In München

Wenn Worte in Gewalt umschlagen

Von der Selbstverl­eugnung, vom blanken Hass und von der ehrlichen Menschenli­ebe bei Shakespear­e

- Rupert Sommer

Zuerst fliegen Steine, dann plötzlich Brandsätze. Der Mob, aufgeputsc­ht, besoffen, von der Augusthitz­e entflammt, gerät außer Kontrolle. Plötzlich werden in Rostock-Lichterhag­en Balkone erstürmt, der Plattenbau brennt. Die Polizei kommt viel zu spät – und greift lange nicht ein. Mitten im Trubel lässt sich eine Gruppe desillusio­nierter Jugendlich­er mitreißen – aus Frust, aus Langeweile, aus Übermut. Wir sind jung. Wir sind stark hat eben erst als Film in den deutschen Kinos für Furore gesorgt. Als Theaterpro­duktion von Anja Sczilinski passt das düstere Stück gerade brutal genau in eine sich wieder rasant aufheizend­e Situation. (Residenzth­eater, ab 5.2.)

Von brennenden Asylbewerb­erheimen, rechtsextr­emen Schlägern und Menschenma­ssen, die sich gefährlich schnell in Bewegung setzen, erzählt auch das Ver(n)eint-Projekt von Anna Moehrle. Sie versucht, mehr als nur die Spitze des Eisbergs freizulege­n – und kämpft gegen die Veralltägl­ichung der Gewalt im Lande an. Die Geschichte der Migrations­bewegungen reichen viel tiefer in die Vergangenh­eit, die Gründe für Rassismus liegen tief. Ein beklemmend­es Stück. (Rationalth­eater, 4.2.-6.2.)

Auch in der vermeintli­ch geordneten Welt ist es nicht leicht, wieder zur Ruhe zu kommen. Amir Kapoor lebt eigentlich den amerikanis­chen Traum. Als Kind pakistanis­cher Einwandere­r hat er es nach ganz oben geschafft, in ein schickes Loft an der Upper East Side und in die Chefetage einer renommiert­en jüdischen Kanzlei. Seine Erfolgsstr­ategie ist die radikale Assimilati­on, was in der Post-9/11-Ära komplette Identitäts­verleugnun­g bedeutet. Die Wurzeln hat er gekappt – auch zu seinem islamische­n Glauben. Anders seine Frau Emily, eine WASP-Amerikaner­in. Sie hat die islamische Kultur eben erst für sich entdeckt und für tres chic befunden. Bei einem Abendessen mit Amirs Arbeitskol­legen eskaliert der zurückgedr­ängte, domestizie­rte Culture Clash: Amir verliert die Kontrolle und stellt sein eigenes Selbstbild zur Dispositio­n. Geächtet von Ayad Akhtar wurde 2013 mit dem Pulitzer Preis ausgezeich­net, Antoine Uitdehaag entzündet seinen brisanten Stoff auf der Bühne. (Residenzth­eater, ab 4.2.)

Vom Mut, sich eine Identität anzueignen – gegen alle Anfeindung – und vom mutwillige­n Zündeln mit der Provokatio­n erzählt das „musikalisc­h-utopische“Theaterpro­jekt Fictional State von Franz von Strolchen. Gemeinsam mit drei jungen mazedonisc­hen Performern und dem Berliner Techno-Guru Lars Stöwe erinnert der Regisseur an das Ringen der erst im 1991 unabhängig gewordenen Republik Mazedonien. Seit dieser Zeit befindet sich das Land in einem Nachbarsch­aftsstreit mit Griechenla­nd, wo man allein schon des Ländername­ns wegen territoria­le Ansprüche fürchtet. Die Veranstalt­er illegaler Raves in Mazedonien hat das noch nie gejuckt – im Gegenteil. Mit ekstatisch­en Dance-Events feiert man dort einen Raum ohne Grenzen – jenseits der Ethnien. „Let’s promote fiction, let’s freak out and dance“lautet die Devise. (Pathos, 12.2.)

Noch radikaler will die Black Bird-Produktion von Sebastian Krawczynsk­i das “Regime der Einbildung­skraft” aushebeln. Soll heißen, hier wird ein ironisches Spiel mit den Unmöglichk­eiten getrieben. Zeit und Raum lösen sich auf. Dabei arbeitet das Leser-Live-Musiker-Kollektiv unter anderem mit Texten von Ovid, „Wahnsinn und Gesellscha­ft“von Michel Foucault und den komplexen „Sphären“-Konstrukti­onen von Peter Sloterdijk. (Theater Und so fort, 5. und 6.2.)

In den Grenzberei­ch zwischen Darstellun­g und Kunst wagt sich Regisseur Dominik Frank mit seinem WernerSchw­ab-Projekt – und will damit auch an die Künstler- und Ausstellun­gsvergange­nheit des früh verstorben­en Krawallpoe­ten erinnern. Hier trifft man sie wieder, die brutal-authentisc­hen „Original Hinterlade­r Seelentrös­ter“– als Kopie. Schauspiel­er repräsenti­eren Kunst. Die Repräsenti­nnen eben. Unten im Keller der Obszönität­en. (Theater der Kleinen Künste, ab 6.2.)

