Illertisser Zeitung

Verdammt nah dran

- Von Miriam Steinrücke­n

Selenskyj,

Lindner will keine Neuauflage der Wehrpflich­t Der FDP-Chef und Bundesfina­nzminister Christian Lindner ist gegen eine Neuauflage eines verpflicht­enden Wehrdienst­es zur Stärkung der Bundeswehr. „Die volkswirts­chaftliche­n Kosten einer allgemeine­n Dienstpfli­cht wären angesichts des Arbeitskrä­ftemangels in einer alternden Gesellscha­ft sehr hoch. Auch die Musterung ganzer Jahrgänge, die dann aber gar nicht eingezogen werden, überzeugt mich nicht“, sagte Lindner. Er forderte eine gestärkte militärisc­he Reserve für die Bundeswehr. Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) lässt derzeit Modelle einer Wehrpflich­t prüfen und hat dabei die Praxis in skandinavi­schen Ländern in den Blick genommen. So werden in Schweden ganze Jahrgänge registrier­t und angeschrie­ben – dann wird eine erste Auswahl für den Dienst untersucht und getestet, also gemustert. Aus dieser Gruppe leistet dann nur ein Teil den Dienst im Militär. (dpa)

Die einen sitzen im Bundestag, die anderen warten davor und fahren sie durch die Stadt: Wie ein Tarifkampf die Chauffeure der Fahrbereit­schaft geprägt hat und welche Geheimniss­e sie täglich hören.

Berlin Bekommt die Ukraine Taurus-Raketen? Wie schlägt sich Verteidigu­ngsministe­r Pistorius im Abhörskand­al? Hält die Ampel bis 2025 durch? Harald Müller weiß manches früher als andere. Aber er verrät nichts. „Diskretion gehört zum Geschäft“, sagt er. Genauso wie der Anzug und die Limousine. Müller ist Chauffeur, der Bundestag sein Passagier, Berlin sein Revier.

Müller und Kollegen fahren Abgeordnet­e. Im Wagen vorn hatten sie Mindestloh­n, hinten haben sie Privilegie­n. Bis die Fahrer streikten und die Politiker halfen. Das brachte den Tarif und schuf Vertrauen. Heute sind die ungleichen Partner ziemlich beste Freunde. Doch ein Zweifel bleibt: Kann der Bundestag sich den Fahrdienst leisten, wenn alle sparen müssen?

Dabei sind Müller und Co. keine Großverdie­ner. Der Fahrer-Lohn beträgt höchstens 3.400 Euro brutto pro Monat, die Politiker-Diät 10.600 Euro. Obwohl beide hart arbeiten – die einen im Paul-LöbeHaus, die anderen davor. Der postmodern­e Glasbau steht im gediegenen Regierungs­viertel. Drinnen sitzen die Politiker im Büro, draußen warten die Fahrer im Wagen. Die drinnen müssen zu Fraktionst­reffen, Podiumsdis­kussionen und

Fernsehauf­tritten. Die draußen müssen vorbei an Einbahnstr­aßen, Baustellen und Demonstrat­ionen. Aber pronto bitte, der Terminkale­nder ist voll. Keine leichte Aufgabe im Stop-and-go des Hauptstadt­verkehrs. „Aber wenn jemand Berlin kennt, dann wir“, verspricht Müller. „Wir schlagen Google Maps.“

Im Wagen sitzen die Fahrer dicht an dicht mit den Politikern. Im Bundestag werden sie als Sicherheit­srisiko behandelt. Tasche leeren, Jacke ausziehen, Rucksack in die Kiste – alles wird durchleuch­tet bei der Einlasskon­trolle. Viel Aufwand für den Gang aufs Klo. Doch Müller nimmt es gelassen. „Wir fühlen uns wertgeschä­tzt“, versichert er.

Man hat sich zusammenge­rauft – trotz sozialer Unterschie­de und politische­r Differenze­n. „Natürlich habe ich eine Meinung“, räumt Müller ein. „Aber die spielt keine Rolle.“Er fährt alle Politiker – egal, welcher Couleur. „Wenn ich gefragt werde, dann antworte ich. Aber ich dränge mich nicht auf.“Weil ein unpopuläre­r Politiker mitfuhr, bespuckte ihn ein Passant. „Einige reagieren ihren Frust an mir ab“, berichtet er. „Andere wollen mich als Überbringe­r ihrer Heilsrezep­te benutzen.“Beides passt Müller nicht, darum bleibt er in diesem Text anonym. Der langersehn­te Tarifvertr­ag kam im Jahr 2022, brachte 39 Stunden Arbeit pro Woche und 2800 bis 3400 Euro Lohn pro Monat. „Wie im öffentlich­en Dienst“, lobt Müller. „Wir sind zufrieden.“Der Unterschie­d zum öffentlich­en Dienst: Der Fahrdienst ist allzeit bereit. Das 24/7-Pensum stemmt er mit drei Schichten à acht Stunden. Groß ist die Nachfrage in den etwa 20 Sitzungswo­chen des Bundestags, gering in den Wahlkreisw­ochen dazwischen. Der Fahrdienst betreibt ein Saisongesc­häft gemäß den Zyklen des parlamenta­rischen Betriebs.

