Wenn Worte in Gewalt umschlagen
Von der Selbstverleugnung, vom blanken Hass und von der ehrlichen Menschenliebe bei Shakespeare
Zuerst fliegen Steine, dann plötzlich Brandsätze. Der Mob, aufgeputscht, besoffen, von der Augusthitze entflammt, gerät außer Kontrolle. Plötzlich werden in Rostock-Lichterhagen Balkone erstürmt, der Plattenbau brennt. Die Polizei kommt viel zu spät – und greift lange nicht ein. Mitten im Trubel lässt sich eine Gruppe desillusionierter Jugendlicher mitreißen – aus Frust, aus Langeweile, aus Übermut. Wir sind jung. Wir sind stark hat eben erst als Film in den deutschen Kinos für Furore gesorgt. Als Theaterproduktion von Anja Sczilinski passt das düstere Stück gerade brutal genau in eine sich wieder rasant aufheizende Situation. (Residenztheater, ab 5.2.)
Von brennenden Asylbewerberheimen, rechtsextremen Schlägern und Menschenmassen, die sich gefährlich schnell in Bewegung setzen, erzählt auch das Ver(n)eint-Projekt von Anna Moehrle. Sie versucht, mehr als nur die Spitze des Eisbergs freizulegen – und kämpft gegen die Veralltäglichung der Gewalt im Lande an. Die Geschichte der Migrationsbewegungen reichen viel tiefer in die Vergangenheit, die Gründe für Rassismus liegen tief. Ein beklemmendes Stück. (Rationaltheater, 4.2.-6.2.)
Auch in der vermeintlich geordneten Welt ist es nicht leicht, wieder zur Ruhe zu kommen. Amir Kapoor lebt eigentlich den amerikanischen Traum. Als Kind pakistanischer Einwanderer hat er es nach ganz oben geschafft, in ein schickes Loft an der Upper East Side und in die Chefetage einer renommierten jüdischen Kanzlei. Seine Erfolgsstrategie ist die radikale Assimilation, was in der Post-9/11-Ära komplette Identitätsverleugnung bedeutet. Die Wurzeln hat er gekappt – auch zu seinem islamischen Glauben. Anders seine Frau Emily, eine WASP-Amerikanerin. Sie hat die islamische Kultur eben erst für sich entdeckt und für tres chic befunden. Bei einem Abendessen mit Amirs Arbeitskollegen eskaliert der zurückgedrängte, domestizierte Culture Clash: Amir verliert die Kontrolle und stellt sein eigenes Selbstbild zur Disposition. Geächtet von Ayad Akhtar wurde 2013 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet, Antoine Uitdehaag entzündet seinen brisanten Stoff auf der Bühne. (Residenztheater, ab 4.2.)
Vom Mut, sich eine Identität anzueignen – gegen alle Anfeindung – und vom mutwilligen Zündeln mit der Provokation erzählt das „musikalisch-utopische“Theaterprojekt Fictional State von Franz von Strolchen. Gemeinsam mit drei jungen mazedonischen Performern und dem Berliner Techno-Guru Lars Stöwe erinnert der Regisseur an das Ringen der erst im 1991 unabhängig gewordenen Republik Mazedonien. Seit dieser Zeit befindet sich das Land in einem Nachbarschaftsstreit mit Griechenland, wo man allein schon des Ländernamens wegen territoriale Ansprüche fürchtet. Die Veranstalter illegaler Raves in Mazedonien hat das noch nie gejuckt – im Gegenteil. Mit ekstatischen Dance-Events feiert man dort einen Raum ohne Grenzen – jenseits der Ethnien. „Let’s promote fiction, let’s freak out and dance“lautet die Devise. (Pathos, 12.2.)
Noch radikaler will die Black Bird-Produktion von Sebastian Krawczynski das “Regime der Einbildungskraft” aushebeln. Soll heißen, hier wird ein ironisches Spiel mit den Unmöglichkeiten getrieben. Zeit und Raum lösen sich auf. Dabei arbeitet das Leser-Live-Musiker-Kollektiv unter anderem mit Texten von Ovid, „Wahnsinn und Gesellschaft“von Michel Foucault und den komplexen „Sphären“-Konstruktionen von Peter Sloterdijk. (Theater Und so fort, 5. und 6.2.)
In den Grenzbereich zwischen Darstellung und Kunst wagt sich Regisseur Dominik Frank mit seinem WernerSchwab-Projekt – und will damit auch an die Künstler- und Ausstellungsvergangenheit des früh verstorbenen Krawallpoeten erinnern. Hier trifft man sie wieder, die brutal-authentischen „Original Hinterlader Seelentröster“– als Kopie. Schauspieler repräsentieren Kunst. Die Repräsentinnen eben. Unten im Keller der Obszönitäten. (Theater der Kleinen Künste, ab 6.2.)
