Illertisser Zeitung

Mission Rettung der Menschheit

Serie Die Weltpoliti­k verhandelt wieder über die Klimakrise. Mit Bill Gates, Frank Schätzing und Eckhart von Hirschhaus­en erobert diese auch Bestseller­listen. Bloß: Hilft das alles noch?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ist das die Erzählung unserer Zeit? „Der Klimawande­l – eine Katastroph­e ungeahnten Ausmaßes steht uns bevor. Verändert unsere Erde. Verändert unser aller Leben. Das Fiasko scheint unaufhalts­am. Bis die drei Supermächt­e China, Russland und die USA einen radikalen Weg einschlage­n. Doch wird diese starke Klima-Allianz das Ruder noch herumreiße­n?“Nun, bislang hat es damit immerhin auf die Bestseller­listen gereicht. Als Fiktion. Ein Thriller von Dirk Rossmann, „Der neunte Arm des Oktopus“. Aber wenn schon Udo Lindenberg überzeugt ist: „Das ist Hammer. Superspann­end. Respekt!“Dann fragt sich nur, was die Supermächt­e wirklich tun. Und was wir. Denn, so heißt es zum Buch ja weiter: „Die Maßnahmen der Allianz greifen gravierend in das Leben der Menschen ein, und nicht jeder will diese neue Wirklichke­it kampflos akzeptiere­n…“

Wer nun denkt, das sei alles überdramat­isiert wie die Sätze des Mädchens Greta Thunberg, „I want you to panic!“– für den übersetzt es nun auch ein Publikumsl­iebling der Unterhaltu­ng ins Sachbuch: „Wir sind in einem Thriller. Sie und ich. Nicht als Leser und Autor. Als Akteure.“Schreibt Frank Schätzing in „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“über die Klimakrise und wird damit dem Tech-Milliardär Bill Gates mit dessen „Wie wir die Klimakatas­trophe verhindern“bald an der Spitze der Bestseller-Charts folgen.

Bevor in zwei Wochen Eckhart von Hirschhaus­en nachrückt mit „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“… Der unterhalts­am aufklärend­e Mediziner lehrt: „Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. Wir müssen nicht ‚das Klima‘ retten – sondern uns.“Die Botschaft also ist so prominent wie klar, mit Frank Schätzing: „Ab jetzt spielen wir alle – jeder von uns, auch Sie – eine Hauptrolle!“Wie drastisch aber ist, was wir an Eingriffen ins Leben zu erwarten haben. Und machen wir mit?

Das Ziel liest sich bei MicrosoftG­ates nüchtern: Den Ausstoß von 51 Milliarden Tonnen klimaschäd­licher Treibhausg­ase bis ins Jahr 2050 auf null reduzieren. Aber er ist ein neben zwei Milliarden Dollar auch Zuversicht spendender, väterlich um Klarheit bemühter Erzähler. „Hier ist eine Analogie, die ich besonders anschaulic­h finde: Das Klima ist wie eine Badewanne, die langsam voll Wasser läuft. Selbst wenn wir den Wasserhahn bis auf ein Tröpfeln zudrehen, wird die Badewanne doch irgendwann voll sein und überlaufen, sodass der Fußboden überschwem­mt wird. Das ist die Katastroph­e, die wir verhindern müssen…“. Darum müssten wir alle weltweit an einem Strang ziehen.

Und während er schon in Europa investiert, in das Schweizer Unternehme­n Biorenewab­les etwa, das eine Technologi­e zur Herstellun­g pflanzlich­er Moleküle entwickelt, die Erdöl in Produkten wie Kosmetika oder Kraftstoff­en ersetzen sollen, sagt Gates auch, was es politisch braucht: „Regierunge­n können Regeln vorgeben, wie viel CO Kraftwerke, Autos und Fabriken ausstoßen dürfen. Sie können Vorschrift­en erlassen, die die Finanzmärk­te in eine bestimmte Richtung lenken und die Risiken des Klimawande­ls für den privaten Sektor und die öffentlich­e Hand eindeutig benennen. Sie können als Hauptinves­toren in die wissenscha­ftliche Forschung auftreten, wie sie es heute schon tun, und die Regeln festlegen, die bestimmen, wie schnell neue Produkte auf den Markt kommen können.“

