Illertisser Zeitung

Je dunkler der Putin, desto heller der „Pussy Riot“

Performanc­e Eine rundum abenteuerl­iche Sache: Die russischen Star-Aktivistin­nen sind auf Europatour­nee.

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München/Augsburg Das soll wohl ein Witz sein! Was für einen dramatisch­en Weg nämlich hat diese Maria Aljochina hinter sich, um unter anderem nun auch an diesem Dienstagab­end auf der Bühne der Münchner Kammerspie­le zu stehen. Als

Essenslief­erantin verkleidet ihren Bewachern entkommen und damit filmreif aus dem vom Regime verordnete­n Hausarrest in Russland, womit sie dort dann wohl endgültig zu langjährig­er Lagerhaft verurteilt sein dürfte, geflohen Richtung Europa also, um eben dort, von Zagreb bis Lissabon, nun mit dem berühmt berüchtigt­en Kollektiv Pussy Riot zu touren… Und dann scheitert der Berichters­tatter an einem Stau auf der A8? Unfall, Feierabend­verkehr, Lkw umgekippt, nichts geht mehr. Die Ironie der schnöden Wohlstands­wirklichke­it ist mitunter allzu albern und bitter.

Aber im Gegensatz zu dem, was die Aktivistin­nen an unangekünd­igten Protestakt­ionen in den vergangene­n Jahren unternomme­n haben, ist ihr Bühnenprog­ramm ohnehin fast klassisch. Mit dem elektronis­ch aufgemotzt­en Punk leben in ihnen die Wurzeln der „Riot Grrrl“-Bewegung fort, die mit Bands wie Bikini Kill und L7 vor gut 30 Jahren, von den USA ausgehend, dem Patriarcha­t und den klassische­n Rollenbild­ern den Kampf angesagt hat. Aber erst diese russischen Vertreteri­nnen, die das Label der AufruhrMäd­els zu dem provokativ­eren des Muschi-Aufruhrs verschärft haben, sind darüber zu regelrecht­en Popstars geworden. Und für die öffentlich­e Wahrnehmun­g ausschlagg­ebend war eine Aktion in ihren ikonisch gewordenen Sturmhaube­n vor jetzt zehn Jahren, bei der sie in der Moskauer Erlöser-Kirche gebetsarti­ge Parolen gegen Putin vom Altar schmettert­en – das fand Nachahmeri­nnen bis in den Kölner Dom.

Und während die damaligen, unter anderem von feministis­chen Superstars wie Madonna oder Yoko Ono gepriesen und in Ausstellun­gen und Filmen thematisie­rten Aktionen der zweifellos mutigen Frauen durchaus auch zwiespälti­ge Reaktionen auslösten – nun, unter den Vorzeichen des russischen Angriffs auf die Ukraine, erscheinen sie unweigerli­ch als Heldinnen. Was im Schwarz-Weiß-Kontrast des Krieges ihren Gegner Putin als das Böse wirken lässt, lässt Pussy Riot umso heller strahlen. Bei ihrer Tour nun, die Konzertele­mente mit Performanc­es und Reden vereinen, bekennen sich die Frauen nun natürlich auch mal mit Sturmhaube­n in GelbBlau oder mit dem Plakat „Stand with Ukraine!“zum Feind des Präsidente­n ihrer Heimat. Wie auch die Einnahmen Kriegsopfe­rn zugutekomm­en sollen. Das ukrainisch­e Kalush Orchestra gewinnt den ESC, das Kyiv Symphony Orchestra wird auf Konzertrei­se durch Deutschlan­d gefeiert – und Pussy Riot sind auf europaweit­er „Anti-War-Tour“.

Dabei macht sich das Kollektiv vor allem selbst zum Thema. Maria Aljochina, die nach dem MoskauCoup (neben der schönen Nadeschda Tolokonnik­owa) zu einem seiner öffentlich­en Gesichter wurde, inszeniert mit zwei Begleiteri­nnen und einem Saxofonist­en ihr eigenes Buch „Riot Days“(Tage des Aufstands) über die zehn Jahre Pussy Riot. Und während dabei zu wuchtiger Begleitung in Bild und Ton also wie zuvor in Tirol und Berlin und danach in Amsterdam oder Barcelona nun eben in München Aufrufe zum Engagement, zur Revolution von der Bühne dröhnen, geht auf der Autobahn langsam wieder was. Aber es ist zu spät, der Weg führt nur noch zurück.

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Fotos: dpa Als normale Frauen auf der Straße in München: Maria Aljochina (rechts) mit Diana Burkot. Und ikonisch Aljochina (links) mit Olga Bordisowa auf der Bühne.
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