Der Frage, wo das vermeintlich „Normale“und „Zumutbare“endet, stellt sich die Korridor-Musiktheaterproduktion von Caitlin van der Maas. Sie zieht mit Patienten sowie Darstellern und Sängern durch die Gänge des Psychiatrieinstituts an der Nußbaumstraße. In vier Wochen hat man dort gemeinsam eine Performance entwickelt, die trügerische Wahrnehmungsfallen entlarven soll. (LMU Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Nußbaumstr. 7, ab 5.2.) Vielleicht sehr gut dazu passen könnte ein Besuch der Musicophilia-Aufführung nach dem Bestseller von Oliver Sacks. Regisseur Axel Tangerding nimmt Aufgeschlossene mit auf eine dramatisch-poetische Reise ins Gehirn – dorthin, wo Perspektiven, Farben, Choreografien und Klänge zusammenkommen. Angelegt ist der Besuch an Sacks‘ „Der einarmige Pianist“, abgerundet wird die Erkundung durch Wissenschaftlervorträge vom Max-Planck-Institut aus Leipzig. (Schwere Reiter, 4. Bis 6.2.)
Die „Was geht?“-Reihe zur Inklusion feiert mit der Gala von Jérôme Bel einen fulminanten Höhepunkt. Der gefeierte Choreograf bringt dafür 20 Münchner auf der Bühne zusammen, die sonst nicht selbstverständlich zueinander finden würden – professionelle Tänzer, Performer, aber auch Laien, darunter allesamt Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Behinderungen. Wieder einmal steht die Frage im Raum, wie Körper gezeigt werden können, denn diese Form der Repräsentation sonst oft verwehrt wird. (Kammerspiele, 9. und 10.2., Bürgerhaus Unterföhring, 12.2.)
Kaum vor die Tür zieht es den Weltverbesserer aus dem gleichnamigen Thomas-Bernhard-Klassiker. Der alte Misanthrop, seines Zeichens Philosoph, Privatgelehrter und Frauenverächter, soll doch auf seine alten Tage noch eine Ehrendoktorwürde erhalten. Für sein pompöses „Traktat zur Verbesserung der Welt“. Doch dafür müsste er sich aus seinem Gedanken-Gebäude befreien, das eigentlich ein Gefängnis ist. (Teamtheater Tankstelle, ab 11.2.)
Ebenfalls mit dem Innehalten beschäftigt sind die Musiker von der Express Brass Band, die wegen Wartungsarbeiten am Bahnhof von Niederbreitenbach hängen geblieben sind. Wieder einmal haben sie den Anschluss verpasst. Die Zeit vertreiben sie sich natürlich mit: Musik. (TamS, ab 4.2.)
Ans Herumstehen und an die vielen Selbstzweifel ist Felix Maria Brandner, einziger Hauptdarsteller des, na klar, Ein-Personen-Stücks Genaueres erst nach der Obduktion, gewöhnt. Er weiß mittlerweile ganz genau, mit welchem Gift man Ehemänner unauffällig aus dem Leben bugsiert. Er kann mittels Rektalmessung die Todeszeitpunkte bestimmen. Nur über seinen eigenen Platz im großen Ganzen ist er sich noch immer unklar. Eigentlich wollte er ja mal ein echter Schauspielstar werden. Bis auf weiteres dürfte er liebenswerter Verlierer und Underdog bleiben. (Fraunhofer, 11. bis 13.2.)
Zum Glück gibt’s zum Abschluss nach so viel Ernüchterndem ein Paket Heiteres. Da wäre zum einen das Stephen-SondheimMusical Das Lächeln einer Sommernacht, bei der sich – inspiriert durch den gleichnamigen Ingmar-BergmanFilm, aber natürlich auch Shakespeare-beflügelt – eine illustre, aufgekratzte, sehnsüchtige Liebesgesellschaft auf dem Sommer-Landsitz von Madame Armfeldt trifft. Einen Gärtnerplatz-Produktion! (Cuvilliéstheater, ab 4.2.)
Gleich den ganzen Shakespeare möchte Johanna Richter für ihre leichtfüßige Tanztheater-Performance (zwei Tänzer, drei Schauspieler) umarbeiten. Sie hat sich für For you my love! all die Stellen herausgepickt, an denen die Liebe bedingungslos wird. (Schauburg, ab 13.2.)