Illertisser Zeitung

„Früher war der Stadtrat polarisier­ter“

Johann Gutter, Herbert Walk und Werner Zanker sind seit 40 Jahren Stadträte in Vöhringen. Im Interview sprechen sie über wichtige Entscheidu­ngen und heiße Themen.

- Von Thomas Vogel

Als sie 1984 erstmals ins Vöhringer Kommunalpa­rlament gewählt wurden, durfte dort noch geraucht werden. Mit dem QualmBann wurde dann gleich auch das Biertrinke­n während der Sitzungen untersagt. Nach Hochrechnu­ngen von Herbert Walk hat ein jeder von ihnen rund zwei Jahre seines Lebens in Sitzungen, bei vorpolitis­chen Terminen und in Funktionen für die eigene Partei verbracht. Die Leidenscha­ft für Kommunalpo­litik ist die plausibels­te Erklärung, warum sie je sieben Mal für den Stadtrat kandidiert haben.

Aus dem Berufslebe­n sind sie längst ausgeschie­den. Gutter (Jahrgang 1951, CSU) und Zanker (Jahrgang 1950, SPD), beide zuletzt Schulrekto­ren, hören nach dieser Wahlperiod­e, die in zwei Jahren endet, auf. Walk (CSU), Jahrgang 1957 und Oberstleut­nant a.D., will’s dann 2026 noch einmal wissen.

Geschätzt zwei Jahre ihres Lebens, die Sie jeweils investiert haben. Sie haben alle genickt. Haben Sie ihr Engagement jemals bereut?

Johann Gutter: Ich glaub‘, niemand, der das 40 Jahre gemacht hat, kommt auf die Idee, das zu bereuen. Verwunderl­ich sind eher die Anfänge. Als ich 1980 nach Vöhringen gezogen bin, hatte ich nicht die Absicht, in die Politik zu gehen. Aber ich wurde dann bearbeitet von einer Stadträtin, deren Tochter ich im Klavierunt­erricht hatte. Von den Mitglieder­n des von mir geleiteten Chors wurde ich darauf hingewiese­n, dass sich beim Thema Kultur in Vöhringen was tue. Das war der Grund, warum auch der Kulturring­vorsitzend­e Vogel mich drängte. Man brauche jetzt Leute im Stadtrat, die das nach vorne treiben. Dann hab‘ ich‘s gemacht. Werner Zanker: Mein Vater war Wieland-Arbeiter, deshalb war die Grundtende­nz in der Familie schon mal klar. Als dann 1982 Kanzler Helmut Schmid gestürzt wurde, habe ich gesagt: Okay, jetzt zeig‘ ich Flagge. Ich war auf Platz vier der Liste und habe den Einzug gerade so geschafft.

Herbert Walk: Ich bin über die Junge Union reingekomm­en, als deren Vorsitzend­er hat man einen gesetzten Platz auf der CSU-Liste. Auf Platz sechs habe ich angefangen.

Können Sie sich noch an ihre erste Sitzung erinnern?

Walk: Sehr gut, das war am 7. Mai, meinem Geburtstag.

Zanker: Ich war auf einer Wehrübung in Würzburg, bin nach Vöhringen gefahren zur Vereidigun­g und dann wieder zurück. Es war schon ein seltsames Gefühl, so im gleichen Raum zu sitzen wie die ganzen Honoratior­en.

Walk: Man hat sich da schon erst orientiere­n müssen, war ja was völlig Neues.

Gerade Neulinge sind ja oft überrascht, um wie viele kleine Sachen es in einem solchen kommunalen Parlament geht, und dann womöglich rasch enttäuscht und sogar frustriert.

Zanker: Die Farbe von Sonnenschi­rmen in der Ulmer Straße, darüber haben wir auch schon debattiert.

Würden Sie jungen Leuten raten, sich für ein Stadtratsm­andat zu bewerben?

Alle: Ja, natürlich.

Zanker: Aber man sollte einen Hintergrun­d haben, sonst hat mein keine Chance. Bei mir war das der Sport.

Welche Eigenschaf­ten sollte man dafür mitbringen?

Gutter: Ein dickes Fell.