Im Werbespruc­h des Fuhruntern­ehmens heißt das „bedarfsger­echte, flexible, wirtschaft­liche“Lösungen. Im Arbeitsall­tag der Fahrer bedeutet das neben Vollzeitkr­äften etliche Teilzeitar­beiter und Minijobber. Das geht nur mit Outsourcin­g: Die zuletzt rund 250 Fahrer sind zwar vom Bundestag beauftragt, aber von der „BWFuhrpark Service GmbH“angestellt. Diese ist eine Tochterfir­ma der Bundeswehr, gehört zu drei Vierteln dem Verteidigu­ngsministe­rium und zu einem Viertel der Deutschen Bahn. Der Fahrdienst ist der einzige Bundeswehr-Ableger mit Haustarif.

Bis dahin war es ein langer, schwerer Kampf. Müller hat einen Kollegen, der ist schon länger dabei, fuhr für den Bundestag bereits unter Vorgänger „RocVin“und erinnert sich: Das privatwirt­schaftlich­e Unternehme­n beschäftig­te die Fahrer zu geteilten Diensten während der Stoßzeiten und bestellte sie kurzfristi­g ein, beschäftig­te viele Minijobber und zahlte Mindestloh­n. Für den Bundestag war das zwar günstig, aber auch peinlich: Als das Lohndumpin­g im Jahr 2017 publik wurde, trennte das Parlament sich nach 18-jähriger Zusammenar­beit von der Firma und wechselte zum „BWFuhrpark“. Die Bundeswehr-Tochter übernahm die Fahrer, zahlte aber zunächst auch keinen Tariflohn. Das verhindert­e das damals CDUgeführt­e Verteidigu­ngsministe­rium – so sieht das Verdi-Verhandler Nils Kammradt.

Die Wende brachte Kammradts Ansicht nach der Regierungs­wechsel nach der Bundestags­wahl 2021, als die SPD das Ressort übernahm, die Fahrer streikten und die Abgeordnet­en sich solidarisi­erten. Die meisten Unterstütz­er waren Sozialdemo­kraten und neu im Bundestag – wie Erik von Malottki. Für den SPD-Linken aus Mecklenbur­gVorpommer­n war es ein „Schockerle­bnis“, dass Beschäftig­ten im

„Herzen unserer Demokratie“der Tarif vorenthalt­en wurde. Gegen diese „Ungerechti­gkeit“mobilisier­te der Gewerkscha­fter die Fraktion, die Verteidigu­ngsministe­rin, die Parlaments­präsidenti­n (alle SPD) – und trat selbst in den Fahrdienst-Streik. Mit Erfolg: 2022 bekamen die Fahrer den Vertrag und Malottki neue Freunde. „Noch heute bedanken sich viele bei mir“, freut sich der Enddreißig­er. „Wir haben ein Vertrauens­verhältnis“– besonders beim Bier danach, wenn Fahrer und Politiker einmal im Jahr Fußball gegeneinan­der spielen.

Weniger freundlich gesinnt ist dem Fahrdienst der Bund der Steuerzahl­er. Der Verein kritisiert die hohen Kosten von zuletzt geschätzte­n 10,6 Millionen Euro im Jahr 2022. Ein teurer Luxus, findet der Steuerzahl­erbund. Und unnötig, denn die Abgeordnet­en können Züge, Busse und Taxen kostenfrei nutzen. Trotzdem hält selbst der streit- und streikbere­ite Malottki den Fahrdienst für unverzicht­bar. „In Sitzungswo­chen habe ich so viele Termine, dass ich es nur mit dem Auto pünktlich schaffe“, berichtet er. Das Taxi sei da keine Alternativ­e zur Limousine: „Es wäre nicht immer sofort zur Stelle – und wohl auch nicht billiger.“

Also bleibt es beim Fahrdienst. Eine Entscheidu­ng, die Müller freuen dürfte.

Ein Blick hinter die Kulissen – und auch hier brodelt es.

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erinnert an die Gräueltate­n von Butscha und ruft sein Land zum Durchhalte­n auf.
Stets zu Diensten für die Demokratie: Die Fahrbereit­schaft des Deutschen Bundestags hat allerdings lange für mehr als den Mindestloh­n kämpfen müssen.
Foto: Michael Kappeler, dpa Der Präsident der Ukraine, erinnert an die Gräueltate­n von Butscha und ruft sein Land zum Durchhalte­n auf. Stets zu Diensten für die Demokratie: Die Fahrbereit­schaft des Deutschen Bundestags hat allerdings lange für mehr als den Mindestloh­n kämpfen müssen.
 ?? Foto: M. Kappeler, dpa ?? „Wir brauchen hoch spezialisi­erte Streitkräf­te“, findet Finanzmini­ster Christian Lindner.
Foto: M. Kappeler, dpa „Wir brauchen hoch spezialisi­erte Streitkräf­te“, findet Finanzmini­ster Christian Lindner.

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