Der Elefant von nebenan
Namibia ist ein weites, oft menschenleeres Land. Und doch gibt es immer wieder Konflikte mit den gewaltigen Tieren. Wie bei der Bevölkerung Verständnis für die Dickhäuter geschaffen werden soll. Ein Besuch bei den seltenen Wüstenelefanten.
Die Welt scheint in Orange getaucht, während sich die Abendsonne langsam über die Steppe senkt. So weit das Auge blickt, nichts, was von Menschenhand geschaffen wurde. Kein Strommast, kein Gebäude nur Busch und Hügel ... Diese Weite! In unserem Rücken stellt Gravin, der Ranger, gerade ein Tischchen für Nüsse, Chips und Gin Tonic auf. Safari-Sonnenuntergangsritual für die von der Landschaft berührten Gäste, die es längst mit Humor nehmen, dass sich an diesem Tag keine einzige der 14 Löwenfamilien gezeigt hat. Dass die Breitmaulnashörner keine Lust auf Beobachter hatten. Und wo waren eigentlich die Elefanten? „Tiere wandern, wie sie wollen, und das sollen sie auch“, sagt Gravin. Obwohl man sich insgeheim in diesem Moment wenigstes ein paar der 20.000 Elefanten hierher wünschen würde, die Botswana kürzlich via Bild-Zeitung nach Deutschland ausfliegen wollte.
Das private Reservat Etosha Heights liegt in direkter Nachbarschaft zum Etosha-Nationalpark, die trennenden Zäune auf 70 Kilometer Länge wurden von den Elefanten längst niedergetrampelt. „Niemand stört sich dran“, sagt Gravin. Im Gegenteil. Beide Gebiete versuchen, davon zu profitieren, den Tieren mehr Raum zu lassen. Die Tiere von nebenan hätte heute ruhig mal rüberkommen, so wie die vier Elefantenbullen, die noch am Tag zuvor an einem Wasserloch ausgiebig getrunken haben und dann weitergezogen sind. Wunderbar, ihnen beim Ohrenwackeln und Wasserrüsseln in aller Stille zuzusehen. Obwohl in jeder Sekunde klar ist, wer hier im Zweifelsfall der Stärkere ist. Hoffentlich war dies nicht die letzte friedliche Begegnung mit den Dickhäutern. Ziel dieser Tour sind die außergewöhnlichen Wüstenelefanten in der staubtrockenen KuneneRegion Namibias, einige Fahrtstunden entfernt. Hier wird besonders viel für eine friedliche Nachbarschaft zwischen Mensch und Tier getan.
Früher sind die Elefanten von Namibia und Botswana bis nach Angola und in den Kongo gewandert. Das können sie heute wegen der Besiedlung im südlichen Afrika nicht mehr – oder nur sehr konfliktreich, erklärt Dr. Morgan Hauptfleisch, blonder Kurzhaarschnitt, kurze Hose, braunes Hemd. Der Wissenschaftler der Namibia
University of Science and Technology erforscht seit fünf Jahren mit den Universitäten in Berlin und Potsdam, warum Tiere auf Wanderschaft gehen. Doch das Muster dafür sei noch immer „vollkommen unklar“, erklärt der Wildlife-Experte. Manchmal ziehen Elefanten 80 Kilometer nach Westen und dann – niemand weiß, warum – 120 Kilometer wieder in Richtung Osten. „Der älteste Bulle trifft instinktiv die Entscheidung.“Dann geht es los. Um mehr über die Ursachen für dieses Verhalten herauszufinden, werden die Tiere mit gechippten Halsbändern ausgestattet, um Elefanten, aber auch Löwen, Giraffen und andere Wildtiere, orten zu können.
Anhand der Daten könnten die Wissenschaftler aber auch erkennen, ob die Tiere friedlich grasen, vielleicht flüchten oder gar kämpfen. Derzeit sei der Stress wegen der Dürre im südlichen Afrika für viele Wildtiere hoch. „Sie finden zu wenig Nahrung, werden leichtes Opfer der Raubtiere“, erklärt Hauptfleisch. Die Wasserlöcher werden sowohl in Etosha Heights als auch im Nationalpark längst mit Grundwasser künstlich gespeist, das aus der Tiefe an die Oberfläche gepumpt wird.
Weiter geht’s. Eine Fahrt durch karges Buschland. Ein paar dunkle Wolken am Horizont schenken der Erde zu wenige Tropfen. In Namibia haben sie einen Namen dafür. „Jealous Rain“, Eifersuchtsregen, wenn eine Wolke also einer Region ein wenig Wasser schenkt, während andere Gebiete schon Monate auf das dringend benötigte Nass warten. Der Herbst geht in Namibia gerade zu Ende. Im Winter ist mit Regen nicht mehr zu rechnen.
Die Schotterpiste scheint nicht enden zu wollen. Ziel ist das Eco-Camp Ozondjou, das Bestandteil des sogenannten Ehra-Projektes in der Region Kunene ist. Die Abkürzung Ehra steht für Elefant-Human-Relation Aid. Die Organisation setzt sich für ein möglichst friedliches Miteinander von Elefanten und Menschen ein, will mit Baumaßnahmen dafür sorgen, dass die Dickhäuter in Dörfern nicht mehr Schrecken und Zerstörung verursachen und in Workshops für Einheimische und in Schulen das Verhalten der Dickhäuter erklären.
