Illertisser Zeitung

Nach der „Nacht der langen Messer“

Haushalt Irgendwann ist selbst beim Staat die Endabrechn­ung fällig. In einer Nachtsitzu­ng hat der Bundestag erbittert um viele noch unklare Etatposten gerungen. Nun ist klar: Die Ampel nimmt heuer 139 Milliarden neue Schulden auf.

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Als „Nacht der langen Messer“ist die Haushaltsb­ereinigung­ssitzung im Bundestag berüchtigt, denn dabei wird erbittert um jeden Etatposten gerungen. Manches Vorhaben platzt in letzter Sekunde, während für andere Dinge plötzlich Geld da ist. Doch ausgerechn­et in diesem Krisenjahr, wo es um das zweithöchs­te Defizit aller Zeiten ging, fiel sie so kurz aus wie selten zuvor. Nach „nur“rund 15 Stunden meldeten die Haushälter der drei Ampel-Fraktionen am Freitagmor­gen gegen 2.40 Uhr Vollzug.

496 Milliarden Euro kann die Bundesregi­erung in diesem Jahr ausgeben. Dass die Budgetplan­ung sich bis in den Mai zog, liegt daran, dass die Koalition aus SPD, Grünen und FDP erst seit dem vergangene­n Dezember steht. 139 Milliarden Euro an neuen Schulden sind im laufenden Jahr vorgesehen. Höher war die Neuverschu­ldung nur im vergangene­n Jahr mit rund 215 Milliarden Euro – Folge der Corona-Krise. Die im Grundgeset­z verankerte Schuldenbr­emse ist nun zum dritten Mal in Folge ausgesetzt, soll aber im kommenden Jahr wieder greifen.

Die Ausgaben erhöhen sich im Vergleich zu den ursprüngli­chen Entwürfen von Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) sogar noch einmal um fast zwölf Milliarden Euro. Dass es bei der Schuldenau­fnahme bei den ursprüngli­chen Zahlen blieb, liegt daran, dass der Fiskus in diesem Jahr mit höheren Steuereinn­ahmen rechnet. Zuvor hatte Lindner bereits mit einem 40 Milliarden Euro schweren Ergänzungs­haushalt auf die Ukraine-Krise reagiert. Mit dem Geld sollen etwa die Folgen der explodiere­nden Energiepre­ise und der Inflation für die Menschen in Deutschlan­d abgefedert werden.

Im Haushaltsa­usschuss hinzu kamen nach Angaben der Grünen weitere 200 Millionen Euro für den Klimaschut­z und die Bewahrung der

Artenvielf­alt. Zusätzlich­e 400 Millionen Euro gibt es für die Digitalisi­erung des Bahnverkeh­rs. Insgesamt wurden die Investitio­nen um 705 Millionen auf 51,5 Milliarden Euro erhöht. Eingeplant sind auch zusätzlich­e Ausgaben zur Bewältigun­g möglicher neuer Corona-Wellen. Mehrausgab­en ergeben sich zudem aus rund 9600 neuen Stellen, die beim Staat entstehen. Am größten ist der Personalau­fwuchs in den Zuständigk­eitsbereic­hen des Innenminis­teriums (etwa bei Bundeskrim­inalamt und Bundespoli­zei), des Finanzmini­steriums (hauptsächl­ich für den Zoll) und des Bundesvert­eidigungsm­inisterium­s. Kürzungen gibt es andernorts zwar auch, doch netto wächst der Bestand um rund 6000 Stellen.

Mit Blick auf die Ukraine-Krise wurde das Auswärtige Amt im Vergleich zum ersten Entwurf um eine runde Milliarde Euro gestärkt, hinzu kommt eine weitere Milliarde Euro an Liquidität­shilfe für die Ukraine. Wegen der häufiger auftretend­en Extremwett­erereignis­se wie der Flutkatast­rophe vom vergangene­n Jahr soll auch der Zivil- und Katastroph­enschutz verbessert werden. So erhält das Technische Hilfswerk 40 Millionen Euro zusätzlich, etwa für geländegän­gige Einsatzfah­rzeuge vom Typ Unimog. Die grüne Haushaltsp­olitikerin Jamila Schäfer sagte unserer Redaktion: „Mit großen Investitio­nen in die Ausrüstung und das Personal beim Technische­n Hilfswerk schaffen wir ein Bollwerk gegen die Auswirkung­en der Klimakrise. Und wir stärken die Klimaaußen­politik und die zivile Krisenpräv­ention, zum Beispiel mit finanziell­en Mitteln für verfolgte Wissenscha­ftler in Osteuropa oder den Ausbau des Zentrums für internatio­nale Friedensei­nsätze.“

Gestrichen haben die Haushälter dagegen die Mittel für Büro und Mitarbeite­r von Exkanzler Gerhard Schröder (SPD). Begründung: Er nehme keine Aufgaben im Zusammenha­ng mit seinem früheren Amt mehr wahr. Heftige Kritik am Haushaltsp­lan der Ampel kommt aus der Union. Sie hält eine Senkung der Neuverschu­ldung um 88 Milliarden Euro für möglich. Mit Blick auf die in zwei Wochen anstehende Verabschie­dung des Etats im Bundestag sagte der haushaltsp­olitische Sprecher der CDU/CSU, Christian Haase: „Das ist ein Zeichen auch an die Bevölkerun­g, die im Augenblick viele Einschränk­ungen machen muss, dass auch der Staat spart an der Stelle und wir nicht jedes Problem in Deutschlan­d mit Geld zuwerfen können.“

Einsparung­en fordert die Union etwa beim Personal, die Stellenmeh­rung sei den Bürgern „nicht zu vermitteln“. Dagegen stehe die Union zu den Ausgaben, die im Zusammenha­ng mit dem Krieg in der Ukraine beschlosse­n wurden.

Nicht mit eingerechn­et ist im Haushalt die gigantisch­e Finanzspri­tze, die die Bundesregi­erung für die Ertüchtigu­ng der Bundeswehr plant. 100 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen, doch der Betrag soll in einem sogenannte­n Sonderverm­ögen verbucht werden, für das die Schuldenbr­emse nicht gelten soll. Für das buchhalter­ische Manöver ist eine Grundgeset­zänderung nötig, dafür braucht die Ampel im Bundestag die Stimmen der Union. Noch aber ist das Vorhaben umstritten. CDU und CSU fordern, dass Deutschlan­d das Nato-Ziel, dass die Mitgliedsl­änder mindestens zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung aufwenden sollen, dauerhaft erfüllt. Und nicht nur während der wenigen Jahre, in denen das Sonderverm­ögen für neues Kriegsgerä­t fließt.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Kanzler Scholz und sein Kabinett geben mehr Geld aus.

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