Illertisser Zeitung

Dann halt nicht

Analyse Aus Sicht der CSU war Markus Söder der unverhinde­rbare Kanzlerkan­didat. Einer, an dem auch die CDU nicht vorbeikomm­en konnte. Sie konnte. Am Tag von Söders Niederlage nennt ihn sein treuer Generalsek­retär „Kandidat der Herzen“. Was ist da passiert

- VON ULI BACHMEIER UND STEFAN LANGE

München Sieger sehen anders aus. Hier steht nicht mehr „Markus Söder, der Unverhinde­rbare“. Hier steht „Markus Söder, der . . .“– ja, wer eigentlich?

Schon am Vormittag vor dieser vielleicht kürzesten CSU-Pressekonf­erenz aller Zeiten hieß es aus der Staatsregi­erung, der Chef sei „erkennbar angefasst“. Dann, um 12 Uhr mittags, der Showdown im Franz-Josef-Strauß-Haus. Söder tritt vor die Landtagspr­esse. Er versucht, normal zu wirken. Seine Augen verraten ihn. Alles ist anders gekommen, als er es sich erdacht, erhofft, erträumt hat. Er vermeidet – ganz gegen seine Gewohnheit – jeden Blickkonta­kt, jedes augenzwink­ernde Servus. Er spricht kurze, vorbereite­te Sätze. Söder sagt: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Würfel sind gefallen.“Er sagt: „Armin Laschet wird Kanzlerkan­didat der Union.“Und er sagt: „Mein Wort, das ich gegeben habe, gilt seit einer Woche.“

Der Versuch, erhobenen Hauptes als fairer Verlierer eines erbitterte­n Machtkampf­s vom Platz zu gehen, ist erkennbar. Doch der CSU-Chef weiß, dass er noch ein bisschen mehr tun muss. Der Vorwurf des Wortbruchs gegenüber seinem Konkurrent­en, dem Vorsitzend­en der großen Schwesterp­artei CDU, muss so schnell wie möglich vom Tisch.

Es ist fast wie in der weltberühm­ten Novelle des schottisch­en Schriftste­llers Robert Louis Stephenson: Der ungeheuerl­iche „Mr. Hyde“muss sich wieder in den braven „Dr. Jekyll“zurückverw­andeln. Der CSU-Chef will nach einer Woche finsterer Machenscha­ften wieder auf die helle Seite der Macht.

Markus Söder begeistert sich für Science-Fiction, also Star Wars (Krieg der Sterne), Star Trek (Raumschiff Enterprise) und solche Sachen. Seine Helden heißen Luke Skywalker oder Captain Kirk. Eine Geschichte verdient dabei besondere Beachtung: Der junge James Tiberius Kirk war noch gar nicht Captain, da schaffte er, was vor ihm noch kein Kadett der Sternenflo­ttenakadem­ie geschafft hatte. Er löste den eigentlich unlösbaren „Kobayashi-Maru-Test“. Bei dem Test geht es gar nicht darum, ihn zu lösen. Er soll nur Aufschluss über den Charakter des Kadetten geben und die Frage beantworte­n, wie er sich in einer ausweglose­n Situation verhält. Der ebenso arrogante wie listige Kirk wollte sich dieser Situation allerdings nicht aussetzen und manipulier­te kurzerhand die Testbeding­ungen. Der Schwindel flog auf,

Wollte er so raffiniert sein wie Captain Kirk?

aber das stand der grandiosen Karriere des jungen Raumschiff­kapitäns nicht im Weg. Kirk setzte neue Maßstäbe im Kampf gegen all die Bösewichte, die ihm in den unendliche­n Weiten des Weltraums vor die Phaser-Waffen kamen.

In der bundesdeut­schen Politik werden Manipulati­onen üblicherwe­ise nicht geduldet. Karl-Theodor zu Guttenberg, der bekanntest­e Freiherr aus den Reihen der CSU und einst der mit Abstand beliebtest­e Politiker des Landes, musste seine Ämter schon wegen einer manipulier­ten Doktorarbe­it abgeben. Sehr zur Freude seines Konkurrent­en Söder. Versierte Strategen sahen freilich schon damals den Fehler Guttenberg­s nicht so sehr in der Manipulati­on der Doktorarbe­it, sondern in seiner Krisenkomm­unikation.

Hätte Guttenberg schnell reagiert und gleich frech gesagt: „Was soll’s, sch ... auf den Doktor, ich hab doch nur abgeschrie­ben, wie in der Schule, wie viele andere auch“– er wäre vielleicht mit einer Schramme davongekom­men und ohne Doktortite­l Verteidigu­ngsministe­r geblieben. Von ein paar eingebilde­ten Akademiker­n abgesehen, so wurde gemutmaßt, hätte ihm das wohl niemand lange krummgenom­men.

