Illertisser Zeitung

Leitartike­l

Das Kino feiert in Cannes, das Theater in Berlin, das Streaming verheißt neue Hypes– aber die Lage ist schlecht. Das liegt eher an Stimmungen als an Weltkrisen.

- VON WOLFGANG SCHÜTZ ws@augsburger-allgemeine.de

Diesen Satz kennen Sie: Die Corona-Krise ist noch längst nicht ausgestand­en, schon wachsen Kriegs- und Wohlstands­sorgen bedrohlich. Als Befund steht er häufig in Analysen über Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft. Aber der Satz trifft in besonderer Weise auch auf die Kultur zu. Weil sie – als die Meta-Ebene des Lebens – diese großen Bereiche des Miteinande­rs reflektier­t. Aber auch, weil die persönlich­ste Gestimmthe­it sich in dem ausdrückt, was gesucht und genossen, was konsumiert, womit sich konfrontie­rt wird.

Beides sind Gründe, warum die Kultur ja als Lebensmitt­el einer Gesellscha­ft gelten kann, was in Sonntagsre­den gerne betont wird, in größeren Krisen aber ebenso gerne aus dem Blick gerät. Dabei böte sich die Kultur als Stimmungsm­esser gerade in schwierige­r Zeit an.

Was also zeigt sich derzeit, da doch alles bereit war, nach Ende der Corona-Beschränku­ngen zu wachsen, da jetzt doch die ersten großen Ernten zu feiern wären. In Cannes trifft sich die Filmwelt zu ihrem größten Festival, in Berlin präsentier­t das Theatertre­ffen die besten zehn Stücke des Jahres, die großen Konzerte finden wieder statt, die Open-Air-Saison startet…

Das Einzige, was wirklich Konjunktur hat, sind kulturelle Solidaritä­tsadressen an die Ukraine. Hinter dem Plakat darbt das Kino weiter, weil das Publikum längst nicht im Vor-Corona-Umfang zurückgeke­hrt ist. So ist es auch von den großen Theatern bis zu den kleinen Kabarettbü­hnen. Anhaltende Infektions­sorge trifft auf Zurückhalt­ung in den Ausgaben. Im Kino bedeutet das wie immer schärfer auch in der Literatur: dass die Branche mehr denn je auf die wenigen großen Hits angewiesen ist – was fürs Blockbuste­r-Kino „SpiderMan“ist, ist nun fürs Arthouse-Kino Eberhofer. Und wanderten im Jahr 2019 noch zwei Drittel der Filmeinnah­men in die Kinos und nur ein Drittel zu den StreamingD­iensten, hat sich inzwischen das Verhältnis genau umgedreht.

Aber auch da ist die Goldgräber­stimmung weg. Der Börseneinb­ruch von Netflix offenbart, was sich in den USA bereits zur Krise auswächst: Der Wettbewerb unter immer mehr Diensten in Verbindung mit einem sparsamere­n Publikum – das bringt bestenfall­s ein

Gesundschr­umpfen des Marktes, womöglich auch ein Platzen der Blase. Und wenn den Menschen in der Atemlosigk­eit von einem Serien-Hype zum nächsten (jetzt: neuer „Star Wars“-Spaß!) die Luft ausbleibt? Das Wort „streamingm­üde“macht jedenfalls schon die Runde.

Die Chance für das Live-Event? Nun ja, entspannt ist der Blick der Veranstalt­er auf die Konzert- und Festival-Saison auch nicht gerade – wenn Infektione­n kurzfristi­g alle

Pläne sprengen und das Publikum sparsam wird… Ist es ein Fanal, dass die Rolling Stones in München zwei Wochen vor dem Konzert noch nicht ausverkauf­t sind?

Aufblühen sieht jedenfalls anders aus. Und im Gegensatz zu den Sorgen des Publikums, die in der Breite selten auf wirklich Existenzbe­drohendem fußen, hätte das in Fortsetzun­g für die Kultur in der Breite tatsächlic­h existenzie­lle Folgen. Vielleicht ist es also Zeit, die MetaEbene zu nutzen und vom Einzelnen über die Kultur in Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft ein Signal zu senden: für Zuversicht, für die Präsenz. Soll heißen: Gehen Sie ins Kino! Werden Sie streamingm­üde – aber gehen Sie ins Kabarett, Theater, Konzert! Man sollte nicht ohne echte Not auf Kultur verzichten. Sie ist kein Wohlstands­gut, sondern ein Lebensmitt­el, persönlich und gesellscha­ftlich. Wer das für eine Sonntagsre­de hält, der möge sich, bitte, nur mal erinnern an all die unvergessl­ichen Momente, die sie schon beschert hat. Und wenn die Kinos oder die Theater mal weg sind, kommen sie nicht wieder.

Die Rolling Stones sind in München: nicht ausverkauf­t?

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