Sein schwerster Kampf steht noch bevor
Analyse Nach tagelangem Ringen einigen sich CDU und CSU auf einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten. Doch Armin Laschet startet reichlich ramponiert in diesen Wahlkampf. Gelingt ihm der Umschwung?
Berlin Normalerweise beschäftigt er sich mit den Terroristen dieser Welt, mit dem Islamischen Staat, der ein Kalifat ausrufen wollte, oder mit Al-Kaida, jener Truppe, die mit schmerzhaften Nadelstichen die Supermacht USA malträtierte. Doch dieser Kampf, der da in der größten und vielleicht sogar letzten deutschen Volkspartei ausgefochten wurde, fasziniert auch den Extremismusforscher Peter Neumann und verleitet ihn zu einem militärhistorischen Vergleich. „Söder setzt auf ,shock and awe‘, aber diese Strategie beruht auf schnellen Ergebnissen, sonst verläuft die Kampagne im Sande. Laschet versucht’s mit ,attrition‘, also Zermürbung, länger Durchhalten als der Gegner“, schreibt der gebürtige Franke, der in Großbritannien lehrt, auf Twitter. „Shock and Awe“gegen „Attrition“– „Schrecken und Furcht“also gegen den klassischen „Abnutzungskrieg“. Schließlich hisst die CSU die weiße Flagge. Für die Union geht damit ein bisweilen schmutziger Kampf zu Ende, der Held wirkt glanzlos, ramponiert, ja fast sturmreif geschossen – aber er hat sich durchgesetzt. Und das nicht zum ersten Mal.
Durchhalten, mürbe machen, aushalten: Armin Laschet ist nicht der Typ, der mit Getöse und fliegenden Fahnen in eine politische Schlacht zieht. Er lässt seine Gegner erst mal kommen und Angriffe ins Leere laufen. Er besiegt die Kontrahenten, indem er ihre Attacken aushält, ohne sich provozieren zu lassen. So brachte es der 60-jährige Rheinländer, dessen unbedingter Wille zur Macht so oft unterschätzt wurde, zum Ministerpräsidenten, zum Parteichef und nun – nach einer denkwürdigen Marathonsitzung – auch zum Kanzlerkandidaten der Union. Jedes Mal schienen seine Gegner im Vorteil zu sein, jedes Mal sah es so aus, als sei die Schlacht schon verloren – und jedes Mal hieß der Sieger am Ende Armin Laschet. Zu nett? Zu weich? Von wegen!
Dass er seit über drei Jahren in Nordrhein-Westfalen regiert, hat er dieser unerschütterlichen Standfestigkeit zu verdanken. Gegen die populäre Ministerpräsidentin Hannelore Kraft scheint er 2017 keine Chance zu haben. Die SPD-Politikerin spielt ihre Rolle als Landesmutter derart überzeugend, dass sie sogar schon als nächste Kanzlerkandidatin gehandelt wird. Doch Laschet lässt sich von seinen verheerenden Umfragewerten nicht beirren, er kämpft einfach weiter, hält durch, holt auf – und gewinnt. Auch im Duell um den CDU-Vorsitz sehen viele den machthungrigen Wirtschaftsmann Friedrich Merz vorne. Doch auf dem Parteitag im Januar begeistert Laschet mit einem sehr persönlichen, emotionalen Auftritt. Er erzählt die Geschichte seines Vaters, der viele Jahre lang als Bergmann geschuftet hatte und seinem Sohn eines mit auf den Weg gab: Tief unter der Erde ist es völlig egal, wer der Typ neben dir ist, es kommt nur darauf an, dass du dich auf ihn verlassen kannst.
Und so wird er auch Kanzlerkandidat: Ihm ist es gelungen, trotz des Grummelns an der Basis, trotz der harten Urteile gegen ihn, wichtige Unterstützer hinter sich zu versammeln. Ein Kraftakt. Sein Versprechen: Er werde nicht polarisieren, sondern vereinen. Doch um Kanzlerkandidat zu werden, nutzt Laschet durchaus das maximale Droh
Vernunftehe oder doch besser Liebesheirat?
potenzial gegenüber der kleinen Schwesterpartei aus. Der Rheinländer soll die CSU sogar gewarnt haben, er werde einem Kandidaten Söder keinerlei Wahlkampfunterstützung gewähren. Viele Gespräche zwischen den Lagern bleiben erfolglos. Erst am Montag schafft er es, aus einer Sitzung, in der er für viele schon vorher als Verlierer, als eine Art politischer Schwächling gilt, als Gewinner hervorzugehen.
