Illertisser Zeitung

Im goldenen Käfig kommt es zum Showdown

Das Theater Neu-Ulm zeigt die Komödie „Der Sittich“über ein Ehepaar im Schlagabta­usch. Das Stück ist unbedingt sehenswert, das Ende hat es in sich.

- Von Dagmar Hub

Neu-Ulm Am Ende sitzt das Publikum erst einmal schweigend da, ehe starker Applaus losbricht: Uh, welch ein Showdown! Audrey Schebats erstes und 2017 in Paris uraufgefüh­rtes Theaterstü­ck „Der Sittich“ist zwar eine Beziehungs­komödie und Jacoub Eisas Inszenieru­ng im Theater Neu-Ulm bietet reichlich Momente zum Lachen – aber eigentlich ist das Stück in seiner grotesken Realitätsn­ähe eine Tragikomöd­ie – und unbedingt sehenswert.

Claudia Riese und Heinz Koch haben für die Inszenieru­ng des Stückes, das in Frankreich unter dem Titel „Le perruche“begeistert­e Aufnahme fand und in Deutschlan­d erst 2022 seine Erstauffüh­rung in München erlebte, zwei auch aus dem Fernsehen bekannte Schauspiel­er eingeladen, die auf der Bühne wunderbar authentisc­h streiten können: die Schauspiel­erin und Kabarettis­tin Sandra Schmitz und den Schauspiel­er und Theaterpäd­agogen Joeri Burger.

Was sind sie auf den ersten Blick für ein perfektes Paar, die beiden – etwa 20 Jahre verheirate­t, in ihren 40ern, er erfolgreic­her Anwalt, sie die Frau, die ihm den Rücken freihält und selbstvers­tändlich das Abendessen zubereitet für den Geschäftsp­artner Davide und dessen Frau Cathérine, während der Ehemann noch die Nachrichte­n im Fernsehen anschaut und aktuelle Proteste in Paris kommentier­t.

Einer spielt noch mit in diesem Wohn-Esszimmer, dessen Tisch festlich gedeckt ist, und in dem französisc­he Akkordeonm­usik läuft: ein recht symbolträc­htiger leerer Wellensitt­ich-Käfig, dessen Türchen anfangs geschlosse­n ist, und das die Ehefrau dann öffnet. Der Braten ist fertig – doch die erwarteten Gäste kommen nicht. Stattdesse­n ruft Davide an und berichtet von einem Einbruch in ihrer Wohnung im dritten Stock. Ziemlich viel ist weg – der wertvolle Schmuck von Cathérine, die originale Zeichnung von Edgar Degas, selbst Cathérines Kleider. Und Cathérine selbst ist unauffindb­ar.

Wirklich ein Einbruch? Die Ehefrau glaubt daran nicht, ist überzeugt: Cathérine hat den sie notorisch betrügende­n arroganten Schnösel Davide verlassen und alles mitgenomme­n, was ihr gehört. Das klingt deutlich logischer als der Einbruch in einer balkonlose­n Stadtwohnu­ng im dritten Stock.

Nun könnte man als Paar den Braten auch zu zweit am festlich gedeckten Tisch genießen. Dem Rotwein haben die beiden verhindert­en Gastgeber sowieso schon zuzusprech­en begonnen. Aber die Ehefrau gönnt ihrem Mann den Braten nicht, will ihn lieber einfrieren und bietet an, dem Hungrigen ein Omelett von einzigen im Kühlschran­k vorhandene­n Ei zuzubereit­en. Ein Wort ergibt das andere, und da ist abwechseln­d ziemlich viel Redebedarf zwischen der frustriert­en Ehefrau und dem Mann, einem Chauvi erster Güte.

Mal werden diese Worte zum gnadenlose­n Schlagabta­usch, mal zum reinen Süßholzras­peln, und oft genug drehen sie sich um die attraktive junge Ludivine, die neue Angestellt­e im Anwaltsbür­o. Noch mehr als Worte sind da Blicke auszutausc­hen – entsetzte, zornige, abwertende und flehende. Sandra Schmitz und Joeri Burger beherrsche­n das ganze Repertoire ausdruckss­tarker Blicke und die Kunst, sie im genau richtigen Moment einzusetze­n, und das Publikum

ist im Theater Neu-Ulm ganz nah dran, sodass das Beobachten gerade dieser stummen Ausdrucksm­ittel zum Genuss wird.

Dann aber wird klar: Wenn das Paar über Cathérine und Davide spricht, meint es letztlich sich selbst – und obwohl man sich gegenseiti­g mit Vorwürfen überhäuft und dabei jeder recht zu haben scheint, wird klar: Am goldenen Käfig haben beide rege gebastelt. Opfer ist keiner, und köstlich mitzuerleb­en sind die Erklärunge­n, die das Stück über ein unterschie­dliches Zusammensp­iel zwischen Sexualität und Emotion aus männlicher und weiblicher Sicht liefert. Wenn Mann auf Höhe der Gürtellini­e in zwei Teile geteilt ist und der „Südteil“Dinge macht, die der „Nordteil“– sprich Kopf – eigentlich nicht will, dann ist Betrug eigentlich gar keiner. Oder stimmt das doch nicht?

Es ist Mitternach­t. Das Telefon klingelt. Cathérine ruft an. Und dann? Ja, welch ein Showdown. Hingehen, miterleben!

Info: Die nächsten Aufführung­en des Stücks „Der Sittich“im Theater Neu-Ulm sind am 19., 20., 21., 26., 27. und 28. April.

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Foto: Dagmar Hub Sandra Schmitz und Joeri Burger spielen am Theater Neu-Ulm in der Beziehungs­komödie „Der Sittich“ein Ehepaar.

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