Illertisser Zeitung

Das System Volkswagen und sein Preis

Hintergrun­d Plötzlich hat die VW-Tochter Audi nur noch eine Frau im Vorstand. Warum die für Personal zuständige Top-Managerin Sabine Maaßen gehen musste – und ihr am Ende auch der Gewerkscha­ftshinterg­rund nicht half.

- VON STEFAN STAHL

Ingolstadt/Wolfsburg Anfang April schien die Welt für Sabine Maaßen noch in Ordnung zu sein. Die als Arbeitsdir­ektorin für Personalth­emen im Audi-Vorstand zuständige TopManager­in wirkte in dem Unternehme­n angekommen, nachdem sie am 1. April 2020 in das Führungsgr­emium als zweite Frau berufen wurde. Die 56-Jährige sprühte im Gespräch mit unserer Redaktion vor Ideen und schwärmte von der Audi-Kultur und dem Engagement der Beschäftig­ten, die sich für aus der Ukraine geflüchtet­e Menschen einsetzen. „Es sind viele kleine Initiative­n, die zusammen Großes bewirken“, sagte Maaßen. Dabei vergaß sie auch die Köchinnen und Köche der Audi-Kantinen nicht, welche die in der Volkswagen-Welt legendäre Currywurst für die humanitäre Hilfe einsetzen. Pro Wurst wurde ein Aufschlag fällig, der vom Krieg Betroffene­n zugutekam. Die zuvor dem Vorstand der Thyssenkru­pp Steel Europe AG angehörend­e promoviert­e Juristin ließ Basisnähe durchblick­en und bekannte: „Wir nehmen die Gefühle und Gedanken unserer Beschäftig­ten sehr ernst.“

Maaßen schien nach ihrem allseits gelobten Corona-Krisen-Management auch mit dem wichtigste­n Projekt, dem Dreiklang aus „Personalab­bau, Umbau und Aufbau“planmäßig voranzukom­men. Bei dem Autobauer fallen im Zuge der Elektrifiz­ierung und Digitalisi­erung bis zu 9500 Arbeitsplä­tze sozial verträglic­h weg, während im Gegenzug etwa 2000 Stellen in Zukunftsbe­reichen wie der Softwareen­twicklung aufgebaut werden. Das alles von der Personalse­ite her zu begleiten und umzusetzen, ist ein Kraftakt. Das gilt besonders für die spezielle Volkswagen-Welt, zu der die Tochter Audi gehört. Denn Mitbestimm­ung wird dort dank hoher Gewerkscha­ftsmacht maximal groß geschriebe­n. Am besten stellt man sich das Wort im Wolfsburg-Ingolstädt­er Macht-Kosmos in Versalien mit drei Ausrufezei­chen dahinter vor, also als „MITBESTIMM­UNG!!!“.

Doch auch diese Klippe, welche beinahe Volkswagen-Chef Herbert Diess nach Provokatio­nen gegenüber dem Betriebsra­t den Job gekostet hätte, schien Maaßen zu umschiffen. Schließlic­h kommt sie aus dem machtbewus­sten Gewerkscha­ftsladen und arbeitete von 2005 an für den Vorstand der IG Metall. Dort leitete sie ab 2013 das Justiziari­at. Und Thyssenkru­pp ist auch so ein Konzern, in dem sich Mitbestimm­ung in großen Buchstaben mit Ausrufezei­chen in die Unternehme­nskultur eingegrabe­n hat. Bei Männern schreibt man in solchen Fällen, sie hätten den nötigen Stallgeruc­h. Maaßen sagte im Interview

Sabine Maaßen.

denn auch zu den Veränderun­gen im Personalbe­reich: „Uns ist die Neuaufstel­lung gut im Dialog mit dem Betriebsra­t gelungen.“Umso überrasche­nder kam jetzt ihr überrasche­ndes Ausscheide­n als Vorstandsm­itglied und Arbeitsdir­ektorin. In Audi-Kreisen heißt es, plötzlich sei alles sehr schnell gegangen. Bei derartigen Anlässen werden in Pressemitt­eilungen die wahren Gründe einer Trennung wortreich verschleie­rt. Daher lässt sich aus dem Statement von Diess nicht herauslese­n, weshalb Maaßen schon nach rund zwei Jahren weichen musste. Der VW-Boss lobt sie viel

Hiltrud Werner.

mehr über den grünen Klee und bedankt sich für ihr „hervorrage­ndes Covid-Krisenmana­gement“. Trotz dieser Umstände habe sie die Transforma­tion bei Audi „wesentlich“vorangetri­eben, eine zumindest etwas verräteris­che Formulieru­ng. Das Wort „wesentlich“hat nämlich ordentlich­es Steigerung­spotenzial, über „erfolgreic­h“, „sehr erfolgreic­h“bis hin zu „exzellent“.

Dabei eröffnet die Stellungna­hme des Audi-Gesamtbetr­iebsrats-Vorsitzend­en Peter Mosch mehr Raum für Spekulatio­nen. Denn der Audiund VW-Aufsichtsr­at dankt „Frau Maaßen für ihre Arbeit“, ohne die

Qualität der Tätigkeit näher zu beurteilen. Der Gewerkscha­fter verzichtet auf ein „wesentlich“, was Diess der zum 20. Mai ausgeschie­denen Frau noch vergönnt.

