Kaum ein Manager musste so viel Kritik wegstecken
Porträt Der gebürtige Österreicher Paul Achleitner gilt als Phänomen: Zehn Jahre wurde er als Chef-Kontrolleur der Deutschen Bank von Medien und Aktionären munter abgewatscht. Doch der 65-Jährige machte einfach weiter und glaubt, dass seine Mission am End
Frankfurt am Main Der DeutscheBank-Aktionär Hans Oswald hat bei sich zu Hause im Spessart ein Video aufgenommen, das am Donnerstag bei der digitalen Hauptversammlung des Konzerns ausgestrahlt wird. Der Mann mit dem weißen Hemd, dessen drei oberste Knöpfe geöffnet sind, sitzt vor einer Schrankwand und bedankt sich bei dem Finanzhaus für „die tolle Dividende von 20 Cent“, kritisiert aber „respektlos“hohe Boni für die Investmentbanker. Oswald reckt seine rechte Faust in die Kamera, um dem an dem Tag abtretenden Aufsichtsratschef Paul Achleitner triumphierend wissen zu lassen: „Offensichtlich habe ich da wieder einen Volltreffer gelandet. Jetzt haben Sie den Salat.“Der Aktionär teilt dem Manager, auf den der in Deutschland kaum bekannte Niederländer Alexander „Alex“Wynaendts folgt, noch gefühlig mit: „Ich bin immer wieder erstaunt, wie sie das zehn Jahre durchgehalten haben.“Wenn Oswald daran denkt, laufe es ihm eiskalt den Rücken runter. Achleitner versucht, cool zu bleiben – wie so oft als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, die erst im Winter seines Wirkens, nach katastrophalen Jahren mit Milliardenverlusten, wieder auf den Pfad der Gewinn-Tugend zurückgekehrt ist. Zugleich musste das in eine Skandalserie um manipulierte Zinssätze und dunkle Geschäfte in Russland verwickelte Unternehmen dafür milliardenschwer büßen. Solch eine Ballung von Übeln lässt den Druck auf einen Top-Manager wie den gebürtigen Oberösterreicher Achleitner meist ins Unermessliche anschwellen, sodass am Ende ein Rücktritt unausweichlich ist.
Dem einstigen Daimler-Chef Jürgen Schrempp widerfuhr ein solches Schicksal, nachdem ihn Aktionärsschützer wegen des Desasters der Fusion mit Chrysler als „größten Kapitalvernichter aller Zeiten“gebrandmarkt hatten. Doch Achleitner, der Sätze gerne mit „Wissen Sie“, „Ach“oder „Tja“einleitet, um dann dozierend-professoral auszuholen, schien den Shitstorm charmant-lächelnd, mit heimatlichem Teflon-Schmäh an sich abgleiten zu lassen. Vielleicht war der 65-Jährige einfach nur gut beraten, etwa von seinem Freund, dem grünen EhrenRealo Joschka Fischer. Bei einem gemeinsamen Auftritt der beiden in einem privaten Gymnasium unweit des Starnberger Sees formulierte der frühere Außenminister für dünnhäutigere Nachgeborene: „Das Wesen eines Sturms besteht darin, dass er vorbeigeht, mit oder ohne Shit.“Das müsse man eben durch. Und wie Fischer seine Unverfrorenheit „Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch“bis heute so gar nicht bedauert, wirkt auch Achleitner mit sich wohl völlig im Reinen. Seine das graue Haar schwarz kontrastierenden Augenbrauen zucken beim Reden gewohnt nach oben, während durch die runde, randlose
Brille die klein wirkenden, dunklen Augen fleißig die Umgebung scannen. Achleitner glaubt fest daran, dass die Deutsche Bank wieder in der richtigen Spur sei. Dass es dazu aber nach zünftigen Shitstorms mehrerer Vorstandswechsel bedurfte, irritiert den Manager nicht. Er spricht hier lediglich von „drei Phasen“. So musste sich der Konzern in seiner Amtszeit von dem gebürtigen Inder Anshu Jain trennen, ein gelernter Investmentbanker, der vielen als Kern des Übels bei der Deutschen Bank gilt. Darauf berief der in Wirtschafts- und Politikkreisen rekordverdächtig vernetzte Achleitner den etwas kauzigen Briten John Cryan, dem Excel-Tabellen und die Musik des 16. Jahrhunderts ans Herz gewachsen sind.
All die international besetzten Führungs-Experimente sollten mit Karacho scheitern. Schon die Ära von Josef Ackermann als Vorgänger Jains erschien vielen als Katastrophe, auch wenn der Schweizer ebenso ausladend welterklärend wie Achleitner auftritt. Doch wie sich der einstige Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper mit seinem PeanutsVergleich ins Abseits stellte und vielen als Anfang des Niedergangs der Deutschen Bank gilt, hat sich Ackermann mit einem unbedachten Fingerspiel zum Buhmann der Nation entwickelt: Sein Victory-Zeichen vor Gericht gilt als Symbol einer arroganten Manager-Klasse.
Achleitner hingegen, der mit sonorer Stimme Bögen zwischen Politik und Wirtschaft spannt, werden keine Ausrutscher in Gestenform, sondern unternehmerische Fehlleistungen vorgehalten. Die Süddeutsche Zeitung urteilte einst, dem Manager fehle die Einsicht, Dinge wirklich zu ändern und vor allem die
Konsequenz in der Führung. Missstände seien kleingeredet, ignoriert und ausgesessen worden. Der Spiegel schrieb nicht minder gnadenlos über die Deutsche Bank: „Der ungebremste Niedergang trägt vor allem eine Handschrift: die Achleitners.“Dessen Traum, den Konzern rundzuerneuern, sei gescheitert.
Die empörte Presse-Schau ließe sich lange fortsetzen. Einer der größten Kritiker Achleitners ist allerdings Dieter Hein, ein bankenunabhängiger Analyst von Fairesearch. Am Telefon braucht er nicht lange, um zu sagen: „Die Aktionäre können froh sein, dass er jetzt geht. Es waren zehn verlorene Jahre für die Deutsche Bank.“Achleitner gebühre nach „dem Desaster ohnegleichen“einer der vorderen Plätze in der Liste der größten Vermögensvernichter in Deutschland. In dem Gespräch fielen noch viele andere unfreundliche Sätze, am Ende aber auch die Erkenntnis Heins: „Achleitner ist ein echter Überlebenskünstler.“Eine Eigenschaft, die er mit seinem Freund Joschka Fischer teilt. Immerhin räumt der Manager am Ende ein, dass die vergangenen zehn Jahre „in vielerlei Hinsicht anders waren als erwartet“. Dem widerspricht dann mal ausnahmsweise kein Aktionär oder Journalist.