In der kargen Kunene-Region ist vor gut 30 Jahren eine Herde Elefanten heimisch geworden. Voortrekker, ein legendärer Elefantenbulle in Namibia, gilt als der Pionier dieser sogenannten wüstenadaptierten Elefanten. Als er 2019 von einem Großwildjäger erschossen wurde, sorgte das weltweit für einen Aufschrei. Das Verhalten Voortrekkers finden Wissenschaftler noch immer erstaunlich. Er wanderte allein voraus, erkundete die Gegend, zog zurück, um schließlich seine 20-köpfige Herde nach und nach abzuholen und im Flussbett des Ugab eine neue Heimat zu finden. Weltweit gibt es nur zwei Populationen von Elefanten – in Namibia und Mali –, die sich an Lebensbedingungen in der Wüste angepasst haben.
Diese Wüstenelefanten haben mit der Zeit längere Beine entwickelt, können weiter laufen und brauchen drei bis vier Tage kein frisches Wasser, während Elefanten normalerweise bis zu 100 bis 120 Liter am Tag trinken. Und im Gegensatz zu anderen Dickhäutern futtern sie an einem Baum Äste und Blätter nie ratzeputz weg, sondern lassen immer einiges an Grün übrig. „Sie haben gelernt, dass so leichter wieder etwas nachwachsen kann“, erklärt Charles, einer der EhraRanger. Mit ihm ist heute auch Matthias unterwegs, der die Elefantenspuren im Sand studiert und Zeichen gibt, bevor er aussteigt, seinen Finger in einen Dunghaufen steckt, ihn wieder herauszieht und daran lutscht. „Sehr gesund“, sagt er lachend, während sein Kollege Charles das Gesicht verzieht. In den Dörfern würden die Alten aus kleinen Dungteilen Tee kochen, um Kranke zu heilen. „Das hat auch bei Corona geholfen“, versichert der 73-Jährige. Altes Wissen in einer Region, wo das nächste Dorf eine halbe Tagesreise entfernt ist.
Bevor es kreuz und quer durch das Ugab-Flussbett auf die Suche nach den Wüsten-Elefanten geht, ein kurzer Stopp auf dem Bauernhof von Daniel und seiner Familie. Hier, wo man sich nicht vorstellen kann, dass auf dem trockenen Boden überhaupt irgendetwas wachsen kann, hält Daniel ein Schwein, Hühner, Ziegen und Rinder. Und hinter einer hohen Mauer wachsen in einem kleinen bewässerten Gärtchen Tomaten, ein Feigenbaum, Kräuter und ein wenig Tabak. Solche Mauern bauen Ehra-Freiwillige für Farmen. Weil die sensiblen Elefantenrüssel keine rauen Oberflächen mögen, schauen dicke Steine aus dem Mörtel. Dass die Dickhäuter dennoch gewaltige Kraft haben, zeigt eine Delle in der Mauer. „Das hat ein Elefant vor drei Jahren angerichtet“, erklärt Daniel auf Englisch. Gott sei Dank sei nicht mehr passiert.
Mit kleinen Maßnahmen könne bereits viel erreicht werden, erzählt Charles über das Ehra-Projekt. Manche Bauern verteilen Pfeffer oder Elefantendung um die
Beete, beides riechen die empfindlichen Dickhäuter-Nasen nur ungern. Auch Bienen seien effektive Elefanten-Verteidiger. In manchen Fällen allerdings seien ausgebildete Wächter von Ehra das letzte Mittel, um die gewaltigen Tiere zu vertreiben. Geschätzt bis zu 150 Wüstenelefanten leben in verschiedenen Herden in dieser Region.
Ein großes Problem sei, dass die Elefanten auf Lodges oder manchen Farmen zur Attraktion für Gäste mit Maismehl angefüttert wurden. „Nun kennen sie den Geruch“, sagt Charles, „und gehen auch in die Dörfer auf der Suche nach Nahrung und zerstören dort die Häuser“. Bei ElefantenWorkshops raten die Ehra-Mitarbeiter deshalb den Leuten, Maismehl und Ähnliches in geruchssicheren Boxen aufzubewahren, um die Kraftprotze nicht anzulocken. Mit solchen Maßnahmen wird versucht, Verständnis für das Verhalten der Elefanten zu schaffen. Leicht sei das nicht, auch das erzählt Charles. Aber wichtig. Denn die grauen Riesen seien nicht nur exotische Beobachtungsobjekte für Touristinnen und Touristen aus aller Welt, sondern auch wichtig für Umwelt und Artenreichtum. Durch den Kot verbreiten sich die Pflanzensamen im Wüstenboden.
Matthias, der Fährtenleser, hat Spuren ausgemacht. Durch den weichen Sand geht es mit dem Geländewagen das UgabFlussbett entlang. Dichte Bäume, dunkle Felsen, wie soll man hier Elefanten finden? Bis der Ranger plötzlich auf die Bremse steigt. Damit hatte jetzt niemand gerechnet. Dieser graue Felsen hat Stoßzähne. Unter einem Baum liegt Bulle Benny und hält ein Mittagsschläfchen. Die Beine putzig angezogen. So entspannt schnarcht also ein Herdenchef, den Geländewagen in gehörigem Abstand bemerkt er nicht. In einiger Entfernung hat seine Herde unter Bäumen Schatten vor der Mittagshitze gesucht. Ein paar sind ebenfalls schläfrig und lassen sich in den warmen Sand fallen. Auch den Elefanten ist es zu heiß.
Nachmittags kommt Bewegung in die Elefanten-Truppe, die gemeinsam zu einem Wasserloch im Ugab-Flussbett wandert. Ein mächtiger, selbstbewusster Bulle nähert sich. Das gibt es doch nicht: Benny! Was für eine Typveränderung. Wer weiß, wie weit er heute noch mit seiner Herde zieht.
Ein Problem ist, dass die Elefanten mit Maismehl angelockt wurden.
*
Die Autorin recherchierte auf Einladung von Enchanting Travels.