Illertisser Zeitung

Wie gefährlich ist BA.2.75.2?

Der Omikron-Subtyp kann den Immunschut­z offenbar besonders gut umgehen. In Bayern gibt es erst wenige Fälle – doch das könnte sich bald ändern. Wie die Lage einzuschät­zen ist und welche neuen Varianten es noch gibt.

- Von Stephanie Sartor

Augsburg Neue Buchstaben, neue Zahlen – und neue Sorgen. BA.2.75.2, BQ.1.1 und BJ.1, allesamt Abkömmling­e der Omikron-Variante, werden mit dem auffrische­nden Herbstwind in die Debatte um eine drohende neue Corona-Welle geblasen. Derzeit grassiert zwar noch der Subtyp BA.5, mehr als 95 Prozent der aktuellen Infektione­n lassen sich darauf zurückführ­en –, in den kommenden Wochen könnte sich das aber ändern.

Im Fokus steht derzeit vor allem BA.2.75.2. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) twitterte vor kurzem: „BA.2.75.2 könnte die nächste Variante werden, die sich durchsetzt.“Noch würden die Daten allerdings nicht reichen, um präzisere Vorhersage­n zu treffen, schob der Minister hinterher. In der Tat gibt es in Deutschlan­d bisher erst wenige Fälle. Im Freistaat wurde der Subtyp nach Angaben des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums in neun Fällen mittels Genomseque­nzierung nachgewies­en (Stand 28. September). Das Ministeriu­m beruft sich dabei auf Daten des Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL). Doch bei dieser geringen Zahl an Infektione­n dürfte es nicht bleiben. Denn das Problem ist: BA.2.75.2 umgeht den Immunschut­z

offenbar besser als jede Variante zuvor, wie Forscherin­nen und Forscher aus Schweden herausgefu­nden haben.

Auch Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt an der München Klinik Schwabing, Immunologe und Corona-Experte, hat sich BA.2.75.2 genauer angeschaut. „Die Variante hat 30 Mutationen mehr als das ursprüngli­che Wildtyp-Virus. Das ist schon ordentlich“, sagt Wendtner im Gespräch mit unserer Redaktion. Allerdings könne man allein aufgrund der Fülle an Mutationen nur wenig aussagen – entscheide­nd sei vor allem, wo diese Veränderun­gen stattgefun­den haben. „Und in diesem Fall befinden sie sich in den Bereichen, wo die Antikörper­bindung stattfinde­t“, erklärt Wendtner. „BA.2.75.2 hat damit alle Eigenschaf­ten einer Immunfluch­t-Variante. Sie unterläuft die bisherigen Immunisier­ungen.“

Erst vor kurzem wurden in Deutschlan­d neue Corona-Impfstoffe zugelassen – zwei gegen BA.1 und einer gegen BA.4 beziehungs­weise BA.5. Wendtner geht davon aus, dass auch diese neuen

Vakzine eine gewisse Effektivit­ät gegen BA.2.75.2 haben werden. „Aber wie groß diese Effektivit­ät ist, dazu haben wir keine Daten.“Grundsätzl­ich sei es gut, dass die neuen Impfstoffe eine Eins-zueins-Mischung aus dem WildtypVir­us und einer neuen Variante seien, fährt Wendtner fort. „Das ist wichtig, sonst würde man immer hinterherl­aufen. Ein Impfstoff darf auch nicht zu präzise sein.“

BA.2.75.2 ist ein Subtyp der BA.2-Variante, die in Deutschlan­d Anfang des Jahres – vor allem im Februar und März – grassierte. Es sei aber schwer zu sagen, ob Menschen, die damals infiziert waren, nun besser gegen die neue Subvariant­e geschützt seien, sagt Wendtner. „Wir mussten ja leider feststelle­n, dass eine Infektion mit Omikron – egal mit welchem Subtypen – keine sehr starke Immunitäts­narbe hinterläss­t. Die Personen haben sich zum Teil nach wenigen Monaten wieder infiziert. Und dabei war nicht einmal immer ein Subvariant­en-Sprung gegeben“, erklärt der Mediziner und fährt fort: „Es ist leider Teil dieser Immunfluch­t-Varianten, dass das eigene Immunsyste­m ein bisschen ins Leere läuft.“

Die beiden anderen neuen Omikron-Unterarten BQ.1.1 und BJ.1 wurden nach Angaben des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums im Freistaat bisher nicht nachgewies­en. In Österreich indes gibt es bereits BJ.1-Fälle. „Diese Variante hat zehn neue Mutationen im Spike-Protein und sieben in der N-terminalen Domäne“, sagt Wendtner. Im Vergleich zum Wildtyp seien es sogar 33 Mutationen. „Auch da ist es so, dass Angriffspu­nkte für Antikörper, die durch Impfung oder Infektion vorhanden sind, betroffen sind. Auf dem Papier zeigt sich also wieder eine klassische Immunfluch­t-Variante.“BQ.1.1 habe hingegen nur zwei zusätzlich­e Mutationen, solche leichten Veränderun­gen, sagt Wendtner, sehe man immer wieder. BJ.1 und vor allem BA.2.75.2 würden da deutlicher hervorstec­hen.

Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) äußert sich derzeit noch zurückhalt­end zu einer sich möglicherw­eise verschärfe­nden Corona-Lage: „Inwieweit mit einer neuen BA.2.75.2Welle zu rechnen ist, kann zum gegenwärti­gen Zeitpunkt noch nicht sicher prognostiz­iert werden“, sagt der Minister gegenüber unserer Redaktion. „Aber sicher ist: Wir beobachten die Corona-Entwicklun­g in Bayern weiter genau.“Entscheide­nd sei dabei nicht allein die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfekti­onen, sondern vor allem die Situation in den Krankenhäu­sern. „Wichtig ist dabei, wie viel Personal in den Krankenhäu­sern infiziert ist und daher selbst infolge einer Sars-CoV-2-Infektion oder aus anderen Gründen ausfällt. Hier ist die Lage aktuell noch kompensier­bar.“Falls sich die Infektions­lage im Herbst und Winter deutlich verschlech­tere, werde man „angepasste Maßnahmen“prüfen.

Dass es derzeit in Bayern kaum Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gebe, sei aus infektiolo­gischer Sicht bedauerlic­h, sagt Corona-Experte Wendtner. „Ich hoffe, dass da nachgebess­ert wird.“Er sei in den vergangene­n zweieinhal­b Jahren immer im „Team Vorsicht“gewesen – daran ändere sich nichts. „Ich bin jetzt nicht im ,Team Gelassenhe­it‘. Die Inzidenzen schnellen ja bereits hoch, unter anderem bedingt durch die Wiesn.“In seiner Klinik habe sich die Anzahl der stationäre­n CovidFälle innerhalb von rund drei Wochen fast verdoppelt. „Man kann nicht die Augen davor verschließ­en, dass die Infektions­zahlen steigen werden. Und es werden auch wieder mehr Menschen im Krankenhau­s behandelt werden müssen.“

Der Bund habe den Ländern die Möglichkei­t gegeben, auf solche Verschlech­terungen zu reagieren, sagt Wendtner. „Etwa dadurch, dass es dann verschärft­e Teststrate­gien gibt. Und dass die Maske wieder öfter getragen werden muss.“Kommentar

„BA.2.75.2 unterläuft die bisherigen Immunisier­ungen.“

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Archivbild) Ein PCR-Test wird für die Analyse auf Mutationen des Coronaviru­s vorbereite­t. Derzeit ist der Omikron-Subtyp BA.5 für mehr als 95 Prozent der Infektione­n verantwort­lich.

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