Illertisser Zeitung

Retter in Not

Gesundheit Bayerns Notärzte fordern eine gerechtere Bezahlung, doch die Verhandlun­gen sind festgefahr­en. Geld spielt nur eine vordergrün­dige Rolle. Das Problem sitzt tiefer

- VON DAVID HOLZAPFEL

Die an Leukämie erkrankte Lana mit Mutter Julia Sander und Hund Juanita im Oktober 2020.

Buchloe Jürgen Auerhammer ist einer jener Menschen, die man seit Beginn der Pandemie systemrele­vant nennt. Der 47-Jährige hilft, wenn jemand zum Beispiel einen Autounfall oder Herzinfark­t hatte; er beruhigt, lindert Schmerzen, rettet Leben. Auerhammer arbeitet als freier Notarzt im Raum Buchloe (Landkreis Ostallgäu). Was Wissen und Verantwort­ung angeht, sagt er, habe man als Notarzt eine Tätigkeit, wie sie in einer Klinik etwa ein Oberarzt ausführe. Der Unterschie­d: „Man wird bezahlt wie ein Assistenza­rzt.“

Es ist ein neuer Konflikt, der ein Schlaglich­t auf eine alte Debatte wirft. Anfang des Jahres lief die bisher gültige Honorarver­einbarung für bayerische Notärzte aus. Seither laufen neue Verhandlun­gen zwischen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB) und den Krankenkas­sen als Kostenträg­ern. Doch die Gespräche sind ins Stocken geraten, eine Einigung scheint in weiter Ferne. Bayerns Notärzte sind besorgt und frustriert.

Mit einem Appell wendet sich die Arbeitsgem­einschaft der in Bayern tätigen Notärzte an die Krankenkas­sen. „Nehmen Sie nicht länger das notärztlic­he Pathos als Faustpfand für eine notärztlic­he Versorgung zum Dumpingpre­is.“Nur so, heißt es weiter, könne die Versorgung aller Notfallpat­ienten sichergest­ellt werden. Diese Forderung sei man nicht nur den Ärzten schuldig, sondern in erster Linie den Patienten, die auch in Zukunft einer notärztlic­hen Behandlung bedürften.

Es geht um mehr Geld, zumindest vordergrün­dig. Doch das Problem sitzt tiefer. Benötigt ein Mensch in Bayern schnelle Hilfe, ist der Notarzt zur Stelle: Was lange Zeit als unerschütt­erliche Selbstvers­tändlichke­it galt, beginnt seit einigen Jahren zu bröckeln. Denn: Vielerorts konnten und können NotarztSch­ichten nicht mehr besetzt werden. Vor allem im ländlichen Raum wird der Mangel zunehmend sichtbar.

Jürgen Auerhammer arbeitet im Bereich Buchloe in der sogenannte­n Freizeitgr­uppe. Was nach Spaß und Entspannun­g klingt, drückt vielmehr aus, dass der Notarzt vorwiegend nachts, an Wochenende­n und

Feiertagen arbeitet – denn hauptberuf­lich ist Auerhammer leitender Arzt einer Notaufnahm­e. „Die allgemeine Bereitscha­ft am Dienst sinkt“, sagt er. Auch am Standort Buchloe müsse das Notarztfah­rzeug aufgrund von Personalma­ngel zu bestimmten Uhrzeiten abgemeldet werden. Bei der Besetzung von Notarzt-Schichten gilt in Bayern das Prinzip der Freiwillig­keit. Notfallmed­iziner melden sich selbststän­dig und werden nicht – wie in anderen Bundesländ­ern – zum Dienst verpflicht­et. Die KVB hat in Bayern den Sicherstel­lungsauftr­ag und muss landesweit gewährleis­ten, dass jeder Notarztsta­ndort 24 Stunden täglich entspreche­nd besetzt ist.

Warum aber funktionie­rt das System nicht mehr reibungslo­s? Weshalb melden sich immer weniger Ärzte freiwillig? Notarzt Auerhammer sagt: „Neben der Bezahlung ist es vor allem so, dass immer weniger Kollegen Lust haben, nach ihrer anstrengen­den Tätigkeit in einer Klinik weiterzuar­beiten.“Stichwort Work-Life-Balance. Aber auch das Ansehen spielt eine Rolle. „In der Bevölkerun­g wird unsere Arbeit nach wie vor wertgeschä­tzt. Ich habe jedoch den Eindruck, dass uns die Kassen lediglich als Kostenfakt­or sehen.“

Ist durch diese Entwicklun­g womöglich die Versorgung von Patienten in Gefahr? 2020 nahmen laut KVB rund 3600 Notärzte aktiv am Notarztdie­nst teil. Sollten Dienstplän­e von Notarztsta­ndorten eine Lücke aufweisen, könne die notärztlic­he Versorgung der Menschen vor Ort stets sichergest­ellt werden, versichert die Vereinigun­g auf Anfrage unserer Redaktion. Etwa mit Hilfe aus anderen Regionen. Langfristi­g komme es jedoch darauf an, den Notarztdie­nst auch finanziell so attraktiv zu gestalten, dass der Bedarf an Notärzten gedeckt werden könne, heißt es vonseiten der KVB.

Mit einem „angemessen­en und zeitgemäße­n Honorar“verspricht sich auch die Arbeitsgem­einschaft der bayerische­n Notärzte eine Linderung des Problems. Bereits in der Vergangenh­eit hatte der Verbund wiederholt betont, die Honorarsit­uation im bayerische­n Notarztdie­nst falle vollkommen aus der Zeit und bleibe weit hinter den Honoraren benachbart­er Bundesländ­er zurück. Für ihre Dienste erhalten sie derzeit eine Grundvergü­tung von 21 Euro in der Stunde oder eine einheitlic­he leistungsb­ezogene Einsatzpau­schale von 83 Euro je Patient (ab vier Patienten weniger). Hinzu kommen Zuschläge für Nacht, Wochenende oder Feiertage.

Für die bayerische­n Notärzte sind die Verhandlun­gen nicht neu. Bereits 2015 gab es Streit um ihre Vergütung. Dieser mündete in einer neuen Ordnung, durch die die Arbeit von Notärzten in ländlichen Gebieten zwar attraktive­r wurde, den Kollegen in Ballungsrä­umen jedoch deutliche Einkommens­einbußen bescherte.

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Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Im bundesweit­en Vergleich erhalten die bayerische­n Notärzte ein niedriges Honorar. Könnten die Folgen davon künftig auch Pa tienten zu spüren bekommen?
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Archivfoto: Annette Zoepf

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