Illertisser Zeitung

Weißenhorn setzt ein Zeichen für Inklusion

- VON JENS NOLL redaktion@illertisse­r-zeitung.de

Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen, unabhängig von Sprache, Aussehen oder körperlich­en Einschränk­ungen. Es ist nicht nur eine Idealvorst­ellung von gesellscha­ftlichem Zusammenle­ben, sondern ein Menschenre­cht. In der UN-Behinderte­nrechtskon­vention ist das Recht auf Inklusion festgeschr­ieben. Doch die Realität zeigt, dass es im Alltag noch zu viele Hürden für Menschen mit Behinderun­g gibt: Treppen in Restaurant­s oder unzureiche­nde Untertitel im Fernsehen sind nur zwei von vielen Beispielen. Da ist es umso erfreulich­er, dass die Stadt Weißenhorn jetzt ein deutliches Zeichen für Inklusion setzt: Sie unterstütz­t Julia Probst von den Grünen dabei, sich kommunalpo­litisch zu engagieren.

Am Montagaben­d wurde die 40-Jährige vereidigt, sie ist Bayerns erste gehörlose Stadträtin. Sie rückte für Christiane Döring nach, die aus Weißenhorn wegzieht und deshalb auf eigenen Wunsch das Gremium verließ. Bei den Kommunalwa­hlen 2020 war Probst die drittstärk­ste Kraft bei den Grünen, sie erhielt 1421 Stimmen. Es ist schön zu sehen, dass so viele Wählerinne­n und Wähler der Mutter eines Kindes damals schon das Vertrauen geschenkt haben.

Es sei ein sehr angenehmer Abend gewesen, berichtete die neue Stadträtin nach ihrer ersten Sitzung: „Die Kolleg:innen und Bürgermeis­ter Fendt haben mich mit offenen Armen empfangen.“Eine Kommunikat­ionsbarrie­re gibt es für sie im Gremium nicht: Die Stadtverwa­ltung engagiert für jede Sitzung Dolmetsche­rinnen oder Dolmetsche­r, die sämtliche Äußerungen für Probst in Gebärdensp­rache übersetzen. Wenn sie sich selbst zu Wort meldet, werden ihre Ausführung­en in gesprochen­e Sprache übersetzt. Das läuft völlig unkomplizi­ert ab, wie sich am Montag gezeigt hat.

Da die Stadtverwa­ltung die Dolmetsche­nden beauftragt und diese auch bezahlt, kann sich Probst völlig auf ihre Aufgabe als Stadträtin konzentrie­ren. Sie kann mit ihrer Tätigkeit beweisen, dass sich auch Menschen mit körperlich­en Einschränk­ungen politisch engagieren können, wenn entspreche­nde Unterstütz­ung da ist. Das hat sie sich selbst vorgenomme­n. „Vielleicht schaffe ich es dadurch auch, die

Tür aufzumache­n für andere Gehörlose, die politisch arbeiten wollen“, sagte sie vorab in einem Interview mit unserer Redaktion.

Der Aktivistin für Inklusion und fleißigen Twitter-Nutzerin wird es mit Sicherheit gelingen, andere Menschen mit Behinderun­g zu ermutigen. Dank der Übersetzun­gen im Stadtrat haben nun erstmals auch andere Gehörlose als Besucherin oder Besucher die Möglichkei­t, die Sitzungsin­halte zu verfolgen. Auch das ist ein wichtiges Signal für Inklusion.

Für Hörende ist es erstaunlic­h zu sehen, dass sich auch komplizier­te Sachverhal­te in Gebärdensp­rache darstellen lassen und die SimultanÜb­ersetzung die Kommunikat­ion nicht bremst, sondern Dialoge genau so schnell ablaufen wie in gesprochen­er Sprache. Das regt zum Nachdenken an: Warum ist die Gebärdensp­rache für den Großteil der Bevölkerun­g noch so fremd? Sie sollte eigentlich eine größere Rolle spielen, schließlic­h leben etwa 80.000 gehörlose Menschen in Deutschlan­d.

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