Illertisser Zeitung

Erbarmungs­loses Spiel der Verletzung­en

Auf Hochglanz poliert: Edward Albees Ehedrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“feierte im Podium des Ulmer Theaters Premiere.

- Von Florian L. Arnold

Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“gehört zu den zentralen Theatererl­ebnissen, die man einmal gemacht haben muss. Und das trotz – oder obwohl – es ein überaus harter Stoff ist, der Darsteller­n und Zuschauern nichts schenkt. Das Werk über eine dysfunktio­nale Ehe und die Abgründe im (amerikanis­chen) Universitä­tsleben feierte 1962 Premiere und machte Albee, der sich selbst einmal einen mittelmäßi­gen Lyriker mit zwei abgebroche­nen RomanProje­kten beschrieb, quasi über Nacht zum Star.

Dass Albee in diesem harten Schlagabta­usch über Ehe und Karriere, Wunschvors­tellungen, Hoffnungen und geplatzte Lebensträu­me vieles von dem auf den Punkt brachte, was in gewissen Kreisen zum (Ehe-)Alltag gehört, mag den bis heute fortdauern­den Erfolg des Stückes begründen. Ein anderer Grund ist sicher, dass es eines dieser Stücke ist, die Darsteller­n wie auch Regie und Dramaturgi­e viel Raum gibt zu brillieren – oder, wie es Intendant Kay Metzger ausdrückt, „das ist ein Abend, den man nur im fünften Gang spielen kann“.

Nach einer Akademiker-Party, von der Martha (Anne Simmering) und Ehemann George (Markus Hottgenrot­h) in aufgeheizt­er Stimmung zurückkehr­en, kommt das junge Paar Nick (Henning Mittwollen) und seine „Süße“(Stefanie Schwab) zu Besuch. Eigentlich will man nur noch einen Drink zusammen nehmen – aber die Anwesenhei­t des jungverlie­bten Paars stößt das fragile Gleichgewi­cht zwischen George und Martha endgültig um. Martha steckt in dieser Ehe fest. George ist nur Hilfsprofe­ssor am College seines Schwiegerv­aters, „ein Sumpf, ein Nichts, ein Niemand“, von dem Martha sagt, sie „sehe ihn seit Jahren nicht mehr“.

In einem sowohl verbal wie auch alkoholisc­h hochprozen­tigen Schlagabta­usch werden vergangene und gegenwärti­ge Sünden vor den jungen Gästen ausgebreit­et. Genüsslich zerlegen sich Martha und George, nichts und niemand bleibt ungeschont und bald sind auch Nick und seine „Süße“Gegenstand des gehässigen Rundumschl­ags, an dessen Ende bittere Traumata und Verletzung­en offenbar werden.

Albees Stück ist wie eine Operation am offenen Herzen. Vom ersten Moment an steht es kritisch um den „Patienten“, George und Martha, und man ahnt ein ungutes Ende. Der nonchalant-giftige Tonfall, den Albee seinen Hauptfigur­en mitgibt, wird von Anne Simmering und Markus Hottgenrot­h mit vorzüglich­er Spielfreud­e als unauslotba­re Untiefe angelegt.

Simmering gibt ihrer Martha in der ersten Spielhälft­e eine umwerfende Komik: eine Akademiker­gattin, enttäuscht und machtbewus­st, erotisch und unberechen­bar, eine nie durchschau­bare Figur, deren Waffe ihr scharfer Verstand ist. Ihre Liebe zu George ist mit ihrem Hass auf George zu einem toxischen Zustand verschmolz­en. Simmering lässt Martha trotz aller Boshaftigk­eit niemals wirklich unsympathi­sch werden. Hottgenrot­h stellt George zunächst als den leutselige­n Hausherren vor, der den nie versiegend­en Strom von Alkohol sicherstel­lt und immer wieder von Martha in die Defensive gedrängt wird. Auch er zelebriert Albees Pointen. Wenn er mit einer Spielzeug-Knarre auf die Bühne kommt und Martha zu Tode erschreckt, halten sich Humor und Horror perfekt die Waage. Diesem George ist alles zuzutrauen, im Guten und im Bösen. Die Inszenieru­ng von Schauspiel­direktorin Marlene Schäfer (Dramaturgi­e Sandra Schumacher) hat ein perfektes Timing und zeigt auch, was Albee mit dem Stück beabsichti­gte: dass Darsteller wie auch Regie es sich zu eigen machen sollen. Das mit elegantem Retro-Charme angelegte Wohnzimmer (Bühne: Marina Stefan) ist eine Arena, in der Martha und George ihre Ehehölle bis zum finalen Exzess zuspitzen. Das perfide Psychospie­l lebt aber nicht nur von Simmerings und Hottgenrot­hs fulminante­m Zusammensp­iel, sondern auch von der Fragilität, mit der die Figuren Nick und Süße gezeigt werden. Stefanie Schwab darf ihre Figur mit doppeltem Boden zeigen: Die „Süße“hat ihre eigenen Abgründe und spielt mit Nick ihre eigenen Spiele.

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ist ein psychologi­scher Hochprozen­tiger, der zuverlässi­g über die lange Strecke von mehr als zwei Stunden unterhält und die Darsteller­riege in Hochform zeigt. Die offenen Wunden der Figuren sind allerdings auch 62 Jahre nach Entstehen des Stückes nicht einfach auszuhalte­n. Ein „Gott des Gemetzels“ist ein harmloser Kindergart­en im Vergleich zu Albees Bühnenklas­siker, den das Ulmer Theater ganz vorzüglich auf Hochglanz poliert hat.

 ?? Foto: Marc Lontzek ?? Markus Hottgenrot­h als George und Anne Simmering als Martha glänzen am Theater Ulm in den Hauptrolle­n von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“.
Foto: Marc Lontzek Markus Hottgenrot­h als George und Anne Simmering als Martha glänzen am Theater Ulm in den Hauptrolle­n von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“.

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