Auftrieb im Altenheim:
Berlin Mitte – jetzt auch im Glockenbach
Dieses Mal waren wir nur mit der etwas eingeschränkten fünfköpfigen Allstar-Testcombo unterwegs (unsere Privatkäsedozentin war leider krank!) – ein sorgfältig zusammengestelltes Fachgremium aus nichtprominenten, dafür aber hart werkelnden Gastronominnen und geschmeidigen Oberrestaurantfachmännern, gut informierter Fach-Journaille, hartnäckigen Vollbierhell-Verweigerern und selig Weinwissenden nebst dem bericht- erstattendem Schreiberling – und das fußgängig ohne Verkehrsmittel auf direktem Weg ins Altenheim respektive in die Seniorenresidenz „Tertianum“im Herzen des allseits beliebten Glockenbach-Viertels. „Das Zuhause für die Kür des Lebens“(so die Eigenwerbung) ist wohl eines der wenigen „Altersheime“, bei dem die Bezeichnung „Residenz“nicht zynisch wirkt. Das äußerst komfortable Fünf-Sterne-Haus ist mehr ein Luxushotel, für das man allerdings in der Pflicht des Lebens einigermaßen reichlich Bares angehäuft haben sollte: mit Spa, eigenem Kulturprogramm, Luxusappartements aller Größen, Kaminzimmer, gepflegte Gartenterrasse, bestens ausgebildetem Personal und seit ein paar Wochen auch noch mit dem Berliner Zwei-Sterne-Koch Tim Raue, sozusagen als Gault-Millau-Häubchen obendrauf. Der umtriebige Berliner-Spitzenkoch ist für die Konzeption der gesamten Tertianum-Küchen (Berlin-München-Konstanz) verantwortlich und zusätzlich für ein ebenfalls in allen Häusern geplantes Brasserie-Konzept namens „Colette“löffel- oder besser gesagt federführend: Hier sollen nicht nur Gäste aus dem Seniorenheim, sondern ausdrücklich „jedermann“speisen ...
„Colette“trifft Sepp und Putzi
Eigentlich ist Tim Raue ja neben diversen Fernsehauftritten für seine asiatisch inspirierten Fusion-Kreationen bekannt – weniger für Bistro-Küche. Wie sage einer unserer Testcombo-Freunde so schön: „Jetzt ist Berlin Mitte auch im Glockenbach, französisch halt“. Das Lokal-Interieur wirkt auf den ersten Blick dunkel, auf den zweiten immer noch dunkel, aber sitzt man erst mal drinnen, erhellt sich das Ganze und erscheint gar nicht mehr so winterdüster abweisend. Der lange glänzende Messingtresen, ein ausgetüfteltes Lichtkonzept mit stylischen Bahnhofslampen, Sitz-Möglichkeiten von grünen Lederbänken und hölzernen ehemaligen Eisenbahnbänken über Vintage-Brasseriegestühl bis zu schwerfüßigen Friseursesseln, heimelig-häuslich anmutende Perserteppiche und dunkle Steinwände – hier haben Innenarchitekten ein durchaus sehenswertes Ergebnis erzielt. Wir bekamen den großen Tisch gleich neben der Tür mit Blick auf die Straße und den Innenhof im Garten. Französische Chansons spielen angenehm dezent im Hintergrund und die jungen ServiceDamen huschen auf Turnschuhen mit großen Speisenkartenkartons bewaffnet ein- und umsatzfreudig zwischen den großzügig verteilten Tischen umher. Auf einen Pastis freuen wir uns, aber nein, Fehlanzeige. Wie bitte, keinen Pastis? Keinen Pernod, auch keinen Ricard, Janot, nichts mit Anis? Wir können es fast nicht glauben, aber es ist so. Wir insistieren nicht länger und einigen uns auf einen versöhnlichen Crémant de Loire (42.- die Flasche), der beruhigt feinperlig Nerven und Gemüt. Ein großes EvianWasser (7.-) ist dabei ebenso hilfreich – hier geht allerdings schon der Diskurs um die Preise los. Nach langwierigem Abwägen schaffen wir es dann tatsächlich, fünf verschiedene Vorspeisen und Hauptgerichte zu bestellen – keine böswillige Absicht sondern schierer Individualismus. Wir bestellen eine Flasche Sancerre „Chavignol“(46.