Unsterbliche Sterblichkeit
Depeche Mode laden in Berlin zur Pressekonferenz und lüften den Schleier: Im nächsten Jahr gibt es ein neues Album und eine Welt-Tournee mit sechs Konzerten in Deutschland.
Berlin Die Hauptstadt hat sich an Weltstars gewöhnt. Prominente Schauspielerinnen und Schauspieler werden zur Kenntnis genommen, ein kurzes Heben des Kopfes, und das war es meist. Wenn sich Fans zu Hunderten versammeln, extra aus Frankfurt und anderen Städten nach Berlin angereist kommen, muss es etwas Besonderes sein. Michael Jackson zum Beispiel, der 2002 sein Baby aus dem Fenster des Nobelhotels Adlon hielt. Oder Depeche Mode, mit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern eine der bekanntesten Synthie-Poprock-Bands der Welt. Sänger Dave Gahan und sein Bandkollege Martin Gore sind nach Berlin gekommen, um eine neue Tournee und ein neues Album zu verkünden, selbst unter den routinierten Medienleuten aus aller Welt bricht Applaus aus: Die „Memento Mori“-Tour startet Ende März und bringt die Band unter anderem für Open-Air-Konzerte nach Leipzig, Düsseldorf, München, Frankfurt und Berlin. Im März soll das neue Album dazu erscheinen.
Das altehrwürdige Berliner Ensemble, das Brecht-Theater, ist Schauplatz der Pressekonferenz und wie nicht anders zu erwarten wird zum schwarzen Interieur und zur schwarzen Kulisse sehr viel schwarze Kleidung vor und auf der Bühne getragen. Gahan im schwarzen Anzug, Gore in schwarzen Jeans, an den Füßen beeindruckende schwarze Schuhe, die wohl aus der Kollektion der Pariser Modeschmiede Balenciaga stammen – wobei sich die Fans bei diesem Detail nicht ganz einig sind. Die Begrüßung übernimmt Marek Lieberberg, eine Legende unter den Tourveranstaltern, die Moderation die britische PR-Ikone Barbara Charone. Man kennt sich seit vielen Jahren, auch Depeche Mode und Berlin haben eine lange gemeinsame Geschichte. In den Hansa
Studios nahm die Band vor gut 40 Jahren erste Alben auf. David Bowie hatte vor ihnen schon dort gearbeitet, Blixa Bargeld und die Einstürzenden Neubauten, damals war mehr Leder und Drogen, viel hat sich verändert.
Der größte Einschnitt in der Bandgeschichte ist der Tod des Mitbegründers Andy „Fletch“Fletcher im Mai dieses Jahres. Der Keyboarder starb an einer Aortendissektion, einer Einblutung durch einen Schlagaderriss. Die Nachricht versetzte die Szene weltweit in einen Schockzustand. Wie umgehen mit solch einem Schlag? Gahan und Gore verzichten bei der Pressekonferenz in Berlin auf Trauerflor, von ihrem Freund haben sie in aller Stille Abschied genommen und sich für die beste Würdigung seines Lebenswerks entschieden, die einer Band zur Verfügung steht: Weiterspielen.
Fletcher ist gleichwohl allgegenwärtig. Als er in seinem Berliner Hotel noch einen Drink genommen habe, erzählt Martin Gore, habe ihn das in die alten Zeiten zurückversetzt. „I was so used to see Andy. That really hit me“, sagt der Gitarrist und Keyboarder („Ich war es so gewohnt, Andy zu sehen. Das hat mich wirklich getroffen“). Gahan erzählt von einem anderen Hotelaufenthalt, bei dem Zigarettenqualm in sein Zimmer gezogen sei und er automatisch Fletchers mahnende Stimme erwartet habe – der groß gewachsene Keyboarder war im Gegensatz zu seinen beiden Bandkollegen nie durch Exzesse und Eskapaden aufgefallen.
Die meisten Songs des neuen Albums seien in Zusammenarbeit mit Fletcher entstanden, erzählen Gore und Gahan. Die Stücke sind fertig eingespielt, müssen jetzt abschließend gemixt werden. Ein paar Tage war die Band dafür in den Studios von Produzent Rick Rubin, der eher für die ganz harte Musik steht, unter anderem mit Metallica, Slayer und Black Sabbath
arbeitet. Rubin sei aber nicht dabei gewesen, tritt Gore Befürchtungen entgegen, das neue Depeche-Mode-Album könne gar zu rockig werden.
„Memento Mori“ist der Titel für Tour und Album, frei übersetzt bedeutet das etwa: Bedenke, dass du sterben musst. Römischen Feldherren wurde dieser Satz von ihren Sklaven ins Ohr geflüstert, damit sie sich nach ihren Siegen nicht zu gottgleich fühlten. Natürlich ist der Titel eine Reminiszenz an Fletcher, an den sie auch auf der Tour angemessen erinnern wollen. „Wir haben schon ein paar Gedanken im Kopf“, sagt Gahan. Mehr als fünf Jahre lang war die Band nicht mehr unterwegs, zuletzt spielte sie 2017 und 2018 auf der Global Spirit Tour 130 Shows in Europa und Nordamerika vor mehr als drei Millionen Fans.
„Memento Mori“ist aber auch ein treffender Titel für eine Band, die viel erlebt hat, für einen Sänger, der 1995 nach einem Suizidversuch in eine Entzugsklinik eingewiesen wurde. Die trotz des ganzen Starrummels offenbar nicht abhob. Was denn Musik heutzutage, in Zeiten des Krieges und des Sterbens, noch für einen Einfluss haben könne, wird Gahan gefragt. „Hoffentlich können wir unseren kleinen Beitrag dazu leisten, Freude und Zusammenhalt in einer turbulenten Welt zu vermitteln“, ist die Antwort.
Infos zur Tour: Der offizielle Vorverkauf für die Tournee beginnt lauf offiziellen Angaben am Freitag um 10 Uhr. Bereits 48 Stunden vorher können Tickets im Online-Presale gekauft werden. In Deutschland treten Depeche Mode wie folgt auf: 26. Mai 23 (Leipzig), 4. und 6. Juni (Düsseldor), 20. Juni (München), 29. Juni (Frankfurt), 7. Juli (Berlin).