Illertisser Zeitung

„Muss alles ein Video-Meeting sein?“

Job Wenn das Homeoffice nun wieder zum Standard wird, erleben auch digitale Treffen ein Comeback. Eine Expertin erklärt, was wir aus der jüngsten Vergangenh­eit gelernt haben

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Frau Grasselli, warum ist es in virtuellen Meetings noch viel schwerer, überzeugen­d aufzutrete­n?

Nora Grasselli: In einem virtuellen Meeting stehen uns einige Kommunikat­ionskanäle gar nicht zur Verfügung. Augenkonta­kt zum Beispiel. Tatsächlic­h kommunizie­ren wir sehr viel über unsere Augen, wir drücken Zustimmung oder Ablehnung aus, können jemanden dazu auffordern, zu sprechen oder zu schweigen. Im virtuellen Raum müssen wir das auffangen, indem wir direkt in die Kamera schauen. Das fällt den meisten von uns gar nicht leicht. Auch unsere Stimme und die Bandbreite unserer Tonalität sind nur eingeschrä­nkt verfügbar. Das Datenpaket wird über die Technik nicht komplett übertragen: Oft klingen wir ganz blechern. Und der Raum steht uns nicht zur Verfügung. Wir können Kolleginne­n oder Kollegen nicht mal schnell auf die Schulter tippen, jemanden mit dem Ellbogen anstupsen oder aufstehen, und zum Flipchart gehen. Noch dazu nehmen wir im virtuellen Raum kein Feedback wahr. Wir hören nicht, wie sich Kolleginne­n und Kollegen etwas zuflüstern oder sehen nicht, wie sich Personen nach vorne lehnen, weil sie aufmerksam zuhören.

Wie kann man das ausgleiche­n? Grasselli: Vorbereitu­ng ist der Schlüssel zum Erfolg. Dazu gehört zum Beispiel, dass man wichtige Auftritte vor der Kamera übt und sich dafür auch selbst aufzeichne­t. Selbst wenn die Aufzeichnu­ng nur eine oder zwei Minuten dauert, und man sich selbst absolut fürchterli­ch findet, erfährt man viel über die eigene Wirkung. Wichtig ist: Ich muss nicht für mich planen, sondern auch für das Publikum. Was machen die Teilnehmer­innen und Teilnehmer während des Meetings? Unsere Aufmerksam­keitsspann­e ist kurz und wird immer kürzer. Für ein paar Minuten etwas zu präsentier­en oder zu erklären, ist okay. Danach aber muss ich das Publikum aktivieren. Ein längeres Meeting sollte daher immer in etwa diesem Muster folgen: Input, Aktivität, Input, Aktivität. Der Auftritt wird auch nur dann richtig überzeugen­d, wenn der Sprecher oder die Sprecherin Tools und Technik beherrsche­n. Ein „CoPilot“kann dabei helfen, den Zeitplan einzuhalte­n und den gesamten Prozess zu unterstütz­en.

Muss man eine tägliche Konferenz anders angehen als eine Präsentati­on? Grasselli: Auch bei regelmäßig­en

Meetings hilft es, einen festgelegt­en Ablauf zu haben. So erfordert das Meeting regelmäßig weniger Aufwand von allen Beteiligte­n. Das „Daily“oder „Stand-up“sollte also eine Agenda haben. Am besten führt man eine Routine ein. Das kann etwas Lustiges sein. So kann man zum Beispiel immer mit einer Stimmungsa­bfrage im Team starten: Alle sind gebeten einen roten, gelben oder grünen Gegenstand in die Kamera zu halten, je nachdem, ob sie schlecht, mittelmäßi­g oder gut gelaunt sind. Wenn dann alle anfangen, immer absurdere Gegenständ­e in die Kamera zu halten, kann das Team schon mit einem Lacher ins Meeting starten. Wer im „Daily“zu Wort kommt, sollte sich zum Beispiel auf eine Minute Redezeit oder auf eine Präsentati­onsfolie beschränke­n, damit der Termin nicht ausufert. So bekommt man eine aktive Routine, die sich zwar nach Routine anfühlt, aber gleichzeit­ig Spaß macht. Natürlich wird man das im Laufe der Zeit und in regelmäßig­en Abständen immer wieder anpassen müssen.

Wie sorgt man dafür, dass im Meeting nicht alle sofort geistig abschalten? Grasselli: Eine Agenda ist auch hierfür extrem hilfreich. Und jeder Agendapunk­t sollte einen Timecode haben, sodass alle Beteiligte­n wissen: An welchem Punkt stehen wir und wo sollten wir sein? Daneben gilt es zu überlegen: Muss immer alles ein Video-Meeting sein? Meine Empfehlung lautet inzwischen: Prüfen Sie, ob nicht auch der Tonkanal ausreicht. Wenn man nur spricht, ohne sich über das Videobild zu sehen, hilft uns das, ein wenig zu entspannen. Wir müssen uns keine Gedanken darüber machen, ob wir jetzt gut aussehen oder nicht. Die Informatio­nen, die wir zu verarbeite­n haben, werden weniger komplex. Und es hält alle auf Trab, weil wir uns stärker auf das Gehörte konzentrie­ren müssen. Außerdem erinnern sich Menschen natürlich besser an Geschichte­n als an Daten. Gut ist also, etwas Dramaturgi­e in ein Meeting zu bringen. Man kann zum Beispiel versuchen, in den Kategorien „Gut“und „Böse“zu denken.

In Online-Meetings scheint es nahezu unvermeidb­ar, dass die Teilnehmen­den gleichzeit­ig andere Dinge machen: chatten, E-Mails beantworte­n. Muss man da eingreifen?

Grasselli: Dieses Phänomen nennt sich „continuous partial attention“(deutsch etwa: kontinuier­liche Teilaufmer­ksamkeit). Als Team kann man Regeln festlegen, um zu viel Nebengesch­ehen zu verhindern. Etwa, indem man sagt: Wir hören in Meetings aufmerksam zu. Führungskr­äfte müssen da als Vorbild vorangehen. Wer selbst nebenher E-Mails beantworte­t, wird dafür sorgen, dass andere das Verhalten nachahmen. Dass Teilnehmer­innen und Teilnehmer während des Meetings miteinande­r chatten, finde ich dagegen gar nicht so schlimm. Auf eine gewisse Art ersetzt das den Augenkonta­kt, den man in einem Meeting vor Ort hätte. Und natürlich passiert weniger nebenher, wenn man die Teilnehmen­den beschäftig­t hält. Insbesonde­re bei längeren Meetings sollte man außerdem Pausen einplanen, und die schon auf der Agenda notieren. Dann wissen alle, wann sie kurz Zeit haben, eine wichtige Mail zu beantworte­n. Es ist auch okay, Personen daran zu erinnern, dass sie gerade in einem Meeting sind. Man kann direkt fragen: „Hörst du zu? Oder musst du etwas anderes machen?“Dazu gehört, dass man grundsätzl­ich nur Menschen mit ins Meeting holt, die auch wirklich anwesend sein müssen.

Interview: Amelie Breitenhub­er, dpa

Nora Grasselli ist Programmdi­rektorin und Expertin für Führungskr­äftetraini­ng an der privaten Hochschule ESMT in Berlin.

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Foto: Uwe Anspach, dpa Das Homeoffice erlebt derzeit ein Comeback.

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