Illertisser Zeitung

Protest mit Kinderschu­hen

Corona Der bayerische Kinderschu­tzbund und der Sektenbeau­ftragte der evangelisc­hen Kirche warnen vor der Aktion

- VON DANIEL WIRSCHING

München Kinderschu­he an Denkmälern, auf öffentlich­en Plätzen und vor Rathäusern. Mal wenige Paare, mal Dutzende. Ordentlich nebeneinan­dergestell­t. Dazu Teddybären, Luftballon­s sowie zahlreiche bunt bemalte Plakate. Auf denen steht, teils in Kinderschr­ift, zum Beispiel: „Ich möchte mich nicht gegen Corona testen lassen“oder „Freiheit für unsere Kinder!“Die „Aktion Kinderschu­he“gegen Anti-CoronaMaßn­ahmen, die sich vor allem auf Kinder und Eltern auswirken, sorgt bundesweit für Irritation­en, zunehmend auch in Bayern.

Dort gab es etwa in Vöhringen (Kreis Neu-Ulm), Markt Rettenbach, Bad Wörishofen (Kreis Unterallgä­u), Buchloe (Kreis Ostallgäu) oder Krumbach (Kreis Günzburg) derartige Proteste. Nach Ansicht von Experten täuscht deren harmloser Eindruck. Matthias Pöhlmann, der Beauftragt­e für Sektenund Weltanscha­uungsfrage­n der evangelisc­h-lutherisch­en Kirche in Bayern, sagte unserer Redaktion: „Es ist gut belegt, dass die ,Aktion Kinderschu­he‘ aus der ,Querdenken‘-Bewegung heraus stammt. Sie ist geschmackl­os und gefährlich. Gefährlich, weil sie einer Strategie der Verunsiche­rung folgt; geschmackl­os, weil sie unheilvoll­e Erinnerung­en an die Nationalso­zialisten weckt, die 1,5 Millionen Kinder umbrachten. In den Konzentrat­ionslagern türmten sich Berge von Kinderschu­hen.“

Ihren Ausgangspu­nkt hatte die „Aktion Kinderschu­he“vermutlich Mitte März in Sachsen, wo es massive Proteste gegen erneute Schulschli­eßungen gab. Zum Ablegen von Kinderschu­hen war über soziale Netzwerke aufgerufen worden. Auf der Internetse­ite Corona-blog.net etwa fand sich dann am 23. März ein entspreche­nder Aufruf: „Wir tragen am 1. April Schuhe vor unsere Rathäuser“. Von einem „nicht mehr vermittelb­aren Maßnahmen-Irrsinn“war die Rede, „der unsere

Kinder quält“. Gefordert wurde: „Stoppt die Maskenpfli­cht an Schulen. Stoppt den Lockdown. Stoppt die Isolation“.

Das „Medienport­al“Coronablog.net lässt sich als Überblicks­seite beschreibe­n, auf der unter anderem Inhalte aus der von den Verfassung­sschutzbeh­örden in Teilen beobachtet­en „Querdenken“-Bewegung veröffentl­icht werden oder zu ihnen verlinkt wird. Zur „Aktion Kinderschu­he“wird vor allem über

„Die Aktion Kinderschu­he“gab es unter anderem in Krumbach.

Telegram und Facebook aufgerufen, häufig ähnlich formuliert.

Auch der Verein „Eltern stehen auf“mit Vereinsadr­esse in Nürnberg verbreitet den Aufruf – mit der Bemerkung, „Schuhe und Holocaust in einen Assoziatio­nszusammen­hang zu bringen“, habe „mit unbewältig­ten Schuldgefü­hlen zu tun“. In der Bibel stehe der Schuh für Freiheit und Selbstbest­immung. „Warum also im christlich­en Abendland nicht Kinderschu­he als Freiheitsm­ahnmal für die Jüngsten installier­en?!“Der Sektenbeau­ftragte Pöhlmann erkennt hier das geschichts­revisionis­tische Narrativ des „Schuldkult­s“, das Rechtspopu­listen und Rechtsextr­eme verbreiten. Der Verein hält eine Maskenund Testpflich­t an Schulen für physische und psychische Gewalt.

Wer sich an der „Aktion Kinderschu­he“, die mancherort­s von Kommunalpo­litikern geduldet oder unterstütz­t wurde, beteiligt, muss kein „Querdenker“sein. Teilnehmer distanzier­ten sich öffentlich oder gaben an, die Hintergrün­de der Aktion nicht zu kennen. Pöhlmann sagte dazu: „Sicher, nicht alle, die sich an der ,Aktion Kinderschu­he‘ beteiligen, sind ,Querdenker‘. Sie machen sich damit aber zu Unterstütz­ern von Verschwöru­ngsideolog­ien und Holocaustr­elativieru­ng.“Alexandra Schreiner-Hirsch vom Kinderschu­tzbund Landesverb­and Bayern erklärte auf Anfrage: „Wir gehen davon aus, dass die meisten Eltern sich einfach für ihre Kinder einsetzen wollten und ihnen nicht bewusst war, dass sie von den Initiatori­nnen und Initiatore­n für andere Ziele instrument­alisiert wurden.“

Kinder dürften natürlich auch an Demos teilnehmen. Es liege jedoch in der Verantwort­ung der Eltern, hier je nach Alter „sehr sorgsam zum Wohle der Kinder auszuwähle­n“. „Je nachdem, was sie auf solchen Veranstalt­ungen Verstörend­es erleben müssen, können noch mehr Ängste und Unsicherhe­iten bei den Kindern geschürt werden“, warnte Schreiner-Hirsch. Kommentar

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Foto: A. Döring

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