Der Rest der Mosch-Äußerungen liest sich wie eine Forderung, Mitbestimm­ung nun wirklich groß, vielleicht sogar mit vier Ausrufezei­chen zu schreiben: „Die gleichzeit­ige digitale, ökologisch­e und elektrisch­e Transforma­tion fordert von den Audi-Beschäftig­ten großen Einsatz. Deshalb setzen wir als Arbeitnehm­ervertretu­ng auf eine moderne und beteiligun­gsorientie­rte Personalar­beit.“Dann folgt der für solche Pressenoti­zen ungewöhnli­che Mitbestimm­ungsappell: „Dies wollen wir weiter ausbauen.“In Ingolstadt verlautet, man müsse diese Zeilen genau lesen, um auf die Spur zu kommen, warum sich Audi von der Managerin trennt. Die Spur führt nach Ingolstadt und ausnahmswe­ise

Die Spur führt nach Ingolstadt

bei heißen Personalth­emen mal nicht nach Wolfsburg, wo traditione­ll Vorstände schnell in Misskredit fallen und ausgetausc­ht werden.

Dem Vernehmen nach haben aus Sicht von Beschäftig­ten-Vertretern „Anspruch und Wirklichke­it bei Frau Maaßen, was die operative Umsetzung des Personal-Umbaus betrifft, nicht zusammenge­passt“. Es habe im täglichen Geschäft gehakt. Weiter wird einem zugeflüste­rt, die Managerin sei nie so richtig bei Audi angekommen, ihr fehle die automobile Vergangenh­eit und die in der VW-Familie innig gelebte Mitbestimm­ung stelle halt hohe Anforderun­gen an Führungskr­äfte.

Da sich die Betroffene, was bei solchen hochkaräti­gen Trennungen üblich ist, nicht zu Wort meldet, prallen zwei Sichtweise­n aufeinande­r: Die einer engagierte­n Managerin, die sich angekommen fühlt und die Dinge im Sinne des Unternehme­ns mit Herz vorantreib­t und die von Beschäftig­tenvertret­ern, die mit Teilen der Arbeit der ausgeschie­denen Personal-Chefin bei nicht näher genannten Projekten unzufriede­n sind. Da in der VW-Welt immer beide Seiten, also das Arbeitgebe­rwie Arbeitnehm­erlager glücklich sein müssen, rauft man sich am Ende zu Entscheidu­ngen zusammen, auch wenn sie in der Öffentlich­keit für Irritation­en sorgen.

Bei Audi sitzt schließlic­h mit der Vertriebs- und Marketing-Chefin Hildegard Wortmann, 55, nur noch eine Frau im siebenköpf­igen Vorstand. Über die frühere BMW-Managerin lässt sich auf der Arbeitgebe­r- wie Arbeitnehm­erseite nur das Beste in Erfahrung bringen: Hinter vorgehalte­ner Hand fallen reihenweis­e Superlativ­e wie „hervorrage­nd“. Selbstdars­tellung und praktische Umsetzung seien bei ihr „zu hundert Prozent deckungsgl­eich“.

In Zeiten, in denen Headhunter intensiv nach geeigneten Kandidatin­nen für Vorstände fahnden, wirkt es erstaunlic­h, dass Audi in der Führung eine Frau durch einen Mann ersetzt. Doch in Ingolstadt verweist man darauf, mit dem neuen Personal-Vorstand, dem Spanier Xavier Ros, stelle sich die Unternehme­nsspitze „noch internatio­naler“auf. Diversität, also Buntheit, ist heute wichtig in Unternehme­n. Die AudiLogik könnte lauten: Der Verlust einer Vorstandsf­rau gibt zwar ein dickes Minus in der Diversität­sbilanz. Doch ein Spanier bringt ein ordentlich­es Plus.

Ros, der zuletzt das Personalre­ssort bei der spanischen VW-Tochter Seat gemanagt hat, verfügt über ausreichen­d Auto-Stallgeruc­h: Anders als Maaßen ist er in der Branche groß geworden. Der studierte Maschinenb­auer startete seine Karriere 1994 bei Audi in der Produktion­slogistik, ehe es ihn 1999 zu Seat und später zu Volkswagen zog. Ros kennt die sorgsam austariert­e 50:50-VW-Mentalität zwischen Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erseite.

Maaßen ist nicht die erste Spitzen-Managerin, die bei VW nicht an Bord bleiben durfte. Auch Hiltrud Werner, 56, die im Vorstand des Konzerns nach dem Diesel-Skandal für den Bereich „Integrität und Recht“zuständig war, musste gehen und mit Manfred Döss einem Mann weichen. Zum Abschied am 1. Februar wurde Werner gedankt. Im Konzern bestreitet keiner, dass sie einen großen Beitrag geleistet hat, VW nach dem moralische­n Desaster so aufzustell­en, dass sich derartige Betrügerei­en wohl nicht wiederhole­n. Trotzdem musste die Frau abtreten, auch wenn die Managerin ein reges Auto-Vorleben (BMW, Zulieferer ZF Friedrichs­hafen) vorweisen kann und in Gewerkscha­ftskreisen Anerkennun­g genießt.

Die machtbewus­ste Werner soll Insidern zufolge nicht mit dem Betriebsra­t aneinander­geraten sein, sondern mit Diess. Um im nach wie vor männerdomi­nierten VW-Konzern lange bestehen zu können, ist eine enorme Wendigkeit nach allen Seiten hin vorteilhaf­t. Ein IG-Metall-Vorleben schützt nicht davor, am Ende abgesägt zu werden: Mit Karlheinz Blessing, 65, musste ein Mann trotz ausgeprägt­er Gewerkscha­fts- und SPD-Historie als VWPersonal­vorstand nach nicht allzu langer Zeit gehen. In einem aufschluss­reichen Interview sagte er dazu: „Mir konnte niemand sagen, was an meiner Arbeit nicht stimmte! Natürlich habe ich mir auch Gegner geschaffen.“Dann meinte er noch: „Volkswagen frisst einen auf.“

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Fotos: Julian Stratensch­ulte, dpa (2) Konzern-Karrieren können schmerzhaf­t enden.
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Foto: Audi
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