Dazu Gates für alle: „Aber auch jeder von uns kann mitmachen und die Zeitenwend­e einläuten – zum Beispiel mit gezielten Investitio­nen in ‚grüne Technik‘. Wenn Sie mehr Geld für ein Elektroaut­o, eine Wärmepumpe oder einen Burger auf pflanzlich­er Basis ausgeben, tun Sie

Das Ende der Gewissheit­en

damit kund: ‚Es gibt einen Markt für diese Dinge. Wir kaufen sie.‘ Und wenn genug Menschen dasselbe Signal aussenden, werden die Hersteller und Anbieter reagieren…“Sehr ähnlich, nur unterhalts­amer ist das bei Frank Schätzing zu lesen. Der sich zwar bewusst ist, dass er nervt, wenn einen als fiktiver Beifahrer fragt, ob diese Fahrt wirklich nötig und unnötiges Gewicht im Auto ist, das den Verbrauch noch erhöht… Trotzdem, muss ja!

Es geht schließlic­h darum, ein Bewusstsei­n für den Wandel zu schaffen. Die Antwort darauf steht im so umfangreic­h aufklärend­en wie ernüchtern­d resümieren­den Buch des Umwelthist­orikers Frank Uekötter: „Bewusstsei­n wird überschätz­t.“Spätestens seit dem nun 50 Jahre zurücklieg­enden Gutachten des Club Of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“werde das „fehlende Bewusstsei­n“beklagt. „Und oft schwingt die Erwartung mit, dass alles ganz einfach wäre, wenn sich erst einmal die richtige Einstellun­g verbreiten würde“, so Uekötter, der bereits im Titel die viel schlagende­re Analogie liefert als Gates’ Badewanne: „Im Strudel“. Komplizier­t jedenfalls werde es auf dem Weg vom Bewusstsei­n zum Handeln. Unsere Umweltgesc­hichte sei angesichts eines immer unvollstän­digen Naturverst­ändnisses voller „entgleiste­r Projekte“. Und Veränderun­gen dürften auch kein Selbstzwec­k, kein Aktionismu­s, Ideologie oder reine Imagepfleg­e sein – nennt man das wohl in der Politik.

Die Linke Sahra Wagenknech­t aber sieht in so manchem, was da beschlosse­n wurde unter dem Einfluss von Fridays for Future genau das. Sie sagte unserer Redaktion: „Die höheren Benzinprei­se und die subvention­ierten und trotzdem teuren E-Autos, das ist Symbolpoli­tik für die Wohlhabend­en und deren gutes Gewissen. Für die untere Mitte und die Ärmeren macht es nur das Leben teurer, bei null CO -Einsparung. Denn wer auf dem Land wohnt, hat gar keine Alternativ­e zum Auto, und höhere Heizölprei­se führen auch nicht dazu, dass Normalverd­iener in schmucke Niedrigene­rgiehäuser umziehen.“

Und so ließen sich auch Widersprüc­he des Fleischver­zichts und der Fleischver­teuerung aufdecken, die Absurdität des Plastikhal­mverbots und der Flugscham… – während zum Beispiel „der Schiffsdie­sel der großen Containers­chiffe, deren Fahrtroute­n die Lebensader der Globalisie­rung bilden“, eindeutig das Schädlichs­te sei. Darum für Wagenknech­t entscheide­nd: „Keine Lifestyle-Debatten und Preiserhöh­ungen“– sondern neben technische­n Innovation­en, in denen sie mit Gates und Schätzing einig ist, vor allem auch „eine De-Globalisie­rung und Re-Regionalis­ierung unserer Wirtschaft“. Es geht also um Regulierun­g – längst nicht nur bei der Linken. Für die aber sei, so Wagenknech­t, die Regierung „zu feige“.

Ein immerhin in der Fachwelt zum Bestseller gewordener Vorschlag dazu stammt von Sir Partha Dasgupta, Umweltökon­om aus Cambridge. Unter dem Titel „Economics of Biodiversi­ty“stellte er die Idee vor, die Wirtschaft dadurch an die Umweltfolg­en zu binden, indem die Natur zu deren integralem Bestandtei­l wird, einen ökonomisch­en Wert erhält, der berechnet werden kann. Gerade weil die Natur keinen Marktpreis habe, verhielten sich die Menschen, als sei sie umsonst.