Doch die dabei entstandenen Narben werden Laschets Handeln fortan prägen. Nach dieser Krisenwoche, die vermutlich als abschreckendes Beispiel in die Geschichtsbücher von CDU und CSU eingehen wird, ist klar, wie tief der Riss ist, der durch die Union geht. Wie sehr die CDU mit sich ringen muss, um den eigenen Kandidaten zu stützen. Wie schwer es ihr fällt sich zu entscheiden zwischen der Vernunftehe mit dem netten Rheinländer und der Liebesheirat mit dem bayerischen Draufgänger. In einer Nachtsitzung, in mehr als sechsstündigen Beratungen, gibt es über 60 Wortmeldungen, die Laschet eine Ahnung davon geben können, was ihm bevorsteht. Seine Vorgängerin an der CDU-Spitze, Annegret KrampKarrenbauer, wirft sich zwar für ihn in die Bresche, viele andere aber geben Kontra. Selbst einflussreiche Leute, die er auf seiner Seite wähnt, wie etwa Peter Altmaier, stellen sich nicht hinter ihn. Ministerpräsidenten, ostdeutsche CDUler liefern sich eine Kontroverse über die Stimmung in ihren Ländern. Nach außen versucht man diesen Streit als „transparente Debatte“und „lebendige Diskussion“zu deklarieren. Es ist Wolfgang Schäuble, und damit einer, der schon viele Tiefen erlebt hat, der klarmacht: Diese Abstimmung über die K-Frage muss auch als Vertrauensfrage der Partei über ihren eigenen Chef angesehen werden. Für eine Partei wie die CDU, in der Geschlossenheit stets über allem stand, ein gewichtiges Argument. Die Abstimmung zumindest ist klar: 31 Vorstandsmitglieder stimmen für Laschet, 9 für Söder, 6 Enthaltungen. Damit hat Laschet auch seinen dritten Widersacher überdauert.
Vorbei ist es damit noch längst nicht. Nun muss Laschet die drohende Spaltung der Partei – und des Landes – in aufwühlenden Zeiten verhindern. Er muss Brücken bauen zwischen den Konservativen und den Liberalen in CDU und CSU, zwischen denen, die Angela Merkel hinterhertrauern, und den anderen, die es kaum erwarten können, dass die Ära der ewigen Kanzlerin zu Ende geht, und zu Markus Söder, der Laschet spüren lassen wird, dass er sich für den besseren Kandidaten hält. Immerhin: Laschet ist einer, der genauso gut mit der FDP regieren kann (was er in NordrheinWestfalen recht geräuschlos tut) wie mit den Grünen, notfalls auch mit beiden. Doch dafür braucht er erst einmal ein Wahlprogramm. Zusammen mit seinem Unterstützer Jens Spahn hat er bereits Grundzüge skizziert, das allerdings reicht nicht. Es braucht Leidenschaft. Doch woher soll die kommen? Die Junge Union, deren Mitglieder im Wahlkampf erfahrungsgemäß große Stützen sind, hätte zum Beispiel lieber Söder an der Spitze gehabt. Der Kanzlerkandidat müsste zudem langsam ein Team, ein Schattenkabinett, um sich versammeln. Spahn ist sicherlich gesetzt, doch wer soll sonst noch mit rein? Viele wünschen sich Friedrich Merz, der allerdings würde Laschet das Leben sicher nicht einfacher machen, auch wenn er sich im Moment demonstrativ hinter ihn stellt. Zumal Ministerpräsident Laschet „nebenbei“noch ein Bundesland durch die CoronaPandemie zu steuern hat.
