„Medium Photographie“: Experimentelles beim Ulmer Kunstverein
In den Werken von Johannes Brus, Chargesheimer und Sigmar Polke, die nun in Ulm zu sehen sind, zeigt sich noch bis Mitte Mai die Lust am Experimentieren.
Im Schuhhaus zeigt der Ulmer Kunstverein eine ganz besondere Fotoausstellung: Die aus der Nachkriegszeit – bis in die 80er Jahre – stammenden Arbeiten der Schau „Medium: Photographie“wurden von drei Künstlern geschaffen, von denen zwei hauptsächlich Bildhauer und Maler waren, der dritte ein Fotograf, der aber lieber Maler werden wollte. So ist ein sehr experimenteller Umgang mit Fotografie zu sehen, großenteils aus der Sammlung von Thomas Prigge aus Bad Münstereifel. Schwarz-weiß und so erstaunlich, dass man mindestens zwei Runden um die Bilder herum benötigt, um zu verstehen – das ist die mit heißer Nadel gestrickte Ausstellung. Einerseits konfrontieren die Bilder mit den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende – mit einer Zeit, in der man Fotografie noch mit zwei „ph“schrieb – und mit so verschiedenen Persönlichkeiten wie Salvador Dalí oder Franz Josef Strauß. Andererseits ist die Fotografie in diesen Bildern niemals Zweck oder Dokumentation, meist auch nicht Mittel der Ästhetik, sondern schlicht Basis zu einem künstlerischen Experimentieren. Zum Teil wusste selbst Kunstvereins-Geschäftsführerin Marion Klemp-Höpfner bis vor kurzer Zeit nicht, was aus einer privaten Sammlung – neben der von Thomas Prigge – kommen würde.
Prigge, der sich selbst einen „Hunter“, einen Jäger nach erschwinglichen Arbeiten unter anderem von Sigmar Polke oder von Gerhard Richter nennt, besitzt eine umfangreiche Kollektion von Arbeiten von Polke. Dieser 2010 in Köln verstorbene Künstler pflegte einen sehr unorthodoxen und experimentellen Umgang mit Fotografie. Radikal verwandelte er die Dunkelkammer in eine Lichtkammer, bearbeitete seine Bilder mit Chemikalien und sogar mit Radium, trat gegebenenfalls auch mit den Füßen auf dem Produkt seiner Experimentierlust herum oder kolorierte von Hand, wenn es darauf ankam auch mit Filzstift. Bearbeitete Fotografien aus dem Jahr 1986 sind zu sehen, als Sigmar Polke den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielte und dessen Wände mit Substanzen bearbeitete, sodass sich diese Wände ständig veränderten. In der Schuhhaus-Ausstellung sind auch Opiumhöllen-Arbeiten
mit Fotografien aus Sigmar Polkes Reisen auf dem Drogen-Track durch Afghanistan und Pakistan aus den 70er Jahren zu sehen.
Der inzwischen 81-jährige Bildhauer Johannes Brus ist der einzige noch lebende unter den drei Avantgardisten der Foto-Kunst, die im Schuhhaussaal zu sehen sind. Von diesem Nonkonformisten wird unter anderem eine Leihgabe der Galerie Judith Andreae gezeigt – die lebensgroße und schillernd bearbeitete Fotografie eines indischen Maharadschas, dessen Abbildung Brus auf einer Reise fotografierte und bearbeitete. Brus’ Tier-Arbeiten sind auch deshalb spannend, weil die gezeigten Motive wie ein struppiges Pferd, ein Nashorn oder Greifvögel in Brus’ Lebenswerk sowohl als Plastiken als auch in solchen Fotoarbeiten vorkommen.
Dritter im Bunde der gezeigten Experimentellen ist der Kölner Fotograf Karl Heinz Hargesheimer, der sich selbst „Chargesheimer“nannte, und der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag hätte. An der linken Rückwand des Schuhhaussaals sind Fotogramme Chargesheimers zu sehen. Diese Bilder brachte der Fotograf, der lieber Maler geworden wäre und der – vermutlich am Silvesterabend 1971 und wahrscheinlich durch einen Suizid – starb, in den 50er und 60er Jahren mittels Licht und Chemikalien direkt auf Negative oder auf Fotopapier auf. Was so entsteht, sieht wie Makrofotografie aus – und bekommt auf eigene Weise seine Ästhetik.
Info: Die Ausstellung „Medium: Photographie“ist bis zum 20. Mai im Schuhhaussaal zu sehen, geöffnet Mittwoch bis Freitag von 14 bis 18 Uhr, Wochenenden von 11 bis 17 Uhr.