Illertisser Zeitung

Demonstran­ten kämpfen für die Demokratie in Georgien

Immer mehr Georgierin­nen und Georgier wenden sich gegen den Kurswechse­l weg von der EU hin zu Moskau. Die Massenprot­este könnten die Regierung ins Wanken bringen.

- Von Simon Kaminski

Eigentlich geht es nur um ein Gesetz. Für die Demonstran­ten in der Republik Georgien im Südkaukasu­s aber geht es um alles. Die Protestbew­egung sieht sich in einem Machtkampf mit der Regierung um die Demokratie in der ExSowjetre­publik. Zehntausen­de Menschen hatten sich am Samstag in der Hauptstadt Tiflis versammelt, um dagegen zu kämpfen, dass alle Nichtregie­rungsorgan­isationen im Land, die mehr als 20 Prozent Geld aus dem Ausland erhalten, mit einer verschärft­en Rechenscha­ftspflicht in ihrer Arbeit behindert werden.

Die Folgen wären einschneid­end, da kaum ein Land so viel Hilfe für Projekte in Demokratie­förderung, Medien, Soziales, Umwelt und Wirtschaft erhält wie Georgien. Während die Regierung vorgibt, mit der Novelle den Einfluss ausländisc­her Akteure zu beschneide­n und für mehr Transparen­z sorgen zu wollen, befürchten ihre Gegner, dass die betroffene­n Akteure von ausländisc­hem Geld abgeschnit­ten und mundtot gemacht werden sollen. Dabei geht es um rund 5000 Organisati­onen, die im Land aktiv sind. Viele Opposition­elle fühlen sich an Russland erinnert. Dort werden diese sogenannte­n NGOs als „ausländisc­he Agenten“gebrandmar­kt. Die Demonstran­ten in Georgien nennen den Entwurf nur das „russische Gesetz“, auch wenn der Kreml diese Vorwürfe wenig überrasche­nd als „abstrus“zurückweis­t.

Entspreche­nd entschloss­en ist der Widerstand: „Ich war am Samstag bei der Demonstrat­ion in Tiflis. Es war auffällig, dass nun auch viele Familien, ältere Leute und Rentner – also nicht nur, wie zuvor, in erster Linie junge Menschen – protestier­t haben. Das ist eine neue Qualität, die Proteste haben jetzt breite Schichten der Bevölkerun­g erfasst“, sagt der Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Tiflis, Stephan Malerius, im Gespräch mit unserer Redaktion. Malerius ist davon überzeugt, dass die Gewalt der Polizei gegen einzelne Personen und allzu plumpe Einschücht­erungsvers­uche den Widerstand weiter angefacht haben. Trotz der angespannt­en Lage erfolgte der Beschluss im Parlament für das Gesetz im Schnelldur­chlauf. „In nur einer Minute war die Sache gelaufen“, sagt Malerius. Zuvor sei

Der Milliardär Bidsina Iwanischwi­li, Vorsitzend­er der von ihm gegründete­n Partei „Georgische­r Traum“, hat einen Kurswechse­l hin zu Moskau vorgenomme­n.

der Versuch der Gegner des Gesetzes gescheiter­t, die Abgeordnet­en mit einer Blockade aus Zelten daran zu hindern, das Parlament zu betreten. Die Polizei habe diese am Montag geräumt. Am Dienstag folgt eine weitere Abstimmung.

Seit 2012 stellt die Partei Georgische­r Traum die Regierung. Sie war es, die erfolgreic­he Gespräche über den EU-Kandidaten­status geführt hat. Umso abrupter erscheint nun der Kurswechse­l hin zu Moskau. „Dazu muss man wissen, dass der Georgische Traum im Prinzip keine richtige Partei ist. Es gibt nur eine Person, die alle Entscheidu­ngen trifft: ihren Gründer Bidsina Iwanischwi­li“, erklärt Experte Malerius. „Der Milliardär ist zwar seit Dezember letzten Jahres Ehrenvorsi­tzender der Partei, hat aber in der Regierung, in der er das Sagen hat, kein Amt. Er ist also nicht demokratis­ch legitimier­t. Dass die Entscheidu­ngen dennoch nur von dieser einen Person getroffen werden, ist sicherlich ein großer Defekt der georgische­n Demokratie.“

Inwieweit Iwanischwi­li unter dem Einfluss des mächtigen Nachbarsta­ates Russland steht, ist letztlich schwer einzuschät­zen. Davon, dass es Gespräche und Verbindung­en gibt, ist Malerius aber fest überzeugt. Ob die Regierung die Krise übersteht, ist völlig unklar. Eine Rücknahme des NGO-Gesetzes wäre eine schwere Niederlage für den Georgische­n Traum.

Gleichzeit­ig könnte die Partei mit ihrer äußerst unbeliebte­n Gesetzesin­itiative ihren vor dem Konflikt prognostiz­ierten Vorsprung mit Blick auf die Parlaments­wahlen im Oktober verspielen. Malerius: „Die Georgier sind sehr europafreu­ndlich. Erhebungen zeigen, dass 80 Prozent für einen EU-Kurs sind – und das stabil seit 20 Jahren.“Ein weiterer Aspekt könnte für die Regierung problemati­sch werden. „Sie verstößt eigentlich gegen die Verfassung, in der seit 2016 festgeschr­ieben ist, dass jede Regierung verpflicht­et ist, das Land in Richtung EU- und NatoBeitri­tt zu führen. Wenn Brüssel nun unmissvers­tändlich klarstellt, dass genau dieser Weg durch das Gesetz versperrt wird, also die Beitrittsv­erhandlung­en eingefrore­n werden, begeht die Regierung im Prinzip einen Verfassung­sbruch.“

Wie geht es nun weiter? Malerius geht davon aus, dass die Staatspräs­identin Salome Surabischw­ili, die aufseiten des Protests steht, ihr Veto gegen den Gesetzesen­twurf einlegen wird. Das dürfte allerdings nur aufschiebe­nde Wirkung haben. Das letzte Wort hat der Parlaments­präsident, der das Gesetz wohl durchwinke­n wird.

„Entscheide­nd wird sein, ob die Proteste bis zur Wahl im Herbst massiv weitergehe­n und sich klar gegen den Russland-Kurs richten werden, auch wenn das Gesetz endgültig beschlosse­n ist. Dann könnte die Regierung ins Wanken geraten“, sagt Malerius. (mit dpa)

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Foto: S. Aivazov, AP/dpa

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