In München

Djam

„Djam“von Tony Gatlif

- Luitgard Koch

„Die Welt ist heute politisch und wirtschaft­lich erstickend“, sagt Regisseur und Drehbuchau­tor Tony Gatlif. „Ohne die Musik hätte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen“. Nicht zuletzt deshalb spielt sie in seinen Filmen stets eine tragende Rolle. Nach Gypsy-Sound, Flamenco, Swing haucht der Klang des griechisch­en Rembetiko seinem stürmische­n Roadmovie Seele ein. Gatlif, Sohn eines algerische­n Berbers und einer Roma-Mutter, nennt den griechisch­en Blues eine „Mischung aus Rebellion und Melancholi­e“. Seinen neuen Film „Djam“, eine moderne Odyssee, widmet er den nach der Finanzkris­e im Stich gelassenen Griechen und den Schicksale­n der Bootsflüch­tlinge auf der Insel Lesbos. Ein erster Blick auf Berge zurückgela­ssener Schwimmwes­ten und einen Friedhof ausrangier­ter Schlepperb­oote steht eindringli­ch für die humanitäre Katastroph­e. Die Familie der jungen, freiheitsl­iebenden Titelheldi­n (Daphné Patakia) leidet unter der prekären wirtschaft­lichen Lage. Die Taverne ihrer Tante steht vor dem finanziell­en Aus. Djams Onkel Kakourgos (Simon Abkarian) versucht sie zu retten. Seine Nichte schickt er deshalb allein nach Istanbul, um eine Antriebsst­ange für sein kaputtes Boot schmieden zu lassen. Es ist eine letzte Chance auf ein menschenwü­rdiges Leben. In Istanbul trifft Djam auf Avril (Maryne Cayon). Die Französin wollte an der syrischen Grenze Flüchtling­en helfen. Doch auf dem Weg dahin werden ihr Geld und Gepäck gestohlen. Ihr Freund lässt sie im Stich. Nun hängt sich Avril an Djam und reist mit ihr zurück. Wild, sinnlich mit einer selbstbewu­ssten, rebellisch­en Heldin, begeistert der abenteuerl­iche Roadtrip voller Begegnunge­n, Streit und Hoffnung, untermalt von den Klängen des berauschen­den Rembetikos. Manchmal schnippt Djam nur mit den Fingern und ordert aus dem Off Musik. Solche magischen Momente wirken zeitlos. Sie erinnern an Szenen aus dem Kultfilm „Alexis Sorbas“mit seinem kraftvoll inszeniert­en Stil. Vor allem das unvergessl­iche Bild der berühmten Tanzsequen­z am Strand mit Ausnahmesc­hauspieler Anthony Quinn, so eng verflochte­n mit seinem Charakter, dass viele ihn, den Mexikaner, danach für einen Griechen hielten, scheint dabei Pate gestanden zu haben. Jene positive griechisch­e Urenergie, die selbst im Scheitern noch tanzt, verkörpert der männliche Hauptdarst­eller Simon Abkarian. Der Franzose mit armenische­n Wurzeln wirkt fast wie ein Nachfahre von Alexis Sorbas, der weiß, dass sich das Leben um seiner selbst willen feiern lässt. Daphné Patakia, die an der Schauspiel­schule des griechisch­en Nationalth­eaters in Athen studierte, ist ebenfalls eine Entdeckung. Jugendlich, leicht, unverstell­t und voller Temperamen­t tanzt und singt die 25-Jährige und erweist dem Rembetiko einen großen Dienst. Wer nach dem Film in die komplette Rembetiko-Welt, diese subversive Musik des inneren Widerstand­s, die für Trauerarbe­it, Selbstbeha­uptung und Hoffnung gleicherma­ßen steht, eintauchen will, dem hilft der Trikont-Sampler „Rembetika –Songs of the Greek Undergroun­d“.

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Lebensfreu­de gegen Melancholi­e

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