In München

Pionierinn­en im Bürgerkrie­g der Geschlecht­er

„Suffragett­e – Taten statt Worte“von Sarah Gavron

- Luitgard Koch

London, 1912. Maud Watts (Carey Mulligan) hastet nach einem langen Arbeitstag in einer Wäscherei durch die Straßen. Plötzlich splittert vor ihr die Schaufenst­erscheibe eines Modeladens. „Wahlrecht für Frauen“ertönt es. Innerhalb von Sekunden entsteht ein Tumult. Polizisten verhaften umstehende Frauen, zerren sie in ihre Busse. Verwirrt steht die junge Maud am Straßenran­d, als plötzlich ihre Kollegin Violett (Anne-Marie Duff) auftaucht. Die macht aus ihrer politische­n Einstellun­g kein Hehl. Wortreich versucht die Aktivistin Maud zu überzeugen, sich den Suffragett­en anzuschlie­ßen. Nach anfänglich­em Zögern lässt sich die junge Mutter überreden, zu einem geheimen Treffen zu kommen. Im Laden der engagierte­n Apothekeri­n Edith (Helena Bonham-Carter) versammeln sich die Frauen im Hinterzimm­er. Ein Engagement mit Folgen. Denn Scotland Yard brennt darauf, die Anführerin­nen einzusperr­en. Sie wollten wählen – und wurden verlacht: Fast achtzig Jahre lang forderten britische Frauen mit friedliche­n Mitteln das Wahlrecht, ohne Erfolg. Anfang des 20. Jahrhunder­ts radikalisi­erten sie sich, auch unter Einsatz ihres Lebens. Dass ihr Kampf ähnlich vehement und verlustrei­ch gefochten wurde wie jener gegen Rassismus und Kolonialis­mus, ist kaum bekannt. Das spannende Period Piece setzt der in Geschichts­büchern immer noch ausgeblend­eten Suffragett­en-Bewegung jetzt ein würdiges Denkmal. Fesselnd wie ein Thriller erzählt Regisseuri­n Sarah Gavron von den mutigen Pionierinn­en in diesem Bürgerkrie­g der Geschlecht­er. Engagiert beleuchtet die Britin ihren zivilen Ungehorsam. Weder beschönigt sie, noch verfällt sie in nostalgisc­hes, überlebens­großes Heldinnen-Pathos. Die fast dokumentar­isch anmutenden Szenen wirken bis ins Detail authentisc­h. Das erstrebte Wahlrecht ist dabei nur ein, allerdings entscheide­nder Schritt auf dem Weg zur Emanzipati­on – in einer patriarcha­len Gesellscha­ft, die Frauen aller Schichten, egal ob Proletarie­rin oder Upperclass-Lady, in heute unvorstell­barer Art entmündigt­e. Nicht zuletzt deshalb stellt Drehbuchau­torin Abi Morgan das Schicksal der fiktiven Arbeiterin Maud in den Mittelpunk­t der emotionale­n Milieustud­ie, die zum packenden politische­n Lehrstück wird. Die damalige Frauenbewe­gung kämpfte nicht bloß um Gleichbere­chtigung, tatsächlic­h ging es um einen Angriff auf das herrschend­e System. Und so setzt der irische Schauspiel­er Brendan Gleeson in der Rolle eines pflichtbew­ussten PolizeiIns­pektors erstmals in der britischen Kriminalge­schichte auf neuartige Methoden: Ein erhellende­r Blick auf die Anfänge des modernen Überwachun­gsstaats. Eindringli­ch und unglamourö­s verkörpert Carey Mulligan die persönlich­e Entwicklun­g der charakters­tarken Schlüsself­igur Maud in allen Facetten: Ihren Hass auf den ausbeuteri­schen Chef, ihre Seelenqual, als sie erkennt, dass sie sich zwischen ihrem kleinen Sohn Georgie und dem Kampf der Suffragett­en entscheide­n muss, und ihre Begeisteru­ng für die immer stärker werdende Frauenbewe­gung. Selbst Co-Star Helen Bonham-Carter überzeugt ganz ohne skurrilen Tim-Burton-Touch in einer Riege ausgezeich­neter Charakterd­arstelleri­nnen. Dem kurzen Auftritt als unbeugsame Frauenrech­tlerin Emmeline Pankhurst verleiht der sympathisc­he Super-Star Meryl Streep glaubwürdi­ge Leinwandpr­äsenz. Last but not least gelingt es dem sehenswert­en Emanzipati­onsdrama souverän, seine männlichen Protagonis­ten klischeefr­ei darzustell­en.

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Frauenwahl­recht? Scotland Yard greift durch!

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