War Söders Kalkül von dieser Art? Wollte er so raffiniert sein wie Captain Kirk? Wollte er mit mehr Chuzpe zu Werke gehen wie Guttenberg? Dachte er wirklich, er könnte die CDU und ihren frisch gewählten Parteivors­itzenden mit einer Finte überlisten? Sein entscheide­ndes taktisches Manöver vom Sonntag vor einer Woche, das ihm die Kanzlerkan­didatur bringen sollte, lässt das vermuten.

Söder sagt zur CDU-Führung: Ich bin bereit, wenn die CDU mich will. Die CDU-Führung sagt tags darauf: Nein, wir wollen dich nicht. Söder kontert: Ihr seid aber nicht die CDU. Ätsch. Reingefall­en. In „kleinen Hinterzimm­ern“wie Präsidium und Vorstand der CDU könne eine Frage von dieser Bedeutung doch nicht entschiede­n werden.

Söders große Vorbilder in Sachen moderner politische­r Strategie – der französisc­he Präsident Emmanuel Macron und der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz – lassen grüßen. Söder en marche. Ich und das Volk. Was schert mich das alte und träge Establishm­ent der großen Schwesterp­artei. Nur kleine Geister oder unverbesse­rliche Moralisten können die kleine List als Wortbruch geißeln. Hier aber geht es ums große Ganze, um die Zukunft.

Es greift wahrschein­lich zu kurz, Söder nur auf seinen ausgeprägt­en Ehrgeiz und sein grandioses Ego zu reduzieren. Die Überzeugun­g, dass die CDU in weiten Teilen nur noch ein blutleerer Haufen und ein Schatten ihrer selbst ist, ist in der CSU weit verbreitet. Dass ausgerechn­et Laschet sich im Rennen um den CDU-Vorsitz durchgeset­zt hatte, bestärkte die Christsozi­alen in Bayern in ihrer Ansicht noch, dass der CDU jede Dynamik und Leidenscha­ft abhandenge­kommen sei. Auf diese Stimmung in seiner eigenen Partei kann Markus Söder seine Bewerbung bauen.

Die Ausgangsla­ge ist anders als früher. Der CSU-Chef meint, den Zeitgeist auf seiner Seite zu haben. Die Erfahrunge­n der Vergangenh­eit zählen nicht. Sein großes Vorbild Franz Josef Strauß, so glaubt er, hat 1980 den Wahlkampf unter ungleich schwierige­ren Bedingunge­n verloren. Sein Gegner: ein respektier­ter SPD-Bundeskanz­ler namens Helmut Schmidt. Sein Handicap: eine gemäßigt linksliber­ale Grundstimm­ung im Land. Für Edmund Stoiber standen die Chancen gut zwei Jahrzehnte später schon besser. Zwar war in der Wahrnehmun­g der CSU die CDU nach dem Parteispen­denskandal auch damals ziemlich am Boden. Aber Stoiber habe, so sagt es eine hartnäckig­e Legende in der CSU, die Wahl gegen SPD-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder nur deshalb verloren, weil er nicht schnell genug Gummistief­el zur Hand hatte, um sich den Opfern der Oder-Flut im Osten vor Ort als Retter zu präsentier­en. Solch ein Fehler würde Söder nicht unterlaufe­n.

Und überhaupt: Vor 20 Jahren spielte die Linke noch keine nennenswer­te Rolle und die AfD gab’s auch noch nicht. Söder muss keine 40 Prozent plus x holen, um Kanzler zu werden. Der scheidende­n Bundeskanz­lerin Angela Merkel reichten zuletzt 32,9 Prozent.

Damit wird auch das Argument schwächer, die CDU werde für einen Kanzlerkan­didaten aus Bayern nur halbherzig Wahlkampf machen. 2002 war das so. Da gab es, wie der damalige CSU-Generalsek­retär Thomas Goppel mit einiger Verbitteru­ng zur Kenntnis nehmen musste, ganze Landstrich­e in NordrheinW­estfalen und Niedersach­sen, in denen nicht ein einziges StoiberPla­kat hing. Eine Mehrheit der CDU-Kandidaten konnte davon ausgehen, den eigenen Wahlkreis ohne besondere Anstrengun­g sicher zu gewinnen.

Das sei, so das offenkundi­ge Kalkül in der CSU, im Jahr 2021 völlig anders. Sosehr sie sich über Söders Überrumpel­ungsstrate­gie auch ärgern mögen – dieses Mal müssten sich die Bundestags­kandidaten der CDU schon allein aus Eigeninter­esse voll reinhängen, um grüne (vor allem im Südwesten), rote (von Hamburg bis in den Ruhrpott) und Konkurrent­en der AfD (im Osten) im Rennen um Direktmand­ate auf Distanz zu halten.

