Weißenhorn setzt ein Zeichen für Inklusion
Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen, unabhängig von Sprache, Aussehen oder körperlichen Einschränkungen. Es ist nicht nur eine Idealvorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben, sondern ein Menschenrecht. In der UN-Behindertenrechtskonvention ist das Recht auf Inklusion festgeschrieben. Doch die Realität zeigt, dass es im Alltag noch zu viele Hürden für Menschen mit Behinderung gibt: Treppen in Restaurants oder unzureichende Untertitel im Fernsehen sind nur zwei von vielen Beispielen. Da ist es umso erfreulicher, dass die Stadt Weißenhorn jetzt ein deutliches Zeichen für Inklusion setzt: Sie unterstützt Julia Probst von den Grünen dabei, sich kommunalpolitisch zu engagieren.
Am Montagabend wurde die 40-Jährige vereidigt, sie ist Bayerns erste gehörlose Stadträtin. Sie rückte für Christiane Döring nach, die aus Weißenhorn wegzieht und deshalb auf eigenen Wunsch das Gremium verließ. Bei den Kommunalwahlen 2020 war Probst die drittstärkste Kraft bei den Grünen, sie erhielt 1421 Stimmen. Es ist schön zu sehen, dass so viele Wählerinnen und Wähler der Mutter eines Kindes damals schon das Vertrauen geschenkt haben.
Es sei ein sehr angenehmer Abend gewesen, berichtete die neue Stadträtin nach ihrer ersten Sitzung: „Die Kolleg:innen und Bürgermeister Fendt haben mich mit offenen Armen empfangen.“Eine Kommunikationsbarriere gibt es für sie im Gremium nicht: Die Stadtverwaltung engagiert für jede Sitzung Dolmetscherinnen oder Dolmetscher, die sämtliche Äußerungen für Probst in Gebärdensprache übersetzen. Wenn sie sich selbst zu Wort meldet, werden ihre Ausführungen in gesprochene Sprache übersetzt. Das läuft völlig unkompliziert ab, wie sich am Montag gezeigt hat.
Da die Stadtverwaltung die Dolmetschenden beauftragt und diese auch bezahlt, kann sich Probst völlig auf ihre Aufgabe als Stadträtin konzentrieren. Sie kann mit ihrer Tätigkeit beweisen, dass sich auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen politisch engagieren können, wenn entsprechende Unterstützung da ist. Das hat sie sich selbst vorgenommen. „Vielleicht schaffe ich es dadurch auch, die
Tür aufzumachen für andere Gehörlose, die politisch arbeiten wollen“, sagte sie vorab in einem Interview mit unserer Redaktion.
Der Aktivistin für Inklusion und fleißigen Twitter-Nutzerin wird es mit Sicherheit gelingen, andere Menschen mit Behinderung zu ermutigen. Dank der Übersetzungen im Stadtrat haben nun erstmals auch andere Gehörlose als Besucherin oder Besucher die Möglichkeit, die Sitzungsinhalte zu verfolgen. Auch das ist ein wichtiges Signal für Inklusion.
Für Hörende ist es erstaunlich zu sehen, dass sich auch komplizierte Sachverhalte in Gebärdensprache darstellen lassen und die SimultanÜbersetzung die Kommunikation nicht bremst, sondern Dialoge genau so schnell ablaufen wie in gesprochener Sprache. Das regt zum Nachdenken an: Warum ist die Gebärdensprache für den Großteil der Bevölkerung noch so fremd? Sie sollte eigentlich eine größere Rolle spielen, schließlich leben etwa 80.000 gehörlose Menschen in Deutschland.