Mit dieser Hypothek zieht der 60-Jährige in die wohl letzte, die alles entscheidende Schlacht gegen Annalena Baerbock und Olaf Scholz – es könnte seine schwerste und schmerzhafteste werden. Denn um diese Prüfung zu bestehen, wird es nicht reichen, durchzuhalten. Das zeigt sich schon am Dienstag. Die Bekanntgabe des Kanzlerkandidaten, etwas, das von Parteien gerne pompös inszeniert und gefeiert wird, sorgt in der Krisen-Union im April 2021 eher für neue Sorgen. Immer schwingt die Angst vor der Reaktion der Parteibasis und vor allem der Wähler mit. Einer, der genau diese Sorge bestärkt, ist Manfred Güllner. Der 79-Jährige ist Chef des Forsa-Instituts, das regelmäßig politische Umfragen veröffentlicht. Seine Prognose für Laschet ist geradezu niederschmetternd. „Wenn ich einen schwachen Kandidaten habe, dann ist es schwer, die Wähler zu überzeugen“, sagte Güllner. Laschet verfüge über
Laschet muss nun seine Umfragewerte verbessern
kein Profil an Eigenschaften, das die Wähler positiv mit ihm verknüpften. „Seine hervorstechende Eigenschaft bei den Menschen ist, dass er seine Versprechen nicht hält“, erklärt der Wahlforscher. Während die meisten Ministerpräsidenten während der Corona-Krise an Ansehen gewonnen hätten, sei das bei Laschet nicht der Fall. An Rhein und Ruhr würde die CDU momentan, so die Forsa-Zahlen, nur 26 Prozent erreichen. Das entspricht einem Minus von rund 7 Prozent gegenüber dem Wahlergebnis von 2017. „Markus Söder hingegen ist der große Krisengewinner. Er hätte die Chancen, die Wähler für die Union an die Wahlurne zu bringen“, glaubt Güllner.
Alles schaut also gebannt auf die Meinungsforschungsinstitute. „Der Armin braucht jetzt dringend steigende Umfragewerte. Für sich und für die Partei“, sagt ein erfahrenes CDU-Präsidiumsmitglied, das Laschet wohlwollend gegenübersteht. Eine Hoffnung, die Manfred Güllner postwendend zerstört: Es sei in den vergangenen 20 Jahren keinem der Kanzlerkandidaten gelungen, schwache persönliche Umfragewerte im Wahlkampf ausschlaggebend zu verbessern. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich Laschet aus dem Tief herausarbeiten kann“, prognostiziert er.
Einen ersten Vorgeschmack gibt es schon am Dienstagabend: Die Union fällt im Forsa-Trendbarometer um sechs Prozentpunkte auf 21 Prozent. Die Grünen legen um fünf Prozentpunkte zu und liegen jetzt mit 28 Prozent vor der CDU/CSU auf Platz 1. Die SPD verliert zwei Prozentpunkte und kommt auf 13 Prozent. Ein Paukenschlag.
Auch deshalb braucht der Kandidat strategische Köpfe im Hintergrund. Auf zwei junge Männer wird es in den kommenden Monaten besonders ankommen. Der eine ist Paul Ziemiak. Im Duell mit Söder wackelte der Generalsekretär nicht. Nun wird er den Wahlkampf für seinen Chef organisieren. Hinter den Kulissen wird aber auch ein Akteur eine wichtige Rolle spielen, den selbst Politik-Junkies bislang kaum kannten. Würde sich der Begriff „graue Eminenz“nicht so sehr mit seinem Alter beißen, könnte man den 35-jährigen Nathanael Liminski so bezeichnen. Der Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf ist ein versierter Strippenzieher. Einer, der lieber in der zweiten Reihe bleibt und dort sehr effizient kleine Feuer austritt, bevor sie gefährlich werden. Der Netzwerke knüpft – auch nach Berlin, wo dem Landespolitiker Laschet noch die Hausmacht fehlt, wie man in den vergangenen Tagen eindrucksvoll erleben konnte.
Stoische Gelassenheit zeigt im Moment nur eine aus dem CDU-Lager, die es bald hinter sich hat. „Herzlichen Glückwunsch, lieber Armin Laschet, zur neuen Aufgabe als Kanzlerkandidat der Union. Ich freue mich auf die kommenden Monate unserer Zusammenarbeit“, erklärt Kanzlerin Angela Merkel, während andere sich eher verkniffen belanglose, rituelle Phrasen abringen. Bloß keinen weiteren Streit provozieren, den eigenen Frust lieber hinunterschlucken. So funktioniert Politik. Alle rufen sie das aktuelle CDU-Motto auf: „Alles, was wir tun, tun wir #wegenmorgen“, heißt es dort im Internetsprech. Es soll Zuversicht vermitteln. Doch für Armin Laschet dürfte es nach diesen Chaostagen klingen wie eine Drohung. Das, was morgen und die nächsten Tage noch kommt, bereitet ihm die allergrößten Sorgen.