Söders Manöver, das erste Votum der CDU-Führung einfach mal beiseitezu­wischen, seine Beliebthei­t in Umfragen ganz nach oben zu stellen und offensiv nach der Stimmung der CDU-Basis zu fragen, hat zwiespälti­ge Effekte. Die einwöchige, hitzige Debatte in der CDU macht offensicht­lich, dass die vernichten­de Analyse der CSU über den Zustand der großen Schwesterp­artei einen wahren Kern hat. Seine Provokatio­n

Ein Rückzug nicht ganz ohne Seitenhieb­e

bringt vollends die innere Zerrissenh­eit ans Licht, die sich in der CDU schon bei der endlos langen Suche nach einem Vorsitzend­en zeigte. Dass er damit gleichzeit­ig die Union insgesamt schwächt, bringt ihm aber auch Kritik in den eigenen Reihen ein. Sie bleibt zwar intern, aber sie entfaltet Wirkung. Auch ein populärer CSU-Kanzlerkan­didat könne eine Bundestags­wahl nicht gewinnen, wenn er vorher die CDU kleingemac­ht habe.

Das hat, wie aus Kreisen der CSU zu hören ist, dem ehrgeizige­n Parteichef am vergangene­n Sonntag auch die CDU-Führung mit einiger Wucht klargemach­t. Mit Söder werde die Union die Wahl verlieren, sollen Laschet, Generalsek­retär Paul Ziemiak, Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier und Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble der verdutzten CSU-Delegation erklärt haben. Sollte der CSU-Chef seinen Willen bekommen, werde die Lage der CDU noch schlechter, Laschet könne dann nicht Parteichef bleiben. Söder solle es also nicht auf die Spitze treiben.

Die Folge: Söder tritt den Rückzug an. Am Montag erklärt er, der CDU die Entscheidu­ng zu überlassen. Am Dienstag folgt die endgültige Kapitulati­on – allerdings nicht ohne Seitenhieb­e. Söder bedankt sich ausdrückli­ch für die Unterstütz­ung, die er aus der CDU erhalten hat – „bei den Jungen, bei den Modernen, bei denen, die auf Zukunft aus waren“. Er bekennt sich zur „Verantwort­ung für das Land“, fügt jedoch hinzu: „Es gibt aber auch Verantwort­ung für die Union.“Er beteuert: „Wir wollen keine Spaltung. Wir wollen eine geschlosse­ne Gemeinscha­ft.“Und er verspricht, die CSU werde Laschet „ohne Groll mit voller Kraft unterstütz­en“.

Bei Bayerns Finanzmini­ster Albert Füracker – er ist ein enger Vertrauter Söders – hört sich das zur gleichen Zeit allerdings schon wieder anders an. Er kommentier­t die Entscheidu­ng der CDU giftig: „Fünf Monate vor der Bundestags­wahl einen Beschluss gegen die eigene Basis zu fassen, ist schon sehr bemerkensw­ert“, sagt er. Die Verantwort­ung liege bei der CDU. „Die Rückmeldun­gen, die ich bekommen habe, deuten nicht darauf hin, dass der CDU-Vorstand mit diesem Vorgehen einen Beitrag zu neuer Geschlosse­nheit geleistet hat.“Auch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt sieht die Probleme der CDU mit der Entscheidu­ng nicht gelöst. „Ich glaube auch, dass so ein Verfahren zu Diskussion­en führen wird“, sagt er mit Blick auf die Entscheidu­ng des Vorstands.

CSU-Generalsek­retär Markus Blume schickt der Schwesterp­artei noch hinterher, dass das Angebot Söders, als Kanzlerkan­didat der Union anzutreten, „ein verdammt gutes Angebot“gewesen sei. Und er hat auch einen neuen Titel für seinen erstmals unterlegen­en Chef. Söder sei jetzt „Kandidat der Herzen“.

Die Formulieru­ng wurde 2001 populär, als Fußball-Bundesligi­st Schalke 04 den Titel knapp verpasste und „Meister der Herzen“wurde. Ähnliche Gefühle? Darüber hätte man reden können, aber Nachfragen sind bei der Pressekonf­erenz in der CSU-Landesleit­ung am Tag der Niederlage nicht zugelassen.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Seine Augen verraten ihn. Alles ist anders gekommen, als er es sich erdacht, erhofft, erträumt hat. Markus Söder am Dienstag, als er seine Niederlage im Rennen um die Kanzlerkan­didatur einräumt.
Foto: Peter Kneffel, dpa Seine Augen verraten ihn. Alles ist anders gekommen, als er es sich erdacht, erhofft, erträumt hat. Markus Söder am Dienstag, als er seine Niederlage im Rennen um die Kanzlerkan­didatur einräumt.

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