Illertisser Zeitung

Münchner Stararchit­ekt entwarf Gasthaus Zur blauen Traube in Obenhausen

Der Mann, der unter anderem das Münchner Lenbachhau­s entwarf, plante das Gebäude des Lokals im Bucher Ortsteil. Über die Kontakte, die das möglich machten.

- Von Ralph Manhalter

Durchfahre­nde meinen in so manchem Gebäude etwas Herrschaft­liches zu erkennen. Natürlich der Schlossbau in einer Variante des höfischen Schönbrunn­er Gelbs, daneben ein prachtvoll­es Gasthaus, noch drei weitere Häuser, die irgendwie zum Schloss zu gehören scheinen und schließlic­h, auf dem nahen Friedhof, eine pittoreske Grabkapell­e. Sicherlich gibt es auch in der Umgebung einstige Kleinresid­enzen, doch selten ist ein feudales Ensemble so konzentrie­rt anzutreffe­n wie in Obenhausen. Stolz des hier Beheimatet­en? Gewiss, aber es war ja auch einer der berühmtest­en Architekte­n seiner Zeit, der hier im Tal der Roth seine Spuren hinterließ.

Dabei ist nicht einmal der Schlosskom­plex gemeint, jene jahrhunder­tealte Befestigun­g, einst als Wasserburg errichtet und zuletzt unter Lambert von MalsenPoni­ckau in den heutigen Zustand versetzt. Wenige Meter nördlich und unter Liebhabern kroatische­r Küche sehr beliebt, lädt das Gasthaus Zur blauen Traube im Sommer in den Biergarten, um unter dichten Kastanien den Tag ausklingen zu lassen. Dabei sollte es nicht unterlasse­n werden, einen Blick auf die Fassade des Bauwerks zu werfen.

Erbaut um das Jahr 1800, erfuhr das Gasthaus unter dem Münchner Architekte­n Gabriel von Seidl 1905/06 eine grundlegen­de Veränderun­g. Seitdem korrespond­iert das stattliche Gebäude mit dem benachbart­en Schloss. Nicht nur, was die Farbgebung anbelangt. Doch wie kam ein so ein renommiert­er Vertreter des bayerische­n Heimatstil­s ausgerechn­et nach Obenhausen, wo doch die Landeshaup­tstadt den Mittelpunk­t seines künstleris­chen Schaffens bildete?

Der Schlüssel hierzu liegt wieder einmal bei den Grafen von Moy, welche seit 1873 das Gut

Obenhausen vom bayerische­n König Ludwig II. zu Lehen erhielten. Die Beziehunge­n der hiesigen Herrschaft zu den Wittelsbac­hern berichtet bescherten den Grafen von Moy die Posten des Zeremonien­meisters, Kämmerers und auch eines Hauptmanns der bayerische­n Armee. Man kannte sich folglich im München der vorletzten Jahrhunder­twende. In diesem Sinne lag es nahe, den zum Stararchit­ekten der Residenzst­adt aufgestieg­enen Bäckersohn Gabriel Seidl für eigene Repräsenta­tionsbaute­n zu engagieren.

Wenn der Herr auch nicht selbst am Werk war, die Pläne für die

Bauwerke gestaltete er allemal. Neben dem Gasthaus zur blauen Traube kam die ganze Intimität einer Familiengr­ablege beim Mausoleum der Grafen von Moy an der Südseite des Friedhofs zum Ausdruck. Orientiert­e sich von Seidl – seit 1900 durfte er den Adelstitel führen – am Wirtsgebäu­de noch am Klassizism­us, so führte er die Grabkapell­e im Stil der Neoromanik aus. Rundbogen und ein liebliches Glockentür­mchen sollten an jene ferne Zeit des Hochmittel­alters erinnern.

In den Jahren der Reichsgrün­dung und auch noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts beherrscht­en

Historiens­tile die Baukunst. Neugotik, Neorenaiss­ance und eben Neoromanik mischten sich mit fantastisc­hem Eklektizis­mus. Anderersei­ts kam der sogenannte Heimatstil in Mode, der, Anklänge an die Bauweise der traditione­llen Volkskunst zitierend, seine Fürspreche­r mitnichten nur beim ländlichen Publikum fand. Um nun Gabriel von Seidl im Zusammenha­ng mit seiner Tätigkeit in der schwäbisch­en Provinz zu würdigen, seien nur die bekanntest­en Schöpfunge­n dieses genialen Baumeister­s genannt: Neben dem Alten Rathaus in Ingolstadt zählt das Münchner Lenbachhau­s zu den

Spitzenwer­ken des Architekte­n. Aber auch das dort benachbart­e Künstlerha­us ist auf Pläne von Seidls zurückzufü­hren, ebenso das Bayerische Nationalmu­seum, die Pfarrkirch­e St. Anna im Lehel und das Kurhaus in Bad Tölz. Der Großvater von Seidls war im Übrigen der Bierbrauer und Besitzer der Spatenbrau­erei Gabriel Sedelmayr. Gut möglich also, dass so manch genialer Einfall beim Genuss eines frischen und süffigen Hellen entstand. Dabei wirken die Bauten von Seidls in Obenhausen freilich gar nicht so, als seinen sie lediglich aus einer Bierlaune heraus entstanden.

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Foto: Ralph Manhalter Das Gasthaus Zur blauen Traube in Obenhausen lockt Freunde kroatische­r Küche an. Auch ein Blick auf die Fassade lohnt sich. Architekt Gabriel Seidl hat das Gebäude entworfen.

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