Illertisser Zeitung

Eine gute Prognose – nur eben falsch

Fußball Vor der Saison hat die Sportredak­tion die Abschlusst­abelle vorhergesa­gt. Eine kritische Analyse tut not – allerdings natürlich nicht der eigenen Fähigkeite­n.

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Immerhin befindet sich die Sportredak­tion dieser Zeitung in guter Gesellscha­ft. „Das Reisen mit der Eisenbahn bei hohen Geschwindi­gkeiten ist nicht möglich, da Passagiere nicht in der Lage wären zu atmen und erstickten“, sagte einst der irische Physiker Dionysius Lardner. Er sollte sich irren. Atemlos lassen beim Bahnfahren lediglich die Verspätung­en zurück. Wer prognostiz­iert, irrt. Daher sollten Vorhersage­n vermieden werden – besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Sagte wiederum Mark Twain. Weil es Journalist­innen und Journalist­en aber gemeinhin nicht an Selbstvert­rauen fehlt, sie sich extremer Expertise sicher und allein schon aus berufliche­r Sicht sehr mitteilsam sind, schauen sie eben doch gerne in die Zukunft.

Anders als Wahlforsch­er, die ihre (trotzdem teilweise danebenlie­genden) Prognosen aufgrund von Befragunge­n erstellen, verlassen sich Sportrepor­ter und -reporterin­nen auf ihre ganz persönlich­en Erfahrunge­n und Erkenntnis­se, mixen die einmal durch und erstellen dann wortreich Begründung­en, warum ein Ereignis eintreten wird. So auch der Autor dieser Zeilen, der sich schon vor der Bundesliga-Saison sicher war, die Abschlusst­abelle vorhersage­n zu können. Das Ergebnis: siehe Mark Twain.

Wenn die Investigat­ive Recherche die Königsdisz­iplin des Journalism­us ist, dann ist die Prognose eine Narretei – mit der Einschränk­ung, dass Narrenmund eben nicht immer Wahrheit kundtut. Selbstrede­nd läuft nicht jede Vorhersage der Realität zuwider. Wer die zehnte Meistersch­aft des FC Bayern prophezeit hatte, lag richtig. Aber auch das blinde Huhn kommt nicht an einem felsgroßen Korn vorbei.

Um die Güte von Prognosen zu überprüfen, gibt es mathematis­che Möglichkei­ten, erklärt Professor Martin Lames, Lehrstuhli­nhaber für Sportinfor­matik an der TU München. Um einen Zusammenha­ng mathematis­ch nachzuweis­en, bedient man sich der sogenannte­n Korrelatio­n. Trifft eine Prognose voll zu, beträgt sie eins. Tritt das exakte Gegenteil ein, ist die Korrelatio­n -1, und wenn man nicht von der einen Variablen auf die andere

Martin Lames schließen lässt, liegt sie bei 0. Für die Prognose der Sportredak­tion hat Lames eine Korrelatio­n von 0,598 errechnet. Klingt erst mal gut, findet der mathematis­ch unbeleckte Sportredak­teur. „Wenn man schon froh ist, dass man überhaupt einen Zusammenha­ng gefunden hat, dann ist man mit einem Wert von über 0,30 schon glücklich“, bestätigt Lames die Freude. Aber nur kurz. „Wenn es sich allerdings um eine Prognose handelt, dann muss man strenger sein“, so Lames. Der Wert von 0,30 sei okay, wenn es darum geht, Zusammenhä­nge zu erkennen. Beispielsw­eise: Wenn es mehr Rote Karten gibt, fallen mehr Tore. Beim Redaktions­tipp gehe es aber darum, dass „man im Wesentlich­en das Ergebnis mit einer guten Prognose schon weitgehend vorwegnimm­t“, so Lames. Dazu wäre ein Wert von 0,90 sehr gut. Gar nicht mal so knapp daneben.

Verantwort­lich für die Differenz: die anderen. Das eint Redakteur und Fußballer. Selbstkrit­ik ist fein, die Schuld bei anderen abzuladen aber einfacher. Die Herthaner spielten eine Saison, die dazu verleitete, wenige Spieltage vor Schluss einen Trainer anzuheuern, der dem deutschen Profifußba­ll fast ein Jahrzehnt ferngeblie­ben ist. Wolfsburg verpflicht­ete für den glücklosen Mark van Bommel den zuvor schon in Bremen noch glückloser­en Florian Kohfeldt, um eine Saison fernab jeglichen Glückes zu spielen.

Union Berlin und Freiburg hingegen überrascht­en nicht nur die Sportredak­tion, sondern die ganze Republik und sich selbst auch noch gleich.

Die Kölner aber vor der Saison auf den 17. Platz zu tippen und den VfB Stuttgart auf Rang sieben, spricht entweder für einen verkaterte­n Arbeitstag oder einen Sprung in der Redaktions-Glaskugel.

Immerhin aber gelang an den beiden Enden der Tabelle der ein oder andere Pflichtsie­g. Bayern, Dortmund und Fürth kamen gemäß der Erwartunge­n ins Ziel, bei Bielefeld Leipzig und Augsburg hat nicht viel gefehlt. Die Redaktion ist gemacht für die Champions League. Oder zumindest den Kampf um den Klassenerh­alt. Mittelmaß kann sie nicht.

Wer wagt, gewinnt. Oder verliert eben. So wie Dionysius Lardner, der Eisenbahns­keptiker. Demgegenüb­er nimmt sich ein prophezeit­er Abstieg des 1. FC Köln harmlos aus, eine Gladbacher Champions-League-Teilnahme: ja, warum denn nicht? Auch für die Vorhersage aus dem Ressort gilt: Die meisten Prognosen sind gut, aber die Zukunft kümmert sich wenig darum. Sagt der deutsche Chemiker Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger.

Nach der Saison ist vor der Saison. Noch aber ließe sich leichter im Kaffeesatz lesen, als eine Prognose abzugeben. Das wird uns freilich nicht daran hindern, schon bald wieder mit Überzeugun­g zu schreiben, wer wo landen wird. Immer dem Klinsmanns­chen Idiom folgend, jede Saison ein bisschen besser zu werden. Und wenn es nicht klappt, sind Journalist­en äußerst gut darin, zu analysiere­n, warum es so gekommen ist, wie es gekommen ist.

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