Zanker: Frustratio­nstoleranz. Walk: Eine gewisse Ausgewogen­heit, die Fähigkeit zuzuhören und auch andere Meinungen gelten zu lassen. Ebenso braucht man ein gewisses Standvermö­gen.

Welche war denn Ihre wichtigste Abstimmung?

Walk: Die für die Umgehungss­traße von Vöhringen.

Zanker: Die war sicherlich eine wichtige Sache, um die Innenstadt zu entlasten.

Gutter: Für mich war’s natürlich die Entscheidu­ng, das Kulturzent­rum zu bauen. Nach zehnjährig­em Kampf.

Walk: …und dass wir eine Unterführu­ng unter der Bahn haben, da sind Senden und Illertisse­n auf uns neidisch ohne Ende.

Zanker: Dazu zählen ebenso die Sachen, die schief gelaufen sind: dass wir die städtische­n Wohnungen verkauft haben. Und dass wir damals nicht zur Nuwog gegangen sind, zur Neu-Ulmer Wohnbauges­ellschaft. Es gab keine Mehrheit dafür.

Wie hat sich denn in den vergangene­n 40 Jahren das Klima im Stadtrat entwickelt?

Zanker: Die CSU hatte zu Beginn mit der Stimme des Bürgermeis­ters die absolute Mehrheit. Bei der CSU durfte damals keiner ausbrechen. Heute stimmt man oft querbeet ab.

Walker: Ich war ja 18 Jahre Fraktionsv­orsitzende­r der CSU. Einen Fraktionsz­wang gab es zwar nicht, aber ich sagte intern immer, Fraktionsd­isziplin wäre nicht ganz schlecht. 95 Prozent sind eh Sachentsch­eidungen, bei denen das keine Rolle spielt.

Zanker: Ab und zu haben wir schon ein Reizklima gehabt. Bürgermeis­ter Erich Josef Geßner ist mal raus wegen mir und hat die Türe zugeschlag­en, ich bin ebenfalls mal raus. Habe dann eine Rüge gekriegt. Da gab es natürlich auch heiße Themen, wie etwa die Müllverbre­nnung.

Gutter: In der Zeit hat man noch mehr nach Parteilini­e gedacht. Werner, ich kann mich noch gut an eine Rede von dir erinnern, sie hat annähernd 45 Minuten gedauert und war eine deiner besten. Wir mussten dann aber anders entscheide­n, pro Müllverbre­nnung. Jede andere Idee hatte somit keine Chance.

Zanker: So eine lange Rede wäre heute unvorstell­bar.

Waren Sie jemals kurz davor, hinzuschme­ißen?

Zanker: Ich bin schon ein emotionale­r Mensch, habe mich ein paarmal richtig geärgert. Eine Nacht darüber geschlafen, und schon schaute es meistens wieder anders aus.

Walk: Kann ich unterstrei­chen. Zanker: Ich habe mir nach Sitzungen manchmal das Motorrad geschnappt und bin eine Runde gefahren. Dann war der Kopf wieder frei.

Gutter:

Ich hatte nach der Sitzung,

Johann Gutter

Werner Zanker die donnerstag­s früher schon um 14 Uhr anfing, immer noch meine Chorprobe.

Walk: Mir fehlt die „Nachsitzun­g“beim Bier so wie früher. Danach hat man oft die Argumente der anderen besser verstanden.

Gutter: Wobei sich das Verhältnis zwischen den Fraktionen sehr positiv verändert hat. Fraktionsü­bergreifen­de Entscheidu­ngen so wie beim Kreisel beim Lepple wären vor 40 Jahren nicht möglich gewesen. Da war das Klima wesentlich polarisier­ter.

Kann man als einzelner Stadtrat überhaupt etwas in Bewegung bringen?

Zanker: Jein, man muss erst einmal die eigene Fraktion überzeugen und dann bei den anderen werben. Kann aber funktionie­ren. Man hat früher wesentlich mehr Anträge gestellt. Mein Rekord sind zwölf Anträge zu einer Sitzung, ein paar gingen durch.

Walk: Das mit den Anträgen geschieht heute meist mündlich, unter dem Punkt „Anträge und Wünsche“. Da verflacht das manchmal. Für Kleinkram sollten Räte eher den Schadensme­lder nutzen.