-) der mit einer leicht mineralischen frischen Note erfreut, und beobachten die illustren Gäste. Klar, wenn ein Berliner Zwei-Sternemeister nach München ins Altenheim kommt muss man doch dabei sein. Den einsamen Sepp Krätz haben wir gerade noch gehen sehen und der ewige „Haferlgucker“Putzi Holenia kommt in fröhlicher Begleitung von Damen und Möpsen und schaut sich leutselig um – wie man das halt so macht in Gastronomie-Promikreisen. Die Bedienungen haben uns derweil kleine Teller mit eingelegtem Gemüse, Zitronenbutter, sehr guten Oliven und Weißbrot gebracht, nicht spektakulär, aber gut. Man nimmt hier laut Karte 3,- (auf der Rechnung dann nur 2.- Euro) pro Person Couvert für das „Gedeck“, sprich Tischdecken, Besteck und Stoff-Servietten. Allerdings steht das Besteck bereits wie inzwischen leider fast überall auf dem Tisch, hier nur in schicken Dosenkübeln. Da beschleicht einen das Gefühl, einfach ein bisschen abkassiert zu werden – echt „vornehm“ist das nicht ... Dann werden die Vorspeisen serviert: der Salat Landes – Entenherzen und Mägen schön weichgeschmort in dickem Jus mit Salatbouquet in Begleitung einer dünnen Scheibe vorzüglicher Entenleberterrine – erfreut auch das bayrische Bistro-Herz. Der Kalbskopf Ravigote (14.-) mit einer würzigen Sauce aus Kapern, Ei, Estragon und Kerbel schmeckt ebenso wunderbar wie die sehr feine Entenleberterrine (18.-) mit leider etwas arg dunklem Röstbrot. Und der hausgebeizte Lachs (14.-) mit Grapefruit und Kerbel und der raffinierte Hummer-Cocktail ließen auch die Damenwelt (nahezu) freudig verstummen. Nachdem noch eine Flasche Châteauneuf-Du-Pape Rouge Bastide (68.-) zum großen Trinkvergnügen aller Beteiligten von ihrem Kellerdasein erlöst wurde, kamen auch die Hauptgerichte: eine recht zierliche, wohlschmeckende Dorade (20.-) mit rustikalem Ratatouille und Pistou, ein „Huhn unter der Haube“(24.-), das sich als gerollte und sehr gelungene Komposition mit Trüffel, Haselnuss und Topinambur entpuppte, die gebratene französische Blutwurst (18.-) mit viel feinerem Inhalt als die bayrische Blunzn, aber ebenso gut gewürzt und mit gedünsteten Apfelscheiben, Zwiebeljus und Erdäpfelstampf angerichtet – sehr schön. Das Lamm à la Barigoule (22.-) wurde mit cremigen weißen Bohnengemüse und Artischocken serviert und für gut befunden und das klassische Steak Frites (24.-) war zwar etwas klein, dafür aber mit hausgemachten ausgezeichneten Fritten und einer perfekten Sauce Béarnaise – da blieben tatsächlich keine Bistrowünsche offen. Bei feinstem Mousse au Chocolat (8.-) und toller Crème Brûlée (10.-) mit SafranbaiserFlocken dann das Resümee eines gelungenen Brasserie-Abends: Die Küche, auch ohne den Meister persönlich, brilliert mit kreativem Handwerk und perfekter Präsentation auf den Tellern. Der Platz ist sicher außergewöhnlich, der Service schnell und flink (manchmal vielleicht etwas zu flink ...), das Interieur sehr ansprechend. Und über Pastis, Portionen und Preise kann man ja wunderbar streiten und diskutieren – aber mit wem? Ein wenig mehr persönliche Ansprache braucht das Münchner Weltdorf-Publikum hier auf Dauer schon – prominent oder nicht, mit Mops oder ohne ...
Colette,Klenzestraße
72, 80469 München Tel. 230 02 555, www.brasseriecolette.de Mi-So 12-15 Uhr (Küche bis 13.30) Mi-So 18-23 Uhr (Küche bis 21.30)