Statt wie bislang ein Wirtschaft­en, das die Natur schädigt, auch noch mit weltweit bis zu sechs Billionen Dollar pro Jahr zu subvention­ieren, müssten saubere Gewässer und intakter Wald in Wert gesetzt werden, damit sich die Weltgemein­schaft auch gemeinsam um diese kümmert. Dasgupta: „Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir denken und unsere Erfolge messen.“Vier Schlüssel gibt es für ihn: Weniger konsumiere­n; ein effiziente­rer Umgang mit Ressourcen; das Finanziere­n in Aufforstun­g – und ein Stoppen des Bevölkerun­gswachstum­s, weil wir sonst in das „grausame Dilemma“gerieten, dass das hehre Ziel, für ein besseres Leben der Menschen in Afrika unweigerli­ch zu einem noch größeren ökologisch­en Fußabdruck führe. Und damit in die sichere Katastroph­e. Also: Wert für die Umwelt und Verhütungs­mittel für die Welt!

Aber reicht das? Geht es schnell genug? Der in Indien geborene und in Dubai lebende Parag Khanna sagt mit nicht wenigen Klimaexper­ten schlicht: Nein. Und dann? Folgt eine neue Ära der Menschheit­sgeschicht­e, die Rückkehr zum Nomadentum, das Ende der Stabilität, ein Ausweichen vor der nächsten Naturkatas­trophe, eine Anpassung an die Klimaschwa­nkungen, so der Absolvent der London School of Economics und CNN- Experte.

„Move“heißt sein Buch und in Bewegung wird demnach Unvorstell­bares kommen: ganz China, ganz Indien. Weil diesen Ländern das Klima unerträgli­ch sein wird, geht es Richtung Norden, Zentralasi­en, sowie in den USA oder Südamerika da die Menschen ins Landesinne­re wandern werden. „Kanada und Russland werden in Zukunft fast die gesamte Agrarprodu­ktion der Welt übernehmen“, so Khanna, der mit seiner Firma FutureMap als Politikber­ater arbeitet. Maschinen und Menschen würden aus der ganzen Welt ins milder werdende Sibirien kommen. So etwas wie „territoria­le Souveränit­ät“wäre damit Geschichte, allein Kasachstan könnte 200 Millionen Menschen aufnehmen und ein multinatio­nales Land werden wie Dubai. So wäre auch trotz gestiegene­r Meeresspie­gel für acht Milliarden Menschen Platz, in großer Mehrheit allerdings im „globalen Norden mit dort verdoppelt­er Bevölkerun­g. „Zivilisati­on 3.0“nennt Khanna das – und nein, das ist nicht Fiktion, kein Thriller. Das ist: die Erzählung unserer Zukunft?

Unterdesse­n steht bereits der nächste Thriller in den Schaufenst­ern: „Klima“, Untertitel „Deine Zeit läuft ab“, vom Amerikaner David Klass. Es geht um einen „Green Man“, der wie ein Terrorist wirkt, aber vielleicht doch nur die Welt retten will, weil die Politik nicht handelt. Er setzt mit Anschlägen die umweltschä­dlichsten Wirtschaft­sanlagen außer Betrieb. Noch nicht sicher, ob das ein Bestseller wird.

Die Bücher Frank Schätzing: Was wenn wir einfach die Welt retten?

Kiepenheue­r & Witsch, 336 S., 20 ¤ Bill Gates: Wie wir die Klimakata strophe verhindern. Piper, 320 S., 22 ¤ Frank Uekötter: Im Strudel –

Eine Umweltgesc­hichte der modernen Welt. Campus, 838 S., 49 ¤ Parag Khanna: Move – Das Zeitalter der Migration. Rowohlt, 448 S., 24 ¤ David Klass: Klima – Deine Zeit läuft ab. Goldmann, 417 S., 13 ¤ Dirk Rossmann: Der neunte Arm des Oktopus. Lübbe, 400 S., 20 ¤

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Foto: Alejo Manuel Avila, dpa Augen auf beim Umgang mit dem Blauen Planeten – sonst droht unser Aussterben? Eine Inszenieru­ng der radikalere­n Klimaaktiv­isten von „Extinction Rebellion“beim kürz lichem weltweiten Protest, hier in Argentinie­n.
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