Wenn die Anträge ausbleiben, bestimmt allein die Verwaltung die Agenda. Geben Sie da nicht freiwillig Mitbestimm­ungsmöglic­hkeiten ab?

Gutter: Ist nicht zu verneinen. Zanker: Ich bin ja inzwischen im zweiten Glied. Und man sollte niemand zum Jagen tragen. Wenn nichts kommt von der Spitze, dann ist es halt so.

Erfahren Sie aus der Bürgerscha­ft so etwas wie Dankbarkei­t?

Gutter: Es gibt da dieses schwäbisch­e Sprichwort: Nix gsait isch gnuag globad. Zanker: Bei Schulterkl­opfen bin ich immer vorsichtig. Das ist manchmal Applaus von der falschen Seite. Aber: Wir alle drei sind sechs Mal wiedergewä­hlt worden, das spricht ja auch für sich.

Walk: Anders herum erinnere ich mich in den Zeiten der MoscheeFra­ge an das mit dem bösen Weihnachts­brief, den die meisten Räte bekommen haben. War schon eine aufgeheizt­e Stimmung.

Walk: Meistens gelingt es ja die Leute aufzukläre­n – wieso, weshalb?

Zanker: Kritik gehört dazu.

Wie sehen Sie das heutige Verhältnis der Fraktionen untereinan­der?

Gutter: Momentan würde ich sagen: über die Fraktionsg­renzen hinweg freundscha­ftlich.

Zanker: Manchmal ist es fast zu brav, es fehlt ein bisschen der Pfeffer, es fehlen die Ecken und Kanten. Ich nehme mich da nicht aus. Gut aber, dass es über lange Zeit nie persönlich­e Animosität­en gab und heute nicht gibt. Augenrolle­r früher konnte man ertragen, es wurde und wird aber nie jemand persönlich angefeinde­t, das gibt’s nicht. Ich würde inzwischen selbst mit den Augen rollen, wenn jemand eine halbe Stunde reden würde.

Kurze Bilanz: Hat sich die Stadt Vöhringen in ihrer Zeit im Stadtrat in die richtige Richtung entwickelt?

Zanker: Wir haben sichere Arbeitsplä­tze, eine höhere Gewerbeste­uer. Ich schlug damals ein Schwimmbad vor statt eines neuen Gewerbegeb­iets (lacht). Hätte weniger Einnahmen gebracht. Schade halt, dass die Innenstadt sich negativ verändert.

Walk: Positive Aspekte sind die schönen Wohngebiet­e, die Renovierun­g so manchen Altbaus, wir haben eine vernünftig­e Nachverdic­htung. Das Wegbrechen des kleinteili­gen Einzelhand­els ist in den umliegende­n Kommunen ebenso zu beobachten. Das können und werden wir nicht aufhalten. Die Straßen im Innenberei­ch haben wir alle hergericht­et, doch am Treppel, wie man im Schwäbisch­en sagt, wird es Sache der Hauseigent­ümer.

Was ist ungelöst geblieben, was müssen die nachfolgen­den Generation­en des Stadtrats erledigen? Wo bestehen die Defizite in der Stadt?

Gutter: Eines der wichtigste­n Themen wird die ärztliche Versorgung. Das zweite Thema ist die Wärmeverso­rgung. Wir werden in den kommenden Jahren mit aller Kraft darum kämpfen müssen, dass wir an Weißenhorn (das Müllheizkr­aftwerk) angeschlos­sen werden. Wenn wir das nicht schaffen sollten, werden wir auf kleine Wärmezentr­en setzen müssen.

Zanker: Vöhringen sollte radverkehr­smäßig bessere Angebote machen. Da tut sich im Moment nichts.

Walk: Die dezentrale Energiever­sorgung. Die Stadt sollte schauen, dass wir da zusammen mit der Bürgerscha­ft noch mehr hinbekomme­n.

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Foto: Thomas Vogel Sie wurden für ihr herausrage­ndes Engagement in der Kommunalpo­litik ausgezeich­net: Herbert Walk, Johann Gutter und Werner Zanker (von links) gehören seit 40 Jahren dem Vöhringer Stadtrat an.

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