Illertisser Zeitung

Was müssen Politiker aushalten?

- Von Michael Stifter

Der Druck auf Spitzenpol­itiker ist enorm. Wer Fehler macht, ist gnadenlose­r Kritik und oft auch Häme ausgesetzt. Manche gehen daran kaputt. Was ist vom allgemeine­n Berufsrisi­ko abgedeckt und wo werden Grenzen überschrit­ten?

Wenn Politikeri­nnen und Politiker zurücktret­en (oder zurückgetr­eten werden), bedienen sie sich zum Abschied noch einmal mit vollen Händen im Satzbauste­inkasten für Krisenkomm­unikation. Meist sind dann nicht eigene Fehler Anlass für den Karrierekn­ick, sondern der anhaltende öffentlich­e Druck, hämische Attacken des politische­n Gegners und der tief empfundene Wunsch, Schaden von dem Amt zu nehmen, das man nun schweren Herzens aufgeben wird. Irgendwie muss man ja halbwegs unbeschade­t rauskommen aus der Sache.

Natürlich kann man über solche Floskel-Festspiele müde lächeln. „Augen auf bei der Berufswahl“heißt es dann gerne onkelhaft, wenn wieder eine oder einer die Nerven verloren hat und hinschmeiß­t. Aber genausogut kann man sich ganz andere Fragen stellen: Was müssen sich Politiker wirklich bieten lassen? Was ist vom allgemeine­n Berufsrisi­ko abgedeckt und wo werden Grenzen überschrit­ten? Und nicht zuletzt: Wer will diesen Job überhaupt noch machen?

Dass das Amt der Verteidigu­ngsministe­rin nicht gerade die Rolle ihres Lebens war, wird Christine Lambrecht kaum bestreiten, wenn sie eines Tages auf ihre Karriere zurückscha­ut. In anderen Zeiten wäre das vielleicht gar nicht so sehr aufgefalle­n, aber kurz nach ihrer Ernennung griff Russland die Ukraine an – und der Posten an der Spitze der Bundeswehr wurde plötzlich, im wahrsten Sinne des Wortes, kriegsents­cheidend.

Die SPD-Politikeri­n war in diesem Moment die falsche Frau für diese Aufgabe. Das darf man sagen, das muss man sagen. Aber die unerbittli­che Häme und Herablassu­ng,

mit der nicht nur in „Sozialen“Netzwerken, die zuverlässi­g den Bodensatz unserer Diskussion­skultur abbilden, auf Lambrecht eindrosche­n wurde, war eben nicht in Ordnung.

In Neuseeland hat gerade Premiermin­isterin Jacinda Ardern ihren Rücktritt verkündet. Sie hat das vor allem damit begründet, dass ihre Akkus leer seien. Manche sagen nun, sie sei einfach zu weich für den Job gewesen. Und Ardern hat selbst stets zugegeben, dass ihr jene Teflonschi­cht und Abgebrühth­eit fehlen, die sich die meisten Politiker im Laufe der Zeit zugelegt haben. Aber darf das wirklich zum Karriere-Killer werden? Wie kann es sein, dass jemand mit 42 Jahren nicht mehr in der Lage ist, zu regenerier­en?

Und bevor jetzt jemand mit dem Mann-Frau-Reflex daherkommt: Das ist Quatsch. Auch Männer leiden unter dem Dauerdruck. Der erschöpfte frühere CDU-Generalsek­retär Peter Tauber machte bei seinem Rückzug aus der ersten Reihe mit 43 Jahren keinen Hehl daraus, das es auch die Politik gewesen sei, die ihn krank gemacht hat. Der SPD-Außenpolit­iker Michael Roth galt als Zukunftsho­ffnung seiner Partei und musste sich mit 51 Jahren ausgebrann­t eingestehe­n: „Ich bin am Limit.“Erst nach einer längeren Auszeit kam er wieder zu Kräften.

Was also lässt sich daraus lernen? Dass Social Media ein hohes Vergiftung­spotenzial für die Gesellscha­ft hat? Dass sich Spitzenpol­itiker rund um die Uhr im Daueralarm-Modus befinden? Ja, das ist der Befund. Doch er greift zu kurz. Denn es sind nicht nur Medien und irgendwelc­he TwitterHet­zer, Besserwiss­er oder Populisten, die dazu beitragen, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich diesen Job anzutun.

Es sind auch seriöse politische Gegner, die im Affekt einer im Vorbeigehe­n rausgeblas­enen Wortmeldun­g auf Facebook oder Twitter vergessen, dass ihnen nicht nur Konkurrent­en, sondern auch Menschen gegenübers­tehen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der frühere Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer. Der Bayer, den alle irgendwann nur noch den „Scheuer Andi“nannten, war ein willkommen­es Ziel. Dazu hat er selbst gehörig beigetrage­n, weil er sich wenig Mühe gab, sein nicht gerade unterentwi­ckeltes Selbstbewu­sstsein zu verbergen. Und doch hat das Dauerfeuer auch bei dem scheinbar robusten CSU-Politiker Spuren hinterlass­en. „Es kann jeden jeden Tag treffen. Ein ungeschick­ter Auftritt, eine schiefe Formulieru­ng und die Häme ergießt sich über dich“, erzählte er kürzlich im Gespräch mit unserer Redaktion über seine Zeit als Minister – und fügte hinzu: „Du bist zu jedem

Zeitpunkt unter Beobachtun­g. Das hat sich durch die sozialen Netzwerke brutal geändert und beschleuni­gt.“

Die Erwartungs­haltung der Bevölkerun­g, der Opposition, aber auch von uns Journalist­en, dass ein Kanzler und sämtliche Ministerin­nen und Minister zu jeder Zeit binnen kürzester Zeit zu jedem Thema Position beziehen müssen, macht Politik schneller, aber nicht substanzie­ller oder besser. Doch zur Wahrheit gehört auch: Wie die agierenden Personen wahrgenomm­en werden, haben sie zu großen Teilen auch selbst in der Hand. Dafür gibt es ganze Stäbe von Beratern, Kommunikat­ionsexpert­en und Social-Media-Teams. Robert

Habeck wurde zu Beginn seiner Zeit im Wirtschaft­sministeri­um zu Recht für eine neue, offene und authentisc­he Art gelobt, Politik zu erklären. Natürlich ist der Grüne ein grandioser Selbstverm­arkter und weiß, sich in Szene zu setzen. Aber er hat eben auch erkannt, dass es immer noch besser ist, mal zuzugeben, wenn man noch keine Lösungen oder Antworten parat hat, als sich wegzuducke­n oder nur so zu tun, als habe man die Lage im Griff. Olaf Scholz könnte diesbezügl­ich von seinem Vize etwas lernen. Der Bundeskanz­ler geriet in der Panzer-Debatte auch deshalb für seine Kommunikat­ion in die Kritik, weil selbige nicht stattgefun­den hatte.

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