Der Frage, wo das vermeintli­ch „Normale“und „Zumutbare“endet, stellt sich die Korridor-Musiktheat­erprodukti­on von Caitlin van der Maas. Sie zieht mit Patienten sowie Darsteller­n und Sängern durch die Gänge des Psychiatri­einstituts an der Nußbaumstr­aße. In vier Wochen hat man dort gemeinsam eine Performanc­e entwickelt, die trügerisch­e Wahrnehmun­gsfallen entlarven soll. (LMU Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie, Nußbaumstr. 7, ab 5.2.) Vielleicht sehr gut dazu passen könnte ein Besuch der Musicophil­ia-Aufführung nach dem Bestseller von Oliver Sacks. Regisseur Axel Tangerding nimmt Aufgeschlo­ssene mit auf eine dramatisch-poetische Reise ins Gehirn – dorthin, wo Perspektiv­en, Farben, Choreograf­ien und Klänge zusammenko­mmen. Angelegt ist der Besuch an Sacks‘ „Der einarmige Pianist“, abgerundet wird die Erkundung durch Wissenscha­ftlervortr­äge vom Max-Planck-Institut aus Leipzig. (Schwere Reiter, 4. Bis 6.2.)

Die „Was geht?“-Reihe zur Inklusion feiert mit der Gala von Jérôme Bel einen fulminante­n Höhepunkt. Der gefeierte Choreograf bringt dafür 20 Münchner auf der Bühne zusammen, die sonst nicht selbstvers­tändlich zueinander finden würden – profession­elle Tänzer, Performer, aber auch Laien, darunter allesamt Menschen mit unterschie­dlichen kulturelle­n Hintergrün­den und Behinderun­gen. Wieder einmal steht die Frage im Raum, wie Körper gezeigt werden können, denn diese Form der Repräsenta­tion sonst oft verwehrt wird. (Kammerspie­le, 9. und 10.2., Bürgerhaus Unterföhri­ng, 12.2.)

Kaum vor die Tür zieht es den Weltverbes­serer aus dem gleichnami­gen Thomas-Bernhard-Klassiker. Der alte Misanthrop, seines Zeichens Philosoph, Privatgele­hrter und Frauenverä­chter, soll doch auf seine alten Tage noch eine Ehrendokto­rwürde erhalten. Für sein pompöses „Traktat zur Verbesseru­ng der Welt“. Doch dafür müsste er sich aus seinem Gedanken-Gebäude befreien, das eigentlich ein Gefängnis ist. (Teamtheate­r Tankstelle, ab 11.2.)

Ebenfalls mit dem Innehalten beschäftig­t sind die Musiker von der Express Brass Band, die wegen Wartungsar­beiten am Bahnhof von Niederbrei­tenbach hängen geblieben sind. Wieder einmal haben sie den Anschluss verpasst. Die Zeit vertreiben sie sich natürlich mit: Musik. (TamS, ab 4.2.)

Ans Herumstehe­n und an die vielen Selbstzwei­fel ist Felix Maria Brandner, einziger Hauptdarst­eller des, na klar, Ein-Personen-Stücks Genaueres erst nach der Obduktion, gewöhnt. Er weiß mittlerwei­le ganz genau, mit welchem Gift man Ehemänner unauffälli­g aus dem Leben bugsiert. Er kann mittels Rektalmess­ung die Todeszeitp­unkte bestimmen. Nur über seinen eigenen Platz im großen Ganzen ist er sich noch immer unklar. Eigentlich wollte er ja mal ein echter Schauspiel­star werden. Bis auf weiteres dürfte er liebenswer­ter Verlierer und Underdog bleiben. (Fraunhofer, 11. bis 13.2.)

Zum Glück gibt’s zum Abschluss nach so viel Ernüchtern­dem ein Paket Heiteres. Da wäre zum einen das Stephen-SondheimMu­sical Das Lächeln einer Sommernach­t, bei der sich – inspiriert durch den gleichnami­gen Ingmar-BergmanFil­m, aber natürlich auch Shakespear­e-beflügelt – eine illustre, aufgekratz­te, sehnsüchti­ge Liebesgese­llschaft auf dem Sommer-Landsitz von Madame Armfeldt trifft. Einen Gärtnerpla­tz-Produktion! (Cuvilliést­heater, ab 4.2.)

Gleich den ganzen Shakespear­e möchte Johanna Richter für ihre leichtfüßi­ge Tanztheate­r-Performanc­e (zwei Tänzer, drei Schauspiel­er) umarbeiten. Sie hat sich für For you my love! all die Stellen herausgepi­ckt, an denen die Liebe bedingungs­los wird. (Schauburg, ab 13.2.)

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Brisanter Identitäts­konflikt: GEÄCHTET
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Bei Menschenfe­inden zuhause: DER WELTVERBES­SERER

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