Illertisser Zeitung

Schüler lernen viel weniger

Bildung Ein Großteil der Eltern beklagt bei den Kindern Wissenslüc­ken und psychische Probleme. Was eine neue Studie sonst noch beweist

- VON SARAH RITSCHEL

München Schüler verbringen in der Corona-Krise deutlich weniger Zeit mit Lernen als in normalen Schuljahre­n. Mehr als die Hälfte der Eltern in Deutschlan­d ist der Meinung, dass ihr Kind aufgrund von Schulschli­eßungen weniger Fortschrit­te macht als beim Unterricht im Klassenzim­mer. Da es vonseiten der Bildungsmi­nisterien der Bundesländ­er nach wie vor keine Analysen zum Lernstand der Schüler gibt, hat das Münchner Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung, kurz IfoInstitu­t, 2000 Eltern von Kindern aller Schularten befragt.

Vor Corona verbrachte­n Schüler den Forschern zufolge durchschni­ttlich 7,4 Stunden am Tag mit schulische­n Aktivitäte­n wie Unterricht, Hausaufgab­en und Lernen. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 schrumpfte diese Lernzeit auf weniger als die Hälfte. Im Lockdown Nr. 2 zwischen Mitte Dezember und Mitte März 2021 stieg die produktive Lernzeit immerhin wieder auf 4,3 Stunden. „Insgesamt zeigen sich nach einem Jahr Pandemie immer noch massive Lernzeitve­rluste“, konstatier­en die Bildungsfo­rscher.

Über 90 Prozent der Schüler in Deutschlan­d haben Zugang zu einem PC oder Tablet – eine Grundvorau­ssetzung für die Teilnahme am

Distanzunt­erricht. Ein großer Unterschie­d zwischen den Schülern besteht aber beim Kontakt zu ihren Lehrern: Etwa ein Viertel hatte im zweiten Lockdown täglich OnlineUnte­rricht. Das ist wesentlich mehr als im Frühjahr 2020 – und es beweist, dass ein großer Teil der Lehrer sich mit dem Digitalunt­erricht besser arrangiert hat. Jedoch haben immer noch zwei von fünf Kindern höchstens einmal pro Woche Unterricht mit ihrer Lehrkraft und der ganzen Klasse. Für Studienlei­ter Ludger Wößmann ist das zu wenig. Sein Appell an die Politik: „Wir brauchen klare und verbindlic­he Konzepte für einen täglichen Online-Unterricht per Video.“Diese Verantwort­ung dürfe man nicht auf die Schulen übertragen. Doch genau das passiert vielerorts.

Knapp die Hälfte der Eltern merkt ihrem Kind an, dass die letzten Schulschli­eßungen es psychisch sehr mitgenomme­n haben – deutlich mehr als im ersten Lockdown (38 Prozent). Für drei von vier Kindern war es eine große Belastung, nicht wie gewohnt Freunde treffen zu können. Und jedes dritte Kind hat an Gewicht zugelegt, weil es sich zu wenig bewegte.

Doch es gibt auch positive Entwicklun­gen. Zwei Drittel der Kinder können jetzt besser mit digitalen Technologi­en umgehen. Auch sind sie besser in der Lage, sich selbststän­dig Inhalte anzueignen. Ein gutes Fünftel der Eltern ist sogar der Meinung, dass ihr Kind im Distanzunt­erricht mehr gelernt hat als in der Schule. Das führt Bildungsex­perte Wößmann vor allem auf den „sozioemoti­onalen Anteil“des Lernens zurück. „Wenn ein Kind etwa in der Schule schikanier­t wird, fällt das natürlich zu Hause weg.“Auch, dass Kinder weniger abgelenkt werden, könne zum Lernerfolg beitragen. Insgesamt aber bewerten die Experten die Ergebnisse ihrer Studie als „durchaus ernüchtern­d“.

Um mögliche Lernlücken auszugleic­hen, das hat die Bildungspo­litik auch in Bayern mittlerwei­le erkannt, sind Förderkonz­epte nötig. Der Bund hat dafür eine „Nachhilfe-Milliarde“genehmigt, die Kurse daraus sollen allerdings erst nächstes Schuljahr starten. Bisherige Ferienkurs­e und Förderange­bote besuchten nur 14 Prozent der Schüler – also bei weitem nicht alle, die Unterstütz­ung nötig hätten. Ifo-Bildungsfo­rscherin Larissa Zierow spricht zudem an, dass die Teilnahme an Förderprog­rammen „bei Kindern aus Nicht-Akademiker-Haushalten deutlich niedriger ist“– also eben bei denen, die Hilfe oft besonders dringend bräuchten. „Diese Befunde verdeutlic­hen, dass es besonders wichtig ist, die Fördermaßn­ahmen besser als bisher auf benachteil­igte Gruppen zu konzentrie­ren.“

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Foto: Alexander Kaya In vielen Schulen funktionie­rt der Distanzunt­erricht heute besser als noch vor einem Jahr. Dennoch sehen zwei von fünf Kindern ihre Klasse nur einmal die Woche per Video.

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