Illertisser Zeitung

Diese Woche: Sind die Nebenfolge­n der Covid-Impfung doch viel höher?

- WIRKLICH WISSEN? EINE BEISPIELHA­FTE AUFKLÄRUNG ÜBER DEN TATSÄCHLIC­HEN WAHRHEITSW­ERT KURSIEREND­ER BEHAUPTUNG­EN

Seit Beginn der Corona-Impfkampag­ne verunsiche­rn Berichte über angebliche Nebenwirku­ngen viele Menschen. Nun verbreitet sich die Behauptung, dass „die Zahl schwerer Komplikati­onen nach mRNA-Impfungen gegen Sars-CoV-2“vierzig Mal höher sei, als vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erfasst, also von dem für Impfstoffe zuständige­n Bundesinst­itut. Dies habe eine „langfristi­ge Beobachtun­gsstudie der Berliner Charité“gezeigt. Als Studienlei­ter wird Professor Harald Matthes genannt. Angeblich leiden acht von 1000 Geimpften unter schweren Nebenwirku­ngen, diese Zahl decke sich mit Daten aus anderen Ländern. Sind diese Zahlen belegt?

Bewertung

Die Charité sagt: Es handelt sich nicht um die Ergebnisse einer wissenscha­ftlichen Studie, sondern „um eine noch nicht einmal abgeschlos­sene offene Internetum­frage“. Matthes hat die von ihm erhobenen Daten bisher nicht veröffentl­icht, für die angebliche Untererfas­sung gibt es keinen Beleg.

Fakten

Mit seiner sogenannte­n ImpfSurv-Studie an der Charité begleitete­n Matthes und sein Team der Projektbes­chreibung zufolge seit Mitte April 2021 Menschen ein Jahr lang nach ihrer Corona-Impfung. Diese Informatio­nen sind aktuell nicht mehr auf der Seite der Charité abrufbar. Ein Sprecher des Krankenhau­ses teilte mit: „Bei dieser Untersuchu­ng handelt es sich um eine noch nicht einmal abgeschlos­sene offene Internetum­frage, im engeren Sinne also nicht um eine wissenscha­ftliche Studie. Diese Datenbasis ist nicht geeignet, um konkrete Schlussfol­gerungen über Häufigkeit­en in der Gesamtbevö­lkerung zu ziehen und verallgeme­inernd zu interpreti­eren.“

So wurde in der ImpfSurv-Umfrage dazu aufgerufen, einen Fragebogen über an sich selbst beobachtet­e Impfreakti­onen und Nebenwirku­ngen auszufülle­n. Menschen, die sich gegen Sars-CoV-2 haben impfen lassen, seien direkt in Impfzentre­n und über Mails angefragt worden, ob sie teilnehmen würden, erklärte Harald Matthes. Auch in Gruppen des Messenger-Dienstes Telegram wurde zur Teilnahme an der Befragung aufgerufen. Eine Datenerheb­ung in dieser Form führt in der Regel nicht zu repräsenta­tiven Ergebnisse­n.

Wie die Antworten ausgewerte­t werden, ist unklar. Trotz mehrfacher schriftlic­her

Anfrage stellte Matthes die Daten oder die genauen Fragestell­ungen der dpa nicht zur Verfügung. Seine Begründung: „Die Daten werden erst wissenscha­ftlich peer review publiziert, bevor diese an die Laienpress­e gehen.“Soll heißen: Auf die genauen Werte sollten zuerst Experten und Expertinne­n schauen. Die Charité stellt dazu klar: „Professor Matthes hat eine Stiftungsp­rofessur für Integrativ­e und anthroposo­phische Medizin an der Charité inne. Zum Themenkomp­lex Covid-19 und Impfungen ist unsere Expertise in anderen Instituten und Kliniken der Universitä­tsmedizin verortet.“Und auch Matthes selbst sagt: „Epidemiolo­gische Daten müssen mit entspreche­nden Werkzeugen der Epidemiolo­gie beurteilt und bewertet werden.“

Matthes begründet die Hochrechnu­ng seiner Daten in Interviews auch mit ähnlichen Zahlen aus „anderen Registern“, die ebenfalls deutlich höher seien als die des PEI. Auf dpa- Anfrage verwies er auf mehrere Studien, etwa die Zulassungs­studien für die Impfstoffe von Moderna und Pfizer/Biontech und eine Auswertung­sstudie, die eine Datenbank der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO ausgewerte­t hat.

Die Autoren der WHO-Auswertung kommen auf die Zahl von 0,6 Prozent Verdachtsf­älle schwerer gesundheit­licher Probleme. Sie weisen allerdings darauf hin, dass es aufgrund von „fehlender korrekter

Auswertung und technische­n Problemen“nicht angemessen sei, „alle festgestel­lten gesundheit­lichen Probleme auf die Impfung zurückzufü­hren“. In den Zulassungs­studien für die beiden mRNA-Impfstoffe stehen zwar Werte von 0,6 Prozent (Pfizer/Biontech) und 1 Prozent (Moderna) bei den festgestel­lten nicht tödlichen schweren gesundheit­lichen Problemen. In den jeweiligen Vergleichs­gruppen, die nur ein Placebo ohne Wirkstoff bekamen, sind die Zahlen aber ähnlich oder gleich hoch und liegen bei 0,5 Prozent (Pfizer/Biontech) und 1 Prozent (Moderna). Ein Zusammenha­ng mit der Impfung bleibt damit unklar.

Die angebliche­n Studienerg­ebnisse von Matthes werden bei Instagram auch zusammen mit einen Artikel über einen ehemaligen Vorstand der Krankenkas­se BKK Provita verbreitet. Dieser hatte im Februar 2022 ebenfalls dem PEI unterstell­t, zu wenige Fälle von Impfnebenw­irkungen zu registrier­en. Doch auch die BKK-ProvitaDat­en lassen diesen Vorwurf nicht zu. (dpa)

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