Sehnsucht und Scharia
Geschichten aus Algerien, Marokko, Mali und von einem langen Marsch
Algerien, 1954: Daru hat als Major in der französischen Armee gedient und arbeitet nun in einem Dorf im Atlasgebirge als Lehrer. Doch der Krieg holt ihn ein: Eigentlich soll er nur den Bauern Mohamed, dem vorgeworfen wird, seinen Vetter ermordet zu haben, zur nächsten Polizeistation überführen. Daru, der in Algerien geboren ist und spanische Vorfahren hat, verweigert dies zunächst, aber nachdem er erfahren hat, dass Mohamed den Gerichtprozess der Blutrache vorzuzieht, brechen die beiden ungleichen Männer zu einer gefährlichen Reise auf. In Den Menschen so fern (Indigo) brillieren Viggo Mortensen und Reda Kateb in der Adaption einer Kurzgeschichte von Albert Camus. Regisseur David Oelhoffen hat daraus ein existenzialistisches Drama – das mit dem Fritz-Gerlich-Preis ausgezeichnet wurde –in beeindruckender Landschaft mit der Musik von Nick Cave und Warren Ellis inszeniert. Der junge Fischer Fettah ist begeisterter Windsurfer und hat unter den jungen Touristen, die zum Wellenreiten in sein Dorf an der marokkanischen Atlantik- küste kommen viele Freunde gefunden. Fettah verliebt sich in Alexandra, die Freundin eines holländischen Surfers, obwohl er weiß, dass sie für ihn unerreichbar ist, genau wie das ferne Land, aus dem sie kommt. Als die Touristen abreisen, packt er ebenfalls seinen Rucksack, nimmt sein Surfbrett und macht sich Richtung Casablanca auf in den Norden. Von dort führt die Reise Richtung Europa wegen des Sperrgebietes 300 Meilen über das offene Meer – auf dem Surfbrett. Atlantik (Indigo) von JanWillem van Ewijk ist ein ruhig erzähltes Filmpoem mit fesselnden Aufnahmen. Der Wunsch nach Emigration hat hier nicht vordergründig wirtschaftliche Gründe, sondern Neugier, Sehnsucht und Liebe spielen die treibende Kraft. Mit sieben Césars ausgezeichnet und für den Oscar als besten fremdsprachigen Film nominiert – selten hat ein afrikanischer Film soviel Anerkennung bekommen wie Timbuktu (good!movies) von Abderrahmane Sissako. Dem mauretanischen Regisseur ist mit seinen Alltagsbeobachtungen des Lebens in der einstigen Universitäts- und Handelsstadt Timbuktu unter dem al Qaida- und Ansar Dine-Regime ein besonderes Werk gelungen. Mit einer faszinierenden Mischung aus Poesie, Ironie und Entsetzen lässt er den Zuschauer an den unsinnigen Vorschriften und der willkürlichen, fanatischen Auslegungen des Islam teilhaben. Er zeigt sowohl den subtilen Wiederstand der stolzen Bevölkerung trotz aller Demütigungen, als auch die Gesichter der sogenannten Gotteskrieger, die menschliche Züge hätten, würden sie sich nicht als dümmliche Rebellen gebären. Sissako beherrscht eine episodenhafte, verträumte Bildsprache in umwerfend schönen Bildern, die viel mit den mündlichen Überlieferungen und Geschichten des Maghreb zu tun hat. Bereits 1990 wurde Der Marsch (Alive) von David Wheatley für die BBC produziert und was wie eine düstere Zukunftsvision klang, ist heute zur Wiederveröffentlichung Realität: In vielen Teilen Afrikas ist eine humanitäre und ökologische Katastrophe ausgebrochen. Eine Gruppe Hungernder macht sich auf den Weg ins weit entfernte Europa, unterwegs schließen sich immer mehr Menschen an. Bald stehen Abertausende an der Küste und am Schluss liegt auch hier ein toter Junge am Strand – erschossen statt ertrunken.