Polizeiobermeister wird zum Babysitter
Mitten in der Nacht büxt ein Zweijähriger in Illertissen aus und kommt auf der Polizeiwache unter. Dort setzt der neugierige Sprössling seine Entdeckungstour fort.
Er selbst ist erst seit 4,5 Jahren bei der Polizei. Doch auch Kollegen von ihm, die kurz vor der Pension stehen, hätten einen solchen „verrückten Einsatz“in ihren bisherigen Dienstjahren so auch noch nicht erlebt. Ein erst zwei Jahre alter Junge war in Illertissen in der Nacht gegen 3.50 Uhr von einem Zeitungsausträger auf der Straße entdeckt worden. Der brachte ihn zur Polizei, wo er betreut wurde, ehe der Opa des Buben auf der Wache erschien. Polizeiobermeister Philipp Kleisli wurde kurzerhand zum Babysitter. „Ich liebe meinen Job, weil er so abwechslungsreich ist“, sagt der 28-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion.
Als Kleisli am vergangenen Samstagmorgen um 6 Uhr seinen Dienst zur Frühschicht antrat, war der Junge bereits auf der Wache. Normalerweise stehe als Erstes eine Übergabe mit den Ereignissen aus der Nacht auf der Tagesordnung. Doch an diesem Tag war es anders. „Mir wurde gesagt: Wir hätten da jemanden, auf den aufgepasst werden muss.“Und da habe er schon gleich den Jungen gesehen, der es sich mit Matratze, Decke und etwas Spielzeug in den Räumlichkeiten der Polizei gemütlich gemacht hatte.
Der Zeitungsausträger hatte den kleinen Ausreißer auf dem Gehweg neben der Memminger Straße angetroffen. Weil er alleine unterwegs war, brachte er ihn zur Wache. Zwei bis drei Streifen überprüften daraufhin die nähere Umgebung des Auffindeortes. Gesucht wurde nach Personen, insbesondere den Eltern, die nach dem Bub eventuell suchten, oder etwa offenen Türen. Doch es wurde „nicht groß etwas erreicht“, berichtet Kleisli. Das Jugendamt hätten sie noch nicht gleich einschalten wollen, bis zum Mittag wollten sie warten. Denn, so war zu diesem
Zeitpunkt die Vermutung, vielleicht handle es sich ja lediglich um ein Missverständnis. „Oder es klärt sich anderweitig auf.“
Bis dahin aber musste der Junge betreut werden. Sprechen habe der noch nicht können. „Er hat nur immer irgendwelche Geräusche gemacht“, sagt Kleisli. Der gebürtige Schweizer, der in Augsburg groß geworden ist, hat selbst keine Kinder. Er sagt aber von sich, immer gut mit Kindern auszukommen. Im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienstes habe er mit Kindern zusammengearbeitet. „Man ist kinderprobt.“Zur klassischen Polizeiausbildung gehört Babysitten aber nicht.
Der Junge scheint allerdings recht pflegeleicht gewesen zu sein und seine Eltern offenbar nicht wirklich vermisst zu haben. „Der war quickfidel“, sagt Kleisli. Neugierig sei er gewesen, sei überall herumgeklettert. Serien oder Hörspiele auf dem Handy hätten ihn nicht interessiert, sondern mehr die Inneneinrichtung der Dienststelle. Besonders angetan habe es ihm der Computer beziehungsweise die Tastatur und vor allem die Maus sowie der leuchtende Sensor an deren Unterseite. Auch „Turnkünste“zeigte der Bub, schlug „drei, vier Purzelbäume hintereinander“. Eine Vorliebe für Polizei oder andere Blaulicht-Organisationen konnte bei ihm (noch) nicht ausgemacht werden. „Der hat glaub gar nicht realisiert, dass wir von der Polizei sind.“Vielmehr sollen Ritter und/oder Drachen zu seinen Vorlieben gehören. Fauchend und lachend sei Kleisli mit ihm durch den Wachraum gerannt.
Zu essen oder trinken habe der Bub nichts wollen. Wasser und Kakao hätten sie ihm angeboten. Vielmehr sei er 3,5 Stunden „wild herumgeturnt“. Erst als auf dem Handy eine Tierdoku mit einer beruhigenden Stimme lief, sei der Sprössling gegen 7.30 Uhr dann doch binnen nur weniger Sekunden auf der Matratze eingeschlafen. „Irgendwann war die Energie halt aufgebraucht“, sagt Kleisli.
Gegen 8.30 Uhr sei dann der Opa des Sprösslings auf der Wache erschienen, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Kleisli selbst konnte mit dem Großvater nicht sprechen. Doch einer Kollegin habe er erzählt, dass die gesamte Familie bereits seit 5 Uhr verzweifelt nach dem Bub suche. Der soll unbemerkt sein Zimmer und die Wohnung im ersten Obergeschoss verlassen und dabei auch zwei geschlossene, aber wohl nicht abgesperrte Türen überwunden haben. Probleme innerhalb der Familie seien nicht bekannt, sagt der Polizeiobermeister. Die sei vielmehr „heilfroh“gewesen, dass der Junge bei der Polizei in Sicherheit war. Und bei der Polizei sei man froh darüber gewesen, dass sich der Zweijährige „so wohlgefühlt“hatte. Keine Sekunde habe er geweint. Kleisli beschreibt ihn als „sehr umgänglich, sehr vertraut und sehr angenehmes Kind“.