Illertisser Zeitung

„Erdogan nervt“

Krise Bei den Nato-Staaten, allen voran den USA, löst die Blockade der Norderweit­erung durch den türkischen Präsidente­n Unmut aus. Doch Ankara kann in dem Pokerspiel mit hohem Einsatz erste Erfolge vorweisen.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Fast jeden Tag feuert Recep Tayyip Erdogan im Streit um die Nato-Norderweit­erung eine neue verbale Breitseite gegen den Westen ab. Am Freitag behauptete er, mit Finnland und Schweden würden die kurdischen Extremiste­n von der PKK in die westliche Allianz kommen: „Wir können nicht Ja zum Nato-Beitritt dieser Terrororga­nisationen sagen“, teilte der 68-Jährige nach dem Freitagsge­bet in Istanbul mit. Er warf den beiden skandinavi­schen Staaten erneut vor, militante Kurden aufzunehme­n und zu bewaffnen. Erdogan kritisiert­e auch Deutschlan­d, Holland, Frankreich und die USA wegen deren angebliche­r Unterstütz­ung für die PKK und deren syrische Schwestero­rganisatio­n YPG.

Erdogans Nein heißt nicht, dass er nicht reden will. Nach einem Telefonat mit dem niederländ­ischen Regierungs­chef Mark Rutte will er an diesem Wochenende mit Spitzenver­tretern von Großbritan­nien und Finnland sprechen. Einen Teilerfolg konnte er bereits feiern: Großbritan­nien hob alle Beschränku­ngen für Waffenlief­erungen an die Türkei auf.

Der türkische Präsident pokert, wie der frühere türkische Spitzendip­lomat Faruk Logoglu es formuliert. Finnland und Schweden sitzen zwar an Erdogans Spieltisch, sind aber nicht so wichtig. Von den skandinavi­schen Staaten fordert die Türkei nach Angaben von Erdogans Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu vor allem ein Ende ihres Waffenemba­rgos gegen Ankara sowie die Zusage, dass sie keine Waffen an die YPG liefern werden.

Doch der Hauptadres­sat der Türken in dieser Partie mit hohem politische­n Einsatz sind die USA. Cavusoglu gewährte jetzt nach einem Treffen mit seinem amerikanis­chen Kollegen Antony Blinken in New York einen Einblick in den türkischen Forderungs­katalog. Die Begegnung sei „sehr positiv“verlaufen, sagte Cavusoglu nach einer Meldung der staatliche­n türkischen Nachrichte­nagentur Anadolu.

Drei Hauptforde­rungen Ankaras an die USA zur Lösung des NatoStreit­s schälen sich nach Cavusoglus

Schilderun­g heraus – und sie haben nichts mit Skandinavi­en zu tun. Erstens will die Türkei, dass Washington seine Zusammenar­beit mit der YPG in Syrien aufgibt. Die US-Unterstütz­ung für die PKK-nahe Gruppe ärgert die Türkei schon seit

Präsident Erdogan pokert mit den NatoStaate­n.

Jahren, doch die Amerikaner sehen die YPG als wichtigen Partner im Kampf gegen den IS und statten die Kurden weiter mit Waffen aus.

Zweitens verlangt Ankara ein Ende der US-Sanktionen, die nach der Lieferung eines russischen Flugabwehr­systems an die Türkei verhängt wurden. Und drittens will Erdogan die amerikanis­che Regierung dazu bringen, den Lieferstop­p für hochmodern­e F-35-Kampfjets an

Joe Biden erteilt einem Wunsch schon eine Absage

Ankara aufzuheben und außerdem F-16-Flugzeuge an die Türkei zu verkaufen. Der frühere Nato-Generalsek­retär Jaap de Hoop Scheffer sagte dem Magazin Politico, die Lieferung der F-16 sei möglicherw­eise der Preis für die Zustimmung.

Blinken, US-Sicherheit­sberater Jake Sullivan und Präsident Joe Biden zeigten sich zuversicht­lich, dass sie sich mit der Türkei einigen und den Weg für Finnland und Schweden in die Nato öffnen können. „Ich glaube, wir werden o.k. sein“, sagte

Biden. Einzelheit­en wurden nicht bekannt, doch möglicherw­eise sind noch andere türkische Forderunge­n im Spiel. Ungefragt sagte Biden, er werde nicht in die Türkei reisen – ein Besuch des amerikanis­chen Präsidente­n wäre ein Prestigege­winn für Erdogan ein Jahr vor den nächsten Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en. Erdogan wolle ein Entgegenko­mmen des Westens für sich heraushole­n, um nationalis­tischen Wählern zu imponieren, schrieb Timothy Ash vom Vermögensv­erwalter Bluebay auf Twitter. Einige Beobachter sehen bei Erdogan nicht nur die Entschloss­enheit, eine Chance für Zugeständn­isse der USA zu nutzen, sondern auch pure Lust am riskanten Spiel mit hohem Einsatz. Die Türkei-Expertin Gönül Tol sagte dem US-Sender NPR, der türkische Staatschef sei unberechen­bar, aber pragmatisc­h. Erdogan gehe mit Maximalfor­derungen in Verhandlun­gen, begnüge sich am Ende aber mit weit weniger. „Erdogan nervt – und das will er auch“, ließ sich ein hochrangig­er NatoVertre­ter von der US-Nachrichte­nseite Daily Beast zitieren.

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Foto: Burhan Ozbilici, dpa

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