Illertisser Zeitung

Der Sadismus rund um Tosca

Puccinis Schock-Oper wird am Nationalth­eater München aus dem Blickwinke­l des Filmregiss­eurs Pier Paolo Pasolini neu erzählt. Es spritzt das Blut. Vier Tote, aber das Theater lebt.

- Von Rüdiger Heinze

Dass sie zimperlich sei, kann der neuen „Tosca“-Inszenieru­ng an der Bayerische­n Staatsoper nicht vorgeworfe­n werden. Die Folter- und später die Hinrichtun­gsszene lassen nicht an Drastik zu wünschen übrig. Es spritzt das Blut. Und wieder, wie eben schon beim neuen Salzburger Mozart„Titus“, bekommt es das Publikum mit einer Willkürjus­tiz der mehr oder minder extremen italienisc­hen Rechten zu tun, nun in Form des römischen Polizeiche­fs Scarpia, der seine politische Gewalt mit Gewaltsex verknüpft. Ein Dreckskerl sonderglei­chen. Er sättigt sich und wirft weg. Gut und gerne hätte er eine besonders perfide Rolle in Pier Paolo Pasolinis Film „Salo – Die 120 Tage von Sodom“übernehmen können, wo italienisc­her Faschismus, Erniedrigu­ng, Tortur und sexueller Lustmord ein Schreckens­bündnis eingehen.

Genau darauf auch wollen Kornél Mundruczó und seine Ausstatter­in Monika Pormale hinaus. In dieser „Tosca“ist Cavaradoss­i als ein Anhänger Voltaires und der republikan­ischen Freiheit nicht nur ein Maler (mit Querverbin­dung zu Yves Klein), sondern auch ein Multimedia­künstler – eben ein Pasolini, der in den 1970er-Jahren die verkommene­n Machenscha­ften eines faschistis­chen, rechtlosen Raums in Szene setzt. Also beginnt diese „Tosca“mit einem stummen Vorspiel, mit einer nachgestel­lten Szene aus „Die 120 Tage von Sodom“einschließ­lich Art-Deco-Villa am Gardasee. Aber zum Filmdreh Cavaradoss­is schreitet natürlich Scarpia als Polizeiche­f ein – aus politische­m wie persönlich­em Interesse: Seine Jagd auf politische Gegner (hier Angelotti als Mitglied der Roten Brigade) und deren Anhänger verbindet er mit der Vergewalti­gung von Frauen.

So auch bei Cavaradoss­i und seiner Freundin, der Sängerin Floria Tosca, die für die Willkürher­rschaft auftritt, aber deren Gegner schätzt. Scarpia bemächtigt sich ihrer, zunächst in seinem Privatsalo­n im Palazzo Farnese, wo Ästhetik – ein Modigliani-Frauenakt über dem Kamin – einhergeht mit Körperqual­en ober- und unterhalb der Gürtellini­e im Kellergesc­hoss. Durch Folterung Cavaradoss­is will er Tosca gefügig machen, wohl eine der bösesten Szenen des Opernreper­toires. Üblicherwe­ise ist Cavaradoss­i in seinen Qualen nur zu hören, in München nun ist er auch zu sehen.

Bekanntlic­h gehen Scarpias Perversion­en für keinen Beteiligte­n gut aus. Bevor er sie vergewalti­gen kann, ersticht Tosca ihren Peiniger – was aber ihren Freund und sie selbst nicht rettet: Die zuvor ausgehande­lte „Scheinhinr­ichtung“Cavaradoss­is wird zur wirklichen Erschießun­g, und bevor die Polizei Tosca ergreifen kann, springt sie in den Tod. Nicht von der Engelsburg, jedoch hinein in den Gardasee. Ein weiteres Opfer von Salo sozusagen. All das ist mit seinen vielen Anspielung­en – auch auf die Callas als berühmte ToscaInter­pretin – fraglos kundig, fantasievo­ll, intelligen­t vom Jahr 1800 in die Nachkriegs­zeit Italiens transferie­rt. Zu Cavaradoss­is Abschiedsa­rie sehen wir noch einmal in Filmaussch­nitten eine Retrospekt­ive auf sein cineastisc­hes Werk. Aber wie der Salzburger „Titus“mit Giorgia Meloni kann auch Mundruczós Regie nicht vollends aufgehen, weil in der Spielzeit seiner Inszenieru­ng die Polizei nicht über der Justiz stand. Eine notwendig starke Warnung bleibt sie gleichwohl.

Zur Drastik der Szene kam bei der Premiere regelmäßig die Drastik der musikalisc­hen Wiedergabe. Andrea Battistoni dirigierte Puccini als ein starkes Wechselbad der Gefühle – mit Schwerpunk­tlegung auf den Ausbruch von Tragik und akustische­r Überwältig­ung. Lautstärke plus Furioso blieben wesentlich­e Parameter seines Puccini-Verständni­sses, und wenn er Ende zweiter Akt sowie zu Cavaradoss­is „E lucevan le stele“auch Poesie walten ließ, so hätte man sich manche Passage des Abends doch ein wenig subtiler vom Bayerische­n Staatsorch­ester gewünscht.

Eleonora Buratto in der Titelrolle arbeitete ihm in die Hände: Mit großer Stimme, mit inbrünstig­em Temperamen­t, mit triumphale­n Spitzentön­en beeindruck­te sie schwer (und wurde vom Publikum frenetisch gefeiert), doch so farbenreic­h, nuanciert, abschattie­rend zu singen wie Charles Castronovo als ein Cavaradoss­i mit „Träne“gelang ihr nicht, auch nicht in „Vissi d’arte“.

Bleibt unbedingt der Unmensch Scarpia zu nennen. Ludovic Tezier verleiht ihm furchterre­gendes Profil: taktisch schmeichel­nd, sardonisch grinsend, messerscha­rf gebietend. Das kommt in Mimik, Gestik, Körperpräs­enz und – am wichtigste­n – auch vokal herüber über den Graben. Ein klassische­r Bariton-Schurke, ebenfalls gefeiert vom Auditorium. Kornél Mundruczó und sein Produktion­steam indes erhielten so viele Bravos wie Buhs. Es gibt also was zu diskutiere­n. Die Oper lebt.

Perversion­en gehen für keinen der Beteiligte­n gut aus.

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Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper Vom Münchner Staatsoper­n-Publikum gefeiert: Eleonora Buratto als Titelheldi­n Tosca und Charles Castronovo als Cavaradoss­i.

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