Gut Brot braucht Zeit
Es gibt Brot und Brot. Brot, das man isst, ohne je an den Geschmack zu denken. Aus Gewohnheit, weil man Brot halt schon seit Menschengedenken zu allen möglichen Anlässen isst, morgens, mittags oder abends, zu Süßem, zu Saurem, zu Wurst und Käse. Und es gibt Brot, das lässt einen die Zeitung nicht weiterlesen, das zwingt einen förmlich, anzuhalten, sich auf seine Geschmacksnerven zu konzentrieren, mit- und nachzuschmecken. Das ist Brot, das man nicht vergisst, das sich einem einbrennt, von dem man wissen will, wer es gemacht hat und wie.
Die Grundzutaten sind ja an Einfachheit nicht zu überbieten: Man nehme Mehl, Wasser und Salz. Aber schon im nächsten Schritt – wie viel von welchem, was noch als spezielle Zutat, mit oder ohne zusätzliche Hefe, mit oder ohne Sauerteig, dann auch noch ein paar Brotgewürze – fängt das Einfache an, an Komplexität zu gewinnen. „Ich gehe da wissenschaftlich ran“, sagt Moritz Zeising, studierter Agrarökonom aus Allmannshofen, der der Liebe wegen nach Italien ging, dort in der Spitzengastronomie als Koch anheuerte und bemerkte, dass Backen das ist, was ihm am meisten Spaß machte. In Rom fand Zeising dann jemanden, der sein Wissen mit ihm teilte: Gabriele Bonci, bekannt für die beste Pizza auf die Hand in ganz
Rom. „Aber eigentlich ist Bonci ein Backgenie“, sagt Zeising.
Genau so jemand ist nötig, um mit Wasser, Mehl und Salz Dinge zu zaubern, die man nicht vergisst, also Brot, wie es Carls Hofbäckerei – stop. Das wäre zu früh. Noch ist ja gar nichts gebacken. Und die Brote, die Zeising in Carls Hofbäckerei auf Gut Schwaighof herstellt, benötigen viel Zeit, bis sie in den Ofen geschoben werden, sehr viel mehr Zeit als in vielen anderen Bäckereien. Das ist schon einmal Punkt eins von Zeisings Brotgeheimnissen: Zeit ist eine wesentliche Zutat für maximale Qualität.
Der perfekte Moment, um eine Pause einzulegen, das Brot ruhen zu lassen und Abstand zu gewinnen, sehr viel Abstand. Mit dem Brot geht es irgendwie immer auch ums Ganze. Wasser und Brot, so signalisieren wir in der Sprache die Grundzutaten für unser menschliches Leben. Darin spiegelt sich die Menschheitsgeschichte der letzten 12.000 Jahre wider, die auch mit dem Brot zusammenhängt. Das hat zum Beispiel der walisische Journalist und leidenschaftliche Freizeit-Brotbäcker Robert Penn in seinem Buch „Brot. Der Geschmack des Lebens“(Knesebeck Verlag) in klaren Worten zu Papier gebracht. Wer übers Brot nachdenkt, landet bei einer der größten Wendemarken des Menschen – dem Übergang vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit, dem Beginn des Ackerbaus, der Mutter aller gesellschaftlichen Revolutionen. Vor 12.000 Jahren fing das im fruchtbaren Halbmond an, einem Gebiet, das sich nördlich an die Arabische Halbinsel anschließt. Nomaden begannen dort Einkorn und Emmer, einjährige Süßgräser, nahe an ihren Lagerplätzen auszusäen. Daraus entwickelte sich im Verlauf von zwei Jahrtausenden die Urform menschlichen Ackerbaus. Das geerntete Getreide wurde zu Breien gekocht oder, schmackhafter, gemahlen und als Brot gebacken. All unsere Entwicklung bis zum heutigen Tag hätte ohne den Ackerbau, der Sesshaftigkeit, dem Brot nicht stattgefunden. Penn schreibt: „Weizen ist das herausragende Grundnahrungsmittel der Menschheit.“
Aber irgendwann in den letzten Jahren ist der Weizen hierzulande in gewissen Kreisen in Verruf geraten. Stichwort: Gluten, besser GlutenUnverträglichkeit. Stichwort: Paläo-, also Steinzeit-Ernährung, also zurück vor die neolithische Revolution des Ackerbaus. Stichwort: kohlenhydratarme Ernährung.
Vielleicht hat das Brot mancherorts auch deshalb einen schlechten Leumund, weil es in Großbäckereien weitestgehend durch Maschinen hergestellt wird, in Backstraßen, in denen die Ware möglichst schnell in den Ofen und zum Kunden muss. Zeit ist ja bekanntlich Geld – und Brot eine Massenware.
Damit wieder zurück zu Moritz Zeising, studierter Agrarökonom, Ex-Spitzenküchenkoch und jetzt Bäcker. Er geht an seine Brote in Carls Hofbäckerei nicht mit der ökonomischen Perspektive, ihm geht es um den bestmöglichen Geschmack. Auch für ihn spielt Zeit eine Riesenrolle, aber genau andersherum. Seine Brote bleiben möglichst lange in der Verarbeitung, bekommen viel Gelegenheit, um – umgangssprachlich könnte man jetzt sagen – „zu reifen“. Denn Brot lebt buchstäblich in seinem Herstellungsprozess. Zeising versucht, diese natürlichen Prozesse im Brot so lange zuzulassen, wie sie den Geschmack verbessern.
Und damit zu den Sauerteigen, die in alle Brote von Zeising kommen. Wer ein Mehl-Wasser-Gemisch an der frischen Luft stehen lässt, stößt etwas an. Milchsäureund Hefebakterien beginnen in dem Teig zu leben, deshalb müssen Sauerteige regelmäßig mit frischem Mehl gefüttert werden. Wer das macht, hat lange Freude an ihnen. Zeising arbeitet mit seinen Sauerteigen seit sechs Jahren. In einer Styroporschachtel werden sie bei Laune – sprich der richtigen Temperatur – gehalten. „Sauerteig, das ist angewandte Mikrobiologie“, so Zeising.