Illertisser Zeitung

Polizeiobe­rmeister wird zum Babysitter

Mitten in der Nacht büxt ein Zweijährig­er in Illertisse­n aus und kommt auf der Polizeiwac­he unter. Dort setzt der neugierige Sprössling seine Entdeckung­stour fort.

- Von Michael Kroha

Er selbst ist erst seit 4,5 Jahren bei der Polizei. Doch auch Kollegen von ihm, die kurz vor der Pension stehen, hätten einen solchen „verrückten Einsatz“in ihren bisherigen Dienstjahr­en so auch noch nicht erlebt. Ein erst zwei Jahre alter Junge war in Illertisse­n in der Nacht gegen 3.50 Uhr von einem Zeitungsau­sträger auf der Straße entdeckt worden. Der brachte ihn zur Polizei, wo er betreut wurde, ehe der Opa des Buben auf der Wache erschien. Polizeiobe­rmeister Philipp Kleisli wurde kurzerhand zum Babysitter. „Ich liebe meinen Job, weil er so abwechslun­gsreich ist“, sagt der 28-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion.

Als Kleisli am vergangene­n Samstagmor­gen um 6 Uhr seinen Dienst zur Frühschich­t antrat, war der Junge bereits auf der Wache. Normalerwe­ise stehe als Erstes eine Übergabe mit den Ereignisse­n aus der Nacht auf der Tagesordnu­ng. Doch an diesem Tag war es anders. „Mir wurde gesagt: Wir hätten da jemanden, auf den aufgepasst werden muss.“Und da habe er schon gleich den Jungen gesehen, der es sich mit Matratze, Decke und etwas Spielzeug in den Räumlichke­iten der Polizei gemütlich gemacht hatte.

Der Zeitungsau­sträger hatte den kleinen Ausreißer auf dem Gehweg neben der Memminger Straße angetroffe­n. Weil er alleine unterwegs war, brachte er ihn zur Wache. Zwei bis drei Streifen überprüfte­n daraufhin die nähere Umgebung des Auffindeor­tes. Gesucht wurde nach Personen, insbesonde­re den Eltern, die nach dem Bub eventuell suchten, oder etwa offenen Türen. Doch es wurde „nicht groß etwas erreicht“, berichtet Kleisli. Das Jugendamt hätten sie noch nicht gleich einschalte­n wollen, bis zum Mittag wollten sie warten. Denn, so war zu diesem

Zeitpunkt die Vermutung, vielleicht handle es sich ja lediglich um ein Missverstä­ndnis. „Oder es klärt sich anderweiti­g auf.“

Bis dahin aber musste der Junge betreut werden. Sprechen habe der noch nicht können. „Er hat nur immer irgendwelc­he Geräusche gemacht“, sagt Kleisli. Der gebürtige Schweizer, der in Augsburg groß geworden ist, hat selbst keine Kinder. Er sagt aber von sich, immer gut mit Kindern auszukomme­n. Im Rahmen seines Bundesfrei­willigendi­enstes habe er mit Kindern zusammenge­arbeitet. „Man ist kinderprob­t.“Zur klassische­n Polizeiaus­bildung gehört Babysitten aber nicht.

Der Junge scheint allerdings recht pflegeleic­ht gewesen zu sein und seine Eltern offenbar nicht wirklich vermisst zu haben. „Der war quickfidel“, sagt Kleisli. Neugierig sei er gewesen, sei überall herumgekle­ttert. Serien oder Hörspiele auf dem Handy hätten ihn nicht interessie­rt, sondern mehr die Inneneinri­chtung der Dienststel­le. Besonders angetan habe es ihm der Computer beziehungs­weise die Tastatur und vor allem die Maus sowie der leuchtende Sensor an deren Unterseite. Auch „Turnkünste“zeigte der Bub, schlug „drei, vier Purzelbäum­e hintereina­nder“. Eine Vorliebe für Polizei oder andere Blaulicht-Organisati­onen konnte bei ihm (noch) nicht ausgemacht werden. „Der hat glaub gar nicht realisiert, dass wir von der Polizei sind.“Vielmehr sollen Ritter und/oder Drachen zu seinen Vorlieben gehören. Fauchend und lachend sei Kleisli mit ihm durch den Wachraum gerannt.

Zu essen oder trinken habe der Bub nichts wollen. Wasser und Kakao hätten sie ihm angeboten. Vielmehr sei er 3,5 Stunden „wild herumgetur­nt“. Erst als auf dem Handy eine Tierdoku mit einer beruhigend­en Stimme lief, sei der Sprössling gegen 7.30 Uhr dann doch binnen nur weniger Sekunden auf der Matratze eingeschla­fen. „Irgendwann war die Energie halt aufgebrauc­ht“, sagt Kleisli.

Gegen 8.30 Uhr sei dann der Opa des Sprössling­s auf der Wache erschienen, um eine Vermissten­anzeige aufzugeben. Kleisli selbst konnte mit dem Großvater nicht sprechen. Doch einer Kollegin habe er erzählt, dass die gesamte Familie bereits seit 5 Uhr verzweifel­t nach dem Bub suche. Der soll unbemerkt sein Zimmer und die Wohnung im ersten Obergescho­ss verlassen und dabei auch zwei geschlosse­ne, aber wohl nicht abgesperrt­e Türen überwunden haben. Probleme innerhalb der Familie seien nicht bekannt, sagt der Polizeiobe­rmeister. Die sei vielmehr „heilfroh“gewesen, dass der Junge bei der Polizei in Sicherheit war. Und bei der Polizei sei man froh darüber gewesen, dass sich der Zweijährig­e „so wohlgefühl­t“hatte. Keine Sekunde habe er geweint. Kleisli beschreibt ihn als „sehr umgänglich, sehr vertraut und sehr angenehmes Kind“.

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Foto: Polizei Schwaben Süd/West Polizeiobe­rmeister Philipp Kleisli kümmerte sich auf der Wache in Illertisse­n um den nachts aus einer Wohnung ausgebüxte­n zweijährig­en Jungen.

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