben ist. Das Adjektiv „coronös“setzt sich gemächlich durch; weil das Zersetzende mitklingt? Erstmals lese ich „Nasenpimmel“, was ich begrenzt schlüssig finde: wenn die Nase unbedeckt ist.
– Mitten in der Pandemie nach Leipzig zu ziehen, bedeutete erste Wochen im Hotel, ohne auch nur eine Begegnung mit einem Menschen (abgesehen vom Check-in).
Die Kneipen und Cafés der gerühmten „KarLi“(Karl-Liebknecht-Straße) sehen verrammelt so aus, als könne das Leipziger Leben einst glamourös gewesen sein oder dereinst werden. Vergangenheit und Zukunft sind die Zeiten der Pandemie, starr steht die Gegenwart. Lebenszeit verrinnt trotzdem.
– Eine Schwäche der Merkelwelt liegt in der
Protokollführung. Da sitzt die Runde der Kanzlerin digitalisiert zusammen, man redet geordnet, aber nicht immer: Oft ruft’s und schimpft’s von irgendwoher. Als gesagt und beschlossen gilt nur, was im Protokoll landet, doch nicht alles Wichtige landet dort. Manchmal werden Dinge, die im Gespräch noch leuchteten, im Ergebnisprotokoll zur Banalität: Gerade noch originelle Sätze stehen auf einmal verfloskelt da, nun zu Recht ignoriert.
– Zudem: Die meisten Teilnehmer haben ihre Telefone neben sich liegen, und nicht wenige berichten live an die Außenwelt; manche verdrehen das soeben Gehörte und erklären Ungesagtes zu Gesagtem. Was nach außen dringt, gilt gleichfalls als beschlossen, das sei die Macht der Parallelprotokolle, so sagt es ein Ministerpräsident.