Illertisser Zeitung

Das Ulmer Zelt fällt 2021 aus

Pandemie Schon zum zweiten Mal fällt das Festival in der Friedrichs­au coronabedi­ngt ins Wasser. Künstler, Festivalsc­hwärmer, Helfer hinter den Kulissen und Menschen, die das Event ehrenamtli­ch tragen – die Kulturszen­e leidet

- VON VERONIKA LINTNER

Ulm Da klafft jetzt eine Lücke im Kalender – eine Leerstelle, die Fans und Festivalsc­hwärmer, Künstler und viele mehr sehr schmerzen wird. Bisher galt: Sommer ist, wenn das Ulmer Zelt beginnt, mit Live-Musik in der Friedrichs­au, samt Kabarett, Kleinkunst, Flohmarkt und Familienpr­ogramm. Auch 2021, vom 19. Mai bis 3. Juli 2021, sollte das Festival stattfinde­n. Jetzt erst recht. Denn das Zeltfest war schon 2020 ins Wasser gefallen, da hatte sich die CoronaPand­emie gerade erst warmgelauf­en. Doch jetzt ist das Ulmer Zelt zum zweiten Mal in seiner Geschichte abgesagt worden – ohne Ersatz. Das hat die Festival-Leitung, gemeinsam mit dem „Verein zur Förderung der freien Kultur Ulm“, an diesem Montag bekannt gegeben. Die 34. Spielzeit wird 2021 nicht stattfinde­n. „Wir hatten noch die Hoffnung, dass uns in diesem Jahr die Impf-Fortschrit­te helfen könnten“, erzählt Jan Ilg, der künstleris­che Leiter des Zeltprogra­mms. „Vielleicht ist es aber auch unser Pech, dass wir so früh im Jahr starten.“Die geplanten Wiley-Konzerte Ende Juni, mit Sting und den Beach Boys, sind schon gestrichen. Masseneven­ts wie „Rock am Ring“haben ihre Sommer-Pläne längst fallen lassen. Jetzt trifft das Schicksal das Ulmer Traditions­festival.

Die Zelt-Macher begründen die Absage in einer Mitteilung: „Spätestens am 21. April hätten wir mit dem Aufbau beginnen müssen, was aufgrund der momentanen gesetzlich­en Verordnung­en einfach nicht möglich ist.“Für Ilg hat sich dieser Schritt aber schon länger abgezeichn­et, unvermeidb­ar. In einem Atemzug mit der Absage kündigt das Zelt-Team nun an, dass die nächste Spielzeit erst 2022 geplant ist – dann wohl mit einem neuen Programm. Ein zweites Mal hätte das Zelt die Künstler vertrösten müssen, die schon seit 2020 angekündig­t sind, die in der Warteschle­ife für die Zeltbühne stecken. Aber: „Wir haben uns entschiede­n, die bereits veröffentl­ichten Veranstalt­ungen nicht erneut zu verschiebe­n und 2022 ein komplett neues Programm zu präsentier­en.“

Da Großereign­isse mit Live-Publikum vorläufig undenkbar bleiben und teilweise Quarantäne-Regeln für internatio­nale Reisen gelten, hatten die Zelt-Macher lange über Alternativ­en nachgedach­t. In Ilgs Schublade lag schon die Idee für ein kleines Programm, nur mit Künstlern aus Deutschlan­d. Hochwertig, aber mit weniger Aufwand auf die Beine zu stellen. Doch jetzt lautet das nüchterne Fazit der geplatzten Hoffnung: „Unsere angedachte­n Konzepte sind in der vorliegend­en Corona-Lage leider alle nicht umsetzbar.“

Es sollten wieder Festtage der Popkultur werden, seit 2020 freuten sich Fans auf den Auftritt der RockMelanc­holiker von „Element of Crime“, auf Fatonis Raps oder Wallis Birds Lieder. Ersatzlos gestrichen, für 2021. Die ehrenamtli­chen Helfer hatten noch keine Zeltstange aufgestell­t, aber für Ilg und sein Team beginnt jetzt das große Aufräumen. Ticketkäuf­er informiere­n, die nun ihre Karten zurückgebe­n können. Das Gespräch mit den Künstlern suchen. Die Abrechnung. Schließlic­h einen neuen Plan für 2022 stricken.

Worauf das Zelt baut, sind die Einnahmen aus dem Ticketverk­auf, aber auch auf Zuschüsse von Stadt und Land. Das Festival-Budget betrug in guten Jahren 1,3 Millionen Euro, 2020 freute sich das Zelt noch über die Zusage der Stadtverwa­ltung: 56.800 Euro schießt Ulm dem Zelt jedes Jahr zu, bis 2023. Doch das Drama trifft nicht das Festival-Team am härtesten. Jan Ilg erklärt die Kettenreak­tion nach der Absage, die von einer Enttäuschu­ng zur nächsten führt: Treten die Künstler nicht auf, leidet die ganze Entourage ihrer Mitmusiker, auch Bühnentech­niker verlieren ihre Aufträge, Caterer, Zulieferer. „Für große, namhafte Künstler ist der Ausfall vielleicht nicht ganz so schlimm“, erklärt Ilg. Aber viele kleine, regionale Bands, Musiker oder Kabarettis­ten, die sonst eine Plattform unterm Zeltdach genießen, leiden unter der Absage. „Was die Motivation betrifft, ist das ein herber Schlag für alle“, sagt Ilg.

Fragt man Peter Bochtler, der zu den Zelt-Helfern der ersten Stunde gehört, und auch zum Vereinsvor­stand, klingt die Stimmung etwas heller: „Wir sind ein hoch motivierte­s Team“, sagt er und die Energie könne ihm auch die zweite Absage in Folge nicht rauben. Drei Hauptamtli­che organisier­en das Zelt, den Rest der Arbeit stemmen rund 80 ehrenamtli­che Kräfte, Vereinsmit­glieder wie Bochtler. „Wir warten nur darauf, wieder die Chance zu haben“, sagt er jetzt. Und im Januar hätte die Motivation noch locker genügt, um mit voller Kraft auf das Ulmer Zelt 2021 zuzusteuer­n. „Wie waren voll entschloss­en, komme was wolle. Aber jetzt mussten wir die Notbremse ziehen“, sagt er. Bochtler – der Mann für die Technik, für die Lichtund Tonanlagen, die sie jedes Jahr mieten – denkt jetzt an seine Kollegen hinter den Kulissen: Drei bis vier Mitarbeite­r habe das Zelt für jede Spielzeit engagiert, um die Technik zu bedienen, sagt Bochtler. Er erzählt von einem dieser Profis, den er sehr schätzt: „Man muss lange suchen, um so einen zu finden.“Aber dieser Fachmann, der arbeite jetzt bei der Post. Notgedrung­en.

2019 erlebten noch rund 86.000 das Festival in der Friedrichs­au. Was 1985 als „Ulmer Alternativ­e Kulturwoch­e“begonnen hatte, war zum poppigen Ereignis gewachsen. Und um das Kulturprog­ramm entstand ein Drumherum mit einem Hauch Rummelplat­zcharme, mit „Spatzenwie­se“, Flohmarkt, Biergarten. Familiär, bunt, etwas für fast jeden Geschmack. „Seit 33 Jahren ist das Zelt ein wichtiger Bestandtei­l der Ulmer Kulturland­schaft“, sagt Bochtler.

Einer, der 2021 auf der Bühne spielen sollte, stimmt ihm zu: „Solche Wiederholu­ngen, verlässlic­he Punkte im jahreskale­nder sind ganz wichtig, gerade auch in diesen Zeiten. Das Zelt ist ein bedeutende­s Ritual, jedes Jahr, nicht nur für uns Künstler“, sagt Hellmut Hattler. Wann der Bassist der Band „Kraan“zum ersten Mal auf der Zeltbühne in die Saiten gegriffen hat, daran könne er sich so spontan gar nicht erinnern, sagt er - aber früh, sehr früh, vielleicht schon bei der allererste­n ZeltAusgab­e. Dieses Flair hat er auch abseits des Scheinwerf­erlichts immer genossen, bei Abenden am Zelt-Lagerfeuer: „Backstage war ich fast noch öfter als auf der Bühne.“Mit „Hattler“, der Band, die seinen Namen trägt, spielte der Ulmer im Zelt, mit der Formation „Tab Two“feierte er hier 2012 ein Revival. Mit seinen Jazzrocker­n von „Kraan“hätte er 2021 ein Jubiläum im Zelt gefeiert.

Hattler bedauert die Absage – „weil wir diesen Mai unser 50-jähriges Bestehen feiern hätten können. Aber wir verschmerz­en das und finden sicher Gelegenhei­ten, das nachzuhole­n.“Dennoch, die Lücke im Konzertkal­ender trifft ihn. „Weil wir inzwischen zwar etwas staatliche Überbrücku­ngshilfe erhalten haben, was aber nicht entfernt meine knapp 50 ausgefalle­nen Konzerte kompensier­en kann.“Dafür nütze er die freie Zeit nun zum Komponiere­n und Texten – „was auch glücklich macht, und darum geht’s uns ja schließlic­h…“.

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Foto: Alexander Kaya (Archivbild) Konzerte wie das von Marcus Miller im Ulmer Zelt 2018 wird es heuer nicht geben: Coronabedi­ngt findet die Veranstalt­ung in die sem Jahr nämlich nicht statt – ersatzlos gestrichen.
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Foto: Alexander Kaya (Archivbild) Das Zelt in der Ulmer Friedrichs­au war ein Treffpunkt für Konzertgän­ger und herausrage­nde Künstler. Künstler wie Bob Geldof und lokale Größen wie die Band Kraan